OGH 12Os85/20x

OGH12Os85/20x10.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. September 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Haslwanter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Weinhandl in der Strafsache gegen Stipo O***** wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 20. Februar 2020, GZ 13 Hv 145/19f‑10, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00085.20X.0910.000

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch V./ und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang, und zwar

1. im Betreff des kassierten Schuldspruchs V./ mit dem Auftrag, hinsichtlich des daraus zugrundeliegenden Verhaltens gemäß § 37 SMG vorzugehen,

2. im Übrigen zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wels zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Stipo O***** des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach (richtig:) §§ 127, 131 erster Fall StGB (I./), des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (II./), des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III./), des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (IV./) und des Vergehens (richtig: der Vergehen) des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (V./) schuldig erkannt.

Danach hat er – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – in W*****

I./ am 29. September 2019 bei einem Diebstahl auf frischer Tat betreten, Gewalt gegen eine Person, und zwar gegen Firat K***** angewandt, um sich die weggenommene Sache, nämlich eine 20‑Euro‑Banknote zu erhalten, indem er den Genannten von sich wegschubste, als dieser das Geld, welches Stipo O***** ihm zuvor weggenommen hatte, zurückforderte und ihm sodann eine Ohrfeige und einen Faustschlag gegen den Kopf versetzte, wodurch der Genannte eine offene Nasenbeinfraktur mit Beteiligung der Nasenscheidewand erlitt;

V./ vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar Heroin, Kokain, Cannabis und Metamphetamin von November 2019 bis 15. Jänner 2020 erworben und besessen, wobei er die Straftaten ausschließlich zum persönlichen Gebrauch begangen hat.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen den Schuldspruch I./ aus Z 5, 5a und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten versagt.

Der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider stehen die aus den Angaben der Zeugen K***** und A***** gezogenen Schlussfolgerungen der Tatrichter (US 5 ff) den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen nicht entgegen und sind daher unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (vgl RIS‑Justiz RS0116732).

Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) liegt nur bei einer erheblich unrichtigen oder unvollständigen Wiedergabe des Inhalts einer Urkunde oder einer Aussage vor. Mit dem Einwand, von den Tatrichtern aus den Angaben des Zeugen K***** gezogene Schlussfolgerungen fänden im Akteninhalt keine Deckung, wird der herangezogene Nichtigkeitsgrund gerade nicht geltend gemacht (vgl RIS‑Justiz RS0099431).

Weshalb die allfällige Beeinträchtigung des Angeklagten durch Suchtgift in einem erörterungspflichtigen Widerspruch (Z 5 zweiter Fall) zu den Konstatierungen hinsichtlich seiner subjektiven Ausrichtung stehen soll, macht die Rüge nicht klar.

Soweit der Beschwerdeführer den Erwägungen der Tatrichter nach Maßgabe eigener Beweiswertüberlegungen seine eigene Verantwortung sowie isoliert hervorgehobene Depositionen der Zeugen K***** und A***** gegenüberstellt, bekämpft er bloß die Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) auf das Vorbringen zur Mängelrüge verweist, vernachlässigt sie den wesensmäßigen Unterschied der Nichtigkeitsgründe (RIS‑Justiz RS0115902; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.31). Als gleichsam prozessordnungswidrig ausgeführt präsentiert sich die Beschwerde mit dem Rekurs auf den Zweifelsgrundsatz und der bloßen Behauptung des Fehlens von Beweisen (vgl RIS‑Justiz RS0117445 [T2], RS0128874).

Die Subsumtionsrüge (Z 10) geht an den Konstatierungen vorbei, wonach der Angeklagte unmittelbar nach der Sachwegnahme durch das Opfer aufgefordert wurde, das Geld zurückzugeben (US 3 f). Solcherart wird nicht deutlich, weshalb eine Betretung im Sinn des § 131 StGB nicht vorliegen sollte.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon, dass dem Schuldspruch V./ eine sich zum Nachteil des Angeklagten auswirkende Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10a StPO) anhaftet, die von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Nach den Feststellungen hat der Angeklagte die im Spruch genannten verbotenen Substanzen ausschließlich für den eigenen persönlichen Gebrauch erworben und besessen (US 2 und 5).

Wurden durch die Taten § 27 Abs 1 und Abs 2 SMG verwirklicht, so ist Diversion nach § 35 Abs 1 (iVm § 37) SMG – bei Vorliegen auch der sonstigen Voraussetzungen und Bedingungen (§ 35 Abs 3 bis 7 SMG) – stets geboten (RIS‑Justiz RS0131952). Der Umstand, dass der Angeklagte weiterer, mit dem Suchtmittelgesetz in keinem Zusammenhang stehender Verbrechen oder Vergehen schuldig erkannt wird, hindert eine solche vorläufige Verfahrenseinstellung nicht (RIS‑Justiz RS0113621; Schroll, WK‑StPO § 203 Rz 33/1).

Weil das Erstgericht, nachdem es dennoch nicht nach § 37 SMG vorgegangen ist, im Urteil keine ein solches diversionelles Vorgehen (etwa mangelnde Bereitschaft zu einer gesundheitsbezogenen Maßnahme; vgl § 35 Abs 6 SMG) ausschließende Konstatierung traf, liegt ein Rechtsmangel vor, der die (implizite rechtliche) Annahme der Beseitigung eines (nach dem Urteilssachverhalt gegebenen) Ausnahmesatzes (vorliegend Diversion) unschlüssig macht (vgl RIS‑Justiz RS0122332 [T11]). Dies erfordert die Kassation des Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich, sohin ein Vorgehen gemäß § 288 Abs 2 Z 2a StPO (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO iVm § 285e StPO).

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung, welche die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

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