OGH 12Os73/15z

OGH12Os73/15z9.7.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Juli 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Leisser als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ismail A***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB, AZ 16 HR 69/15h des Landesgerichts St. Pölten, über die Grundrechtsbeschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 18. Mai 2015, AZ 32 Bs 124/15t, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0120OS00073.15Z.0709.000

 

Spruch:

Ismail A***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Gründe:

In dem von der Staatsanwaltschaft St. Pölten zu AZ 10 St 77/14g gegen Ismail A***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB geführten Ermittlungsverfahren wurde über den Genannten mit Beschluss vom 15. April 2015 aus den Haftgründen der Flucht‑, Verdunkelungs‑ und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit a und b StPO die Untersuchungshaft verhängt (ON 17) und am 28. April 2015 aus den genannten Haftgründen fortgesetzt (ON 27).

Der gegen die Fortsetzung der Untersuchungshaft erhobenen Beschwerde des Beschuldigten gab das Oberlandesgericht mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 18. Mai 2015, AZ 32 Bs 124/15t, nicht Folge und setzte seinerseits die Untersuchungshaft aus den Haftgründen des § 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a und b StPO fort.

Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist der Beschuldigte dringend verdächtig, „sich seit einem noch festzustellenden Zeitpunkt vor März 2014 als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an der terroristischen Vereinigung 'Islamischer Staat', dessen Ziel die Begehung terroristischer Straftaten (§ 278c StGB) ist, beteiligt zu haben, indem er getragen von einer radikal‑religiösen Einstellung im Wissen, dass er dadurch die Vereinigung oder deren strafbare Handlungen förderte, nach Syrien ausreiste und sich zumindest an Kampfhandlungen beteiligte“. Ismail A***** stehe „im dringenden Tatverdacht, es dabei ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden zu haben, dass der 'Islamische Staat' eine terroristische Vereinigung ist, und es für gewiss gehalten zu haben, durch die Teilnahme an Kampfhandlungen diese terroristische Vereinigung bzw deren strafbare Handlungen gefördert zu haben“ (BS 4).

Dieses Verhalten subsumierte das Oberlandesgericht als Verdachtsgrundlage für die Annahme des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB.

Den als dringend anzunehmenden Tatverdacht gründete das Oberlandesgericht auf die im Anlassbericht des Landesamts Verfassungsschutz Niederösterreich vom 17. November 2014 (ON 2) sowie in weiteren Berichten vom 24. November 2014 (ON 3), vom 16. Jänner 2015 (ON 4), vom 2. April 2015 (ON 5) und vom 14. April 2015 (ON 8a) zusammengefassten Polizeierhebungen, insbesondere auf die Angaben eines anonymen Zeugen (BS 4 f).

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen gerichteten Grundrechtsbeschwerde des Ismail A***** kommt keine Berechtigung zu.

Da ‑ anders als bei einer Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht ‑ nicht die Haft, sondern die Entscheidung über die Haft den Gegenstand des Erkenntnisses über eine Grundrechtsbeschwerde bildet und § 3 Abs 1 GRBG hinsichtlich der dort angeordneten Begründungspflicht nichts anderes vorsieht (vgl § 10 GRBG), kann im Verfahren über eine Grundrechtsbeschwerde nach ständiger Rechtsprechung die Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts nach Maßgabe der Voraussetzungen der Mängel‑ und der Tatsachenrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO) in Frage gestellt werden (RIS‑Justiz RS0110146, RS0114488).

Indem der Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit des am 23. März 2015 anonym aussagenden (§ 162 StPO) Zeugen bestreitet, bekämpft er lediglich in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung.

