Spruch:
Vasiliy G***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Mit Beschluss vom 13. Dezember 2011 (ON 9) verhängte das Landesgericht Korneuburg die Auslieferungshaft über Vasiliy G***** aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 29 Abs 1 zweiter Satz ARHG iVm § 173 Abs 2 Z 1 StPO und setzte sie am 23. Dezember 2011 (ON 19) fort. Der dagegen gerichteten Haftbeschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss "mit der Maßgabe nicht Folge", dass die Höhe der vom Erstgericht mit 3.000.000 Euro festgesetzten Kaution auf 1.500.000 Euro reduziert wurde.
Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ergaben sich aus einer auf einem internationalen "Haftbefehl des Stadtgerichts Korolevskiy/Moskau vom 11. Juli 2011, Aktenzeichen 126131" basierenden INTERPOL-Fahndung hinreichende Gründe für die Annahme, die betroffene Person habe eine der Auslieferung unterliegende strafbare Handlung, nämlich eine in Österreich dem Verbrechen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB ("Sektion 4, Artikel 159 des russischen Strafgesetzbuches") subsumierbare Straftat begangen (§ 29 Abs 1 erster Satz ARHG). Die INTERPOL-Fahndung enthielt folgende Sachverhaltsdarstellung:
Vasiliy G***** habe "im September 2010 in der Region Moskau im Rahmen des Bauprojekts ‚O*****' mit einem Mittäter den Geschäftsführer des Unternehmens ‚T*****' unter Nutzung des Vertrauensverhältnisses dazu gebracht", "eine Akzeptanzerklärung für bereits realisierte Bauarbeiten und Konstruktionskosten zu unterschreiben, ohne dass die erwähnten Bauarbeiten erbracht worden waren und der Gesamtschaden USD 3,990.000,-- zum Nachteil der ‚T*****' betrug" (ON 26 S 1 ff iVm ON 2 S 43 ff und S 53).
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde der betroffenen Person schlägt fehl.
Sie wendet zunächst ein, der bekämpfte Beschluss enthalte - insbesondere zur subjektiven Tatseite - keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für eine Beurteilung der angelasteten Tat als nach österreichischem Recht gerichtlich strafbare Handlung (vgl § 11 Abs 1 ARHG), insbesondere als das vom Beschwerdegericht angenommene Verbrechen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB. Das Vorbringen (§ 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) übersieht jedoch, dass die zu den Begründungserfordernissen bei der Untersuchungshaft ergangene Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0119859) nicht ohne weiteres auf Entscheidungen über die Auslieferungshaft übertragen werden kann. Auf die Auslieferungshaft sind nämlich die Bestimmungen über die Untersuchungshaft sinngemäß nur anzuwenden, soweit sich aus dem ARHG nichts anderes ergibt (§ 29 Abs 1 zweiter Satz ARHG). Folgende Regelungen sind in Bezug auf die Auslieferungshaft im gegebenen Zusammenhang maßgeblich:
Gemäß (§ 27 Abs 1 ARHG iVm) Art 16 Abs 1 und Abs 2 des (hier im Verhältnis zur Russischen Föderation anwendbaren) Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (BGBl 1969/320) können die zuständigen Behörden des ersuchenden Staates in dringenden Fällen um vorläufige Verhaftung der gesuchten Person ersuchen. In dem Ersuchen ist anzuführen, dass eine der in Art 12 Abs 2 lit a dieses Übereinkommens genannten Urkunden (in der Regel ein Haftbefehl) vorhanden ist und die Absicht besteht, ein Auslieferungsersuchen zu stellen; ferner sind darin die strafbare Handlung, derentwegen um Auslieferung ersucht werden wird, Zeit und Ort ihrer Begehung und, soweit möglich, die Beschreibung der gesuchten Person anzugeben. Zufolge eines von Österreich zu Art 16 Abs 2 dieses Übereinkommens abgegebenen Vorbehalts ist auch eine kurze Darstellung des der verlangten Person zur Last gelegten Sachverhalts beizufügen. Die (im Zeitpunkt des angefochtenen Beschlusses gegebene) vorläufige Auslieferungshaft darf 40 Tage vom Zeitpunkt der Verhaftung nicht überschreiten (Art 16 Abs 4 Europäisches Auslieferungsübereinkommen). INTERPOL-Fahndungen sind derartigen Ersuchen um vorläufige Verhaftung - wenn sie (wie hier) deren Kriterien erfüllen - gleichgestellt (§ 6 Abs 2 zweiter Satz FaV 2009 [gemeinsame Fahndungsvorschrift der Bundesministerien für Inneres, für Justiz und für Finanzen, BMI-LR1000/0166-II/BK/2.3/2009]; vgl Göth-Flemmich in WK² ARHG § 29 Rz 2; Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, 275 ff).
