European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00121.17V.1206.000
Spruch:
Der Beschluss des Landesgerichts Linz als Vollzugsgericht vom 3. November 2011, GZ 24 BE 161/11v‑11, verletzt § 47 Abs 2 StGB.
Gründe:
1. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. Mai 2007, AZ 141 Hv 51/07i, wurde Osman Ö***** gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Mit Entscheidungen der Vollzugsgerichte vom 5. Mai 2008, 5. Mai 2009 und 20. Oktober 2010 wurde die bedingte Entlassung des Osman Ö***** aus der Maßnahme gemäß § 21 Abs 1 StGB jeweils abgelehnt (ON 1 S 2 f des Vollzugsakts AZ 24 BE 161/11v des Landesgerichts Linz).
2. Mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 8. Oktober 2009, AZ 9 Hv 139/09p, wurde der für zum Zeitpunkt der Anlasstaten zurechnungsfähig befundene Osman Ö***** zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, weil er im Rahmen des Maßnahmenvollzugs andere gefährlich bedroht und eine Person schwer verletzt hatte. Unter einem wurde seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB angeordnet.
3. Mit gemäß „§ 47 StGB“ gefasstem Beschluss des Landesgerichts Linz als Vollzugsgericht vom 3. November 2011, GZ 24 BE 161/11v‑11, wurde Osman Ö***** aus der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. Mai 2007, AZ 141 Hv 51/07i, gemäß § 21 Abs 1 StGB angeordneten Maßnahme mit Wirksamkeit vom 7. Dezember 2011 unter Bestimmung einer Probezeit von fünf Jahren bedingt entlassen. Unter einem wurde „ausdrücklich“ festgestellt, „dass die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB aufrecht bleibt“. Nach den auf einen Bericht des Forensischen Zentrums Asten gestützten Ausführungen des Vollzugsgerichts habe sich der Zustand des oberflächlich krankheits- und deliktseinsichtigen Osman Ö*****, der eine mangelnde Impulskontrolle und eine niedrige Frustrationsschwelle aufweise, durch die gewährleistete Dauermedikation und Betreuung dahingehend geändert, dass ein die Zurechnungsfähigkeit ausschließender Zustand nicht mehr vorliege. Durch weitergehende entsprechende Behandlung sei ein weiterer Aufenthalt in einer Einrichtung zum Maßnahmenvollzug nach § 21 Abs 1 StGB nicht mehr notwendig. Die aus der Persönlichkeitsstörung resultierende spezifische Gefährlichkeit, gegen die sich die Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB gerichtet habe, liege nicht bzw nicht mehr in diesem Maße vor. Daher sei eine bedingte Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug nach § 21 Abs 1 StGB aus Sicht des Forensischen Zentrums Asten zu befürworten, aber nur unter der Bedingung, dass die Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB aufrecht erhalten werde, um die erforderliche Behandlung sicherzustellen.
Mit am 26. Juli 2016 in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 20. Juli 2016, AZ 10 Hv 43/15x, wurde Osman Ö***** weiterer während des Maßnahmenvollzugs am 9. Juli 2014 begangener Vergehen für schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht vom 1. September 2017, AZ 181 BE 115/17f, wurde die Notwendigkeit seiner weiteren Anhaltung in der Anstalt festgestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschluss des Landesgerichts Linz als Vollzugsgericht vom 3. November 2011, GZ 24 BE 161/11v‑11, steht, wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 Abs 1 StPO zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Nach § 25 Abs 1 StGB sind vorbeugende Maßnahmen auf unbestimmte Zeit anzuordnen und solange zu vollziehen, wie es ihr Zweck erfordert. Wurde die Anstaltsunterbringung mehrfach angeordnet (vgl dazu RIS‑Justiz RS0090406), ist die Einweisungsdauer im Fall von Anordnungen nach § 21 Abs 1 und 2 StGB nach oben hin unbestimmt, nach unten hin durch die Strafzeit begrenzt (vgl RIS‑Justiz RS0124358).
Zur zumindest jährlich (§ 25 Abs 3 StGB) vorzunehmenden Prüfung der Notwendigkeit der weiteren Anhaltung in der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ist das Vollzugsgericht zuständig (§ 162 Abs 2 Z 1 StVG). Dieses hat die bedingte Entlassung aus der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher zu verfügen, wenn nach der Aufführung und der Entwicklung des Angehaltenen in der Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen anzunehmen ist, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, nicht mehr besteht (§ 47 Abs 2 StGB) oder wenn anzunehmen ist, dass der Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme gerichtet hat, nunmehr auch außerhalb der Anstalt wirksam begegnet werden kann (vgl Pieber in WK 2 StVG § 162 Rz 4; Ratz in WK 2 StGB § 47 Rz 5 bis 8). Kann der Gefährlichkeit nur im Maßnahmenvollzug der §§ 164 ff StVG (vgl Ratz in WK 2 StGB § 45 Rz 15) wirksam begegnet werden, kommt eine bedingte Entlassung des Angehaltenen nicht in Betracht.
Der Ausspruch der bedingten Entlassung des Rechtsbrechers aus der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB neben der Anordnung der Fortsetzung der Anstaltsunterbringung nach § 21 Abs 2 StGB widerspricht somit der Regelung des § 47 Abs 2 StGB.
Mangels dadurch bewirkten Nachteils für den Betroffenen (vgl § 54 Abs 5 StGB) war die Gesetzesverletzung (bloß) festzustellen (§ 292 vorletzter und letzter Satz).
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