Das gilt auch für das weitere Vorbringen, die Begründung des Oberlandesgerichts, die Angaben des Zeugen würden durch ein Foto, auf welchem Ismail A***** vor einer IS‑Flagge zu sehen ist, gestützt, wäre nicht nachvollziehbar, sowie für die Behauptung, wonach die mehrmonatige Abwesenheit des Beschuldigten aus Österreich im Jahr 2014 nicht als Indiz für die Wahrheit der Angaben des anonym aussagenden Zeugen angenommen werden könnte. Warum sich aus den Erwägungen des Beschwerdegerichts, wonach die Angaben des Zeugen als glaubwürdig anzusehen seien, „mag sich dieser auch bei den konkreten Daten der Hin‑ und Rückreise irren“, hervorgehe, dass sich die Richter „mit der bisher vorliegenden Beweislage inhaltlich so gut wie gar nicht auseinander gesetzt“ hätten, lässt sich nicht nachvollziehen. Von einer willkürlichen oder offenbar unzureichend begründeten Annahme des Tatverdachts im Sinn der Z 5 vierter Fall kann nicht die Rede sein.

Die Kritik, das Beschwerdegericht lasse offen, ob die Mitgliedschaft des Beschuldigten „entweder zum IS oder zum Emirat Kaukasus oder zu einer anderen nicht genannten terroristischen Vereinigung angenommen wird“, bleibt angesichts der wiedergegebenen Verdachtslage, welche sich ausschließlich auf die terroristische Vereinigung Islamischer Staat (IS) bezieht, unverständlich.

Somit geht auch das weitere Vorbringen betreffend die unterschiedlichen Ideologien und Ziele des IS und des Emirats Kaukasus ins Leere.

Soweit der Beschwerdeführer ausführt, betreffend ein gegen ihn laut Anlassbericht ON 2 von Frankreich erlassenes Aufenthaltsverbot wegen angeblicher Mitgliedschaft bei der Terrororganisation Emirat Kaukasus wären „Ermittlungsergebnisse weder beigeschafft noch irgendwie überprüft“ worden, verkennt er, dass unterbliebene Sachverhaltsaufklärung nicht Gegenstand der Mängelrüge ist und auch nicht unter dem Aspekt einer Aufklärungsrüge (vgl Z 5a des § 281 Abs 1 StPO) mit Grundrechtsbeschwerde geltend gemacht werden kann (RIS‑Justiz RS0099400 [T6]).

Den Umstand, dass die Angaben des anonym aussagenden Zeugen über den Aufenthalt des Beschuldigten in Syrien im Widerspruch zu den im Anlassbericht ON 2 dokumentierten Einreisen des Beschuldigten stehen, hat das Beschwerdegericht entgegen dem diesbezüglichen Vorbringen der Grundrechtsbeschwerde nicht unberücksichtigt gelassen (Z 5 zweiter Fall; BS 5).

Indem der Beschuldigte die Angaben des anonym aussagenden Zeugen als „spärlich und vage“ bezeichnet, bekämpft er lediglich die Beweiswürdigung. Das gilt auch für das weitere Vorbringen, wonach man daraus, dass der Beschuldigte „Interesse an seiner Religion“ zeige und „eine Reise in ein Land unternommen habe, in welchem eine hoch anerkannte Islam‑ bzw Koranschule etabliert“ sei, nicht auf seine Zugehörigkeit zum IS schließen könne.

Die nicht näher begründete Behauptung, es hätten sich sämtliche Verdachtsmomente nach den polizeilichen Ermittlungen entkräftet, verfehlt gesetzmäßige Ausführung im Sinn der Z 5 (RIS‑Justiz RS0099563).

Das Vorbringen, es bewege „sich die gesamte Argumentation in Andeutungen und Mutmaßungen“, orientiert sich nicht an der angefochtenen Entscheidung des Oberlandesgerichts.

Im Rahmen des Grundrechtsbeschwerde-verfahrens überprüft der Oberste Gerichtshof die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren (Prognoseentscheidung) darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten nicht oder offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS‑Justiz RS0117806).

Die Annahme der Fluchtgefahr stützte das Beschwerdegericht auf die Angaben des anonym aussagenden Zeugen, wonach der Beschuldