OGH 13Os18/13s

OGH13Os18/13s4.4.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. April 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Niegl als Schriftführer in der Strafsache gegen Harald R***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 15. Jänner 2013, GZ 38 Hv 142/12t-13, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Harald R***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I/1) und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I/2) sowie mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er

(I) zwischen dem Frühjahr 2009 und Mitte Juni 2009 an und mit der am 19. Juni 1995 geborenen Vanessa L*****

1) eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, indem er sie unterhalb der Kleidung am Körper streichelte und ihren Scheidenbereich intensiv betastete, sowie

2) eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er an ihr „den Oralverkehr“ durchführte, und

(II) zwischen dem Frühjahr 2009 und dem 9. August 2012 mit der am 19. Juni 1995 geborenen Vanessa L*****, die seiner Erziehung und Aufsicht unterstand, durch die zu I/1 und zu I/2 beschriebenen Taten sowie dadurch, dass er nach dem 19. Juni 2009 in jeweils mindestens drei Fällen mit ihr den Beischlaf und an ihr „den Oralverkehr“ ausführte, geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 9 (richtig) lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581). Indem die Beschwerde einerseits (zu Z 9 lit a) die Richtigkeit der tatrichterlichen Konstatierungen bestreitet und andererseits (zu Z 10) nicht vom Urteilssachverhalt ausgeht, verfehlt sie demnach den vom Gesetz verlangten Bezugspunkt.

Soweit die Beschwerde die Feststellung, der dem Schuldspruch I/2 zu Grunde liegende „Oralverkehr“ (gemeint: die linguinale Vaginalpenetration) habe vor dem 14. Geburtstag der Vanessa L***** stattgefunden (US 4), als mangelhaft begründet (der Sache nach Z 5 vierter Fall) bezeichnet, ist ihr zu entgegnen, dass sich die angefochtene Entscheidung diesbezüglich - den Gesetzen folgerichtigen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 444) entsprechend (sowie aktenkonform [ON 12 S 6 iVm ON 6 S 9]) - auf die Aussage des Opfers stützt (US 7).

Indem die Rüge die Aussage der Vanessa L***** zur Frage, ob sie während des vom Schuldspruch II umfassten Tatzeitraums der Erziehung des Beschwerdeführers unterstand, releviert (der Sache nach Z 5 zweiter Fall), bezieht sie sich nicht auf schuld- oder subsumtionsrelevante Umstände, weil § 212 Abs 1 StGB in Bezug auf die Position des Täters gegenüber dem Opfer als alternativer Mischtatbestand ausgestaltet ist (EvBl 1997/185, RIS-Justiz RS0107448, Philipp in WK² StGB § 212 Rz 2) und dem Beschwerdeführer insoweit auch das Ausnützen seiner Aufsichtsstellung angelastet wird (US 5 und 9, vgl auch US 2).

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO sei festgehalten, dass unter Aufsicht jede Form von Beaufsichtigung in sittlicher Hinsicht zu verstehen ist (Philipp in WK² § 212 Rz 4), was durch die diesbezüglichen Urteilskonstatierungen, wonach Vanessa L***** im - hier interessierenden - Fall der Abwesenheit ihrer Mutter in wesentlichen Fragen die Erlaubnis des Beschwerdeführers einholen musste (US 3), hinreichend zum Ausdruck kommt.

Weshalb die Einwilligung des Opfers in die - nach den tatrichterlichen Feststellungen unter Ausnützung der Aufsichtsstellung erwirkten (US 9) - sexuellen Handlungen die Subsumtion nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II) hindern soll, wird nicht aus dem Gesetz abgeleitet.

Auch die Konstatierungen zum Aufsichtsverhältnis gründet das Erstgericht - entgegen der Beschwerde (erneut der Sache nach Z 5 vierter Fall) - mängelfrei (und aktenkonform [ON 12 S 6]) auf die Angaben der Vanessa L***** (US 7).

Der Ansatz, es sei „darauf hinzuweisen, dass der Angeklagte seitens der Kindesmutter als herzensguter Mensch beschrieben wird“, lässt keinen Bezug zu den Kriterien der Nichtigkeitsgründe erkennen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass die Feststellungen zum Schuldspruch I/2, wonach der Beschwerdeführer (mit entsprechendem Vorsatz) an Vanessa L***** (gemeint) die linguinale Vaginalpenetration durchführte (US 4 und 5), die Subsumtion nach § 206 Abs 1 StGB sehr wohl tragen. Nach ständiger Judikatur (SSt 60/70, RIS-Justiz RS0094905) ist nämlich (ua) jede Form der vaginalen Penetration aufgrund der in Relation zum Beischlaf vergleichbaren Intensität und sexuellen Inanspruchnahme des Opfers sowie der Schwere des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung strafrechtlich als eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung zu werten (so auch Philipp in WK² StGB § 201 Rz 25 und Hinterhofer SbgK § 201 Rz 46, jeweils mwN). Das (nicht vom auf geschlechtlichen Verkehr gerichteten Vorsatz getragene) bloße Ansetzen der Zunge am äußeren Scheidenbereich (12 Os 183/11w) steht hier nicht in Rede.

Zu der von der Generalprokuratur angeregten amtswegigen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) Aufhebung des Schuldspruchs I/2 bestand somit kein Anlass.

Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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