Spruch:
Die Sache wird dem Oberlandesgericht Wien zur Zuweisung an das zuständige Gericht übermittelt.
Text
Gründe:
Mit Anklageschrift vom 21. Juni 2010 (ON 40) legt die Staatsanwaltschaft Wien Abdoulaye B***** mehrere Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 3 SMG (A) und das Verbrechen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 SMG (B) zur Last.
Danach ist er verdächtig, vorschriftswidrig rund 3,7 kg Heroin mit einer Reinsubstanz von ca 60 Gramm Heroinbase und etwa 10 Gramm Monoacetylmorphinbase
(A) vom 21. März bis zum 22. März 2010 aus Belgien aus- und über Deutschland im Bereich Suben nach Österreich eingeführt und
(B) am 22. März 2010 während der Fahrt von Suben nach Wien mit dem Vorsatz besessen und befördert zu haben, dass es dort in Verkehr gesetzt werde.
Abdoulaye B***** hat innerhalb der dafür vorgesehenen vierzehntägigen Frist (§ 213 Abs 2 erster Satz StPO) keinen Einspruch gegen die Anklageschrift erhoben.
Am 24. Juni 2010 teilte das Landesgericht für Strafsachen Wien dem Oberlandesgericht gemäß § 213 Abs 6 zweiter Satz StPO mit, dass es Bedenken gegen seine Zuständigkeit habe (ON 42). Dieses legte - nach Verneinen des Vorliegens eines der in § 212 Z 1 bis 4 StPO genannten Einspruchsgründe - mit Verfügung vom 8. Juli 2010 die Akten gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz (iVm § 213 Abs 6 letzter Satz) StPO dem Obersten Gerichtshof vor, weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei.
Rechtliche Beurteilung
Nach § 37 Abs 1 erster Satz StPO ist im Fall gleichzeitiger Anklage einer Person wegen mehrerer Straftaten das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Dabei ist gemäß § 37 Abs 2 erster Satz StPO unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere zuständig. Den Fall, dass für die gemeinsame Verfahrensführung mehrere untereinander gleichrangige Gerichte in Frage kommen, regelt § 37 Abs 2 StPO im zweiten und dritten Satz dahin, dass insoweit grundsätzlich die frühere Straftat zuständigkeitsbegründend wirkt (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO). Wenn jedoch für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Gericht zuständig war, in dessen Sprengel auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll, so ist - unabhängig von der zeitlichen Reihenfolge der Taten - dieses Gericht zuständig (§ 37 Abs 2 dritter Satz StPO). Der dritte Satz des § 37 Abs 2 StPO normiert somit eine - der Verfahrensökonomie dienende - Ausnahme zum zweiten Satz dieser Bestimmung, lässt aber deren ersten Satz unberührt (RIS-Justiz RS0124935, RS0125227).
Fallbezogen bedeutet dies, dass die dem Anklagepunkt B zu Grunde liegende Tat für die Bestimmung der Zuständigkeit bedeutungslos ist, weil dieser Vorwurf einzelrichterliche (§ 31 Abs 4 Z 1 StPO), das von A der Anklageschrift umfasste Tatgeschehen hingegen schöffengerichtliche (§ 31 Abs 3 Z 1 StPO) Zuständigkeit begründet.
Zum Anklagepunkt A legt die Staatsanwaltschaft Abdoulaye B***** die zweimalige Aus- und Einfuhr der selben Suchtgiftquantität und solcherart die Verwirklichung von zwei realkonkurrierenden Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 3 SMG zur Last (13 Os 105/03, 14 Os 164/08m). Ausgehend von der - wie dargelegt hier maßgebenden - Bestimmung des § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO gibt somit für die Zuständigkeit der - zeitlich frühere, wenngleich im Ausland begangene, so doch nach § 64 Abs 1 Z 4 StGB den österreichischen Strafgesetzen unterliegende - angeklagte Suchtgifttransport von Belgien nach Deutschland den Ausschlag.
Liegt der Tatort - wie hier - im Ausland, so ist für die Gerichtszuständigkeit der Ort maßgebend, an dem der Erfolg eingetreten ist oder eintreten hätte sollen, fehlt es an einem solchen, der Ort, an dem der Beschuldigte seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat oder zuletzt hatte, in Ermangelung eines solchen der Ort, an dem er betreten wurde (§ 36 Abs 3 zweiter Satz StPO).
Da bei der Ein- und Ausfuhr von Suchtgift kein Erfolg im strafrechtlichen Sinn, nämlich keine von der Tathandlung zumindest gedanklich abtrennbare Wirkung in der Außenwelt eintritt, kommt die Erfolgsanknüpfung hier nicht in Betracht (vgl Kienapfel/Höpfel AT12 Z 9 Rz 6 bis 9).
Nach der Aktenlage hat der Angeklagte in Österreich weder einen Wohnsitz noch einen Aufenthaltsort (s insbesonders ON 14 S 17, ON 18 S 1). Da den Akten auch keine gesicherten Anhaltspunkte für einen früheren österreichischen Wohn- oder Aufenthaltsort zu entnehmen sind, ist für die örtliche Zuständigkeit der Ort der Betretung maßgebend, nach dem Abschlussbericht des Landeskriminalamts Wien somit der dritte Wiener Gemeindebezirk (ON 14 S 9, 27).
In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur waren die Akten daher dem Oberlandesgericht Wien zu übermitteln, das gemäß § 215 Abs 4 erster Satz StPO die Sache dem zuständigen Landesgericht zuzuweisen hat.
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