European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0120OS00081.19G.0812.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ali A***** des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach § 85 Abs „1 Z 2 und Abs 2“ (richtig: Abs 2) StGB (I./) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.
Danach hat er am 30. Jänner 2018 in W***** andere mit einem nicht mehr feststellbaren spitzen Gegenstand am Körper verletzt, und zwar
I./ Ahmad T*****, indem er ihm eine ca 20 cm lange, über die gesamte linke Wange, von der Stirn bis unterhalb des Unterkieferrandes reichende, die Mundschleimhaut nicht durchtrennende, jedoch bis an die Faszie der Muskulatur reichende Schnittwunde sowie eine ca 10 cm lange, an der linken Stirnseite bis zum Augenlid reichende, im unteren Bereich in die Tiefe gehende Schnittwunde sowie eine ca 7 cm lange klaffende, in unterschiedlicher Tiefe im Bereich der Drosselgrube ohne Kommunikation zur Trachea reichende Schnittwunde sowie eine 5 cm lange Schnittwunde unterhalb des Kinns zufügte, und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, für immer oder für lange Zeit eine schwere Dauerfolge, nämlich eine auffallende Verunstaltung (§ 85 Abs 1 Z 2 StGB) im Gesichtsbereich, herbeigeführt;
II./ Dored K*****, indem er ihm einen Kratzer im Brustbereich zufügte.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 10 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten schlägt fehl.
Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wies das Schöffengericht den Antrag auf „Enthebung des bestellten Dolmetsch E***** und Beiziehung eines Dolmetsch für die arabische Sprache mit besonderer Berücksichtigung des irakischen Dialekts“ (ON 68 S 2) ohne Verletzung von Verteidigungsrechten ab. Denn mit der bloßen Behauptung, der Angeklagte habe anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung im Beisein des genannten Dolmetschers von „Beulen“ berichtet, was „keinen Eingang ins Protokoll fand“, und der schlichten Mutmaßung, der Dolmetscher hätte dies wohl mangels Kenntnis des arabischen Wortes für „Beulen“ nicht übersetzt und würde auch sonst Inhalte „nur verkürzend“ wiedergeben (ON 68 S 2 iVm ON 70), wurde kein die Befangenheit des Dolmetschers oder ein die Annahme rechtfertigendes Sachverhaltssubstrat dargetan (§ 126 Abs 4 StPO), dass dem Dolmetscher die erforderliche Sachkunde zur Übersetzung aus der arabischen Sprache gefehlt hätte (vgl Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 180 f).
Der Mängelrüge (Z 5 erster Fall) zuwider ist die Konstatierung, dass der Angeklagte die zu II./ abgeurteilte Tat „entweder vor oder nach der Verletzung des T*****“ beging (US 5), nicht undeutlich. Diese stellt vielmehr eine die „abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts“ gerade nicht hindernde und somit zulässige Wahlfeststellung dar (vgl RIS-Justiz RS0098710).
Der weitere (zum Schuldspruch I./ erhobene) Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) in Bezug auf die Aussage des Zeugen Dored K***** ist nicht berechtigt. Die Tatrichter haben dessen Depositionen nicht unberücksichtigt gelassen, sondern kritisch gewürdigt, wobei sie die Widersprüchlichkeit der Angaben des Zeugen in Rechnung stellten, aber diesem im Umfang eines nicht durch Notwehr gedeckten Angriffs des Angeklagten gegen Ahmad T***** Glaubwürdigkeit zuerkannten (US 7). Dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend war der Schöffensenat somit nicht verpflichtet, weitere Details dieser Zeugenaussage zu erörtern.
Da nur sinnliche Wahrnehmungen von Tatsachen, nicht aber persönliche Einschätzungen Gegenstand einer Zeugenaussage sein können (RIS-Justiz RS0097540), musste sich das Erstgericht auch nicht mit den Vermutungen des Zeugen T***** darüber, ob der Angeklagte einen Angriff erwartet habe (ON 55 S 3), auseinandersetzen.
Aus welchem Grund Angaben des Zeugen Ab*****, wonach sich der Angeklagte „mit einem Mann“ geschlagen habe, den zu entscheidenden Tatsachen getroffenen Konstatierungen erörterungsbedürftig entgegenstehen sollen, gibt die Rüge, die im Übrigen auch eine diese Angaben betreffende Fundstelle im Akt nicht bezeichnet (RIS-Justiz RS0124172), nicht bekannt.
Ebensowenig macht die Beschwerde deutlich, weshalb sich die Tatrichter damit hätten befassen müssen, dass der Angeklagte laut – der im Übrigen ohnedies berücksichtigten (US 9 f) – Verletzungsanzeige des Donauspitals vom 31. Jänner 2018 (ON 3 S 73) multiple Prellungen erlitten haben soll.
Gleiches gilt für das von der Beschwerde ins Treffen geführte Verhalten des Angeklagten nach der Tat. Weder dessen Anzeigeerstattung noch sein Hinweis auf eine (vermeintlich) vor Ort befindliche Überwachungskamera bedurften unter dem Aspekt der Z 5 zweiter Fall einer Erörterung.
Soweit der Beschwerdeführer die zu II./ abgeurteilte Tat bezweifelt, weil weder medizinische Befunde noch Fotos von der Kratzwunde des Dored K***** vorhanden seien, bekämpft er bloß die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.
Die Subsumtionsrüge (Z 10) macht angesichts dessen, dass der Angeklagte lediglich eines auf einer Verletzungshandlung (US 2 f) beruhenden Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen schuldig erkannt wurde (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO), nicht deutlich, weshalb diesem – neben § 85 Abs 2 StGB – zusätzlich ein weiteres Verbrechen nach § 85 Abs 1 Z 2 StGB angelastet worden sein soll.
Bleibt anzumerken, dass das Erstgericht offenbar bloß die Art der schweren Dauerfolge (§ 85 Abs 1 Z 2 StGB) im Erkenntnis näher determinieren wollte, was eingangs ohne weiteres klargestellt werden konnte (vgl Lendl , WK-StPO § 260 Rz 32 mwN).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.
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