Zudem ist das Auslieferungsverfahren der kontinentaleuropäischen Rechtstradition entsprechend vom formellen Prüfungsprinzip beherrscht, das heißt, Behörden im ersuchten Staat haben grundsätzlich vom Sachverhalt auszugehen, wie er im Ersuchen um Auslieferung (oder vorläufige Verhaftung) dargestellt wird (RIS-Justiz RS0125233). Eine Überprüfung dieses Sachverhalts findet nur bei dagegen bestehenden erheblichen Bedenken statt (§ 33 Abs 2 ARHG). Der für das Auslieferungsverfahren (und für die Verhängung der Auslieferungshaft) hinreichende Tatverdacht wird bei schlüssigen Auslieferungsunterlagen vermutet (RIS-Justiz RS0087119; Göth-Flemmich in WK² ARHG § 29 Rz 27 und § 33 Rz 3; Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, 292 f; vgl zu Art 5 Abs 1 lit f MRK, der für die Auslieferungshaft - anders als Abs 1 lit c für die Untersuchungshaft - hinreichenden Tatverdacht nicht als Voraussetzung vorsieht: Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 21 Rz 25).
Anders als bei der Entscheidung über die Untersuchungshaft (vgl § 174 Abs 3 Z 4 StPO) hat das (Beschwerde-)Gericht im Beschluss über Verhängung oder Fortsetzung der Auslieferungshaft demnach zum Tatverdacht keine eigenen Sachverhaltsannahmen zu treffen, sondern die in den Auslieferungsunterlagen (hier: der INTERPOL-Fahndung) enthaltene Sachverhaltsschilderung dahingehend zu prüfen, ob sich daraus schlüssig ein hinreichender Verdacht der Begehung einer der Auslieferung unterliegenden strafbaren Handlung ergibt. Nicht die Vollständigkeit und die mängelfreie Begründung der Sachverhaltsannahmen (zu allen Tatbestandsmerkmalen) in der bekämpften Entscheidung ist daher Bezugspunkt der den Tatverdacht in Frage stellenden Grundrechtsbeschwerde, sondern die den Kriterien des § 29 Abs 1 (iVm § 33 Abs 2) ARHG entsprechende (Schlüssigkeits-)Prüfung.
Weshalb aus der im angefochtenen Beschluss referierten Sachverhaltsdarstellung der INTERPOL-Fahndung ein hinreichender Verdacht der Begehung eines nach österreichischem Recht §§ 146, 147 Abs 3 StGB subsumierbaren Verhaltens nicht schlüssig ableitbar wäre, vermag der Beschwerdeführer nicht darzulegen. Eine "abschließende juristische Beurteilung" im Sinn einer Rückführung sämtlicher Merkmale des in Rede stehenden (österreichischen) Tatbestands auf diese (von der zuständigen Behörde des ersuchenden Staats zur Verfügung gestellte) Sachverhaltsgrundlage (vgl zum Syllogismus der Rechtsfolgebestimmung: Ratz, WK-StPO § 281 Rz 4) war vom Beschwerdegericht - wie dieses zutreffend erkannte (ON 26 S 7) - nicht vorzunehmen.
Soweit die Beschwerde das Fehlen einer "Feststellung hinsichtlich des Tatzeitpunktes" behauptet und eine mögliche Verjährung der Tat in den Raum stellt (§ 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO), verfehlt sie die Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung (vgl ON 26 S 1).
Die Höhe einer Kaution ist unter dem Aspekt des Grundrechtsschutzes nur insoweit relevant, als sie nicht unverhältnismäßig in Relation sowohl zu den persönlichen Verhältnissen einschließlich der finanziellen Lage des Angeklagten (hier: der betroffenen Person) als auch zum Gewicht der Straftat und ihren Folgen sein, mit anderen Worten ihre Festsetzung nicht willkürlich erfolgen darf (RIS-Justiz RS0126238; Kier in WK² GRBG § 2 Rz 61; vgl auch Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 180 Rz 7; zur Rsp des EGMR: Meyer-Ladewig, EMRK³ Art 5 Rz 80; Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 21 Rz 33). Das Beschwerdegericht hat das diesbezügliche, geringere Leistungsfähigkeit bloß behauptende Vorbringen der Haftbeschwerde (ON 26 S 3 ff iVm ON 22 S 6) erörtert, sich bei der Herabsetzung der Kaution auf 1.500.000 Euro am Gewicht der angelasteten Straftat und dem (überdurchschnittlich hohen) Einkommen des Beschwerdeführers (nach dessen Angaben: 15.000 Schweizer Franken netto monatlich ON 8 S 1) orientiert und darauf hingewiesen, dass darüber hinaus "bisher keine unbedenklichen Unterlagen über Einkommen und Vermögen des Betroffenen" vorliegen (ON 26 S 9). Eine willkürliche Festsetzung der Kautionshöhe liegt der Grundrechtsbeschwerde zuwider nicht vor.
Diese war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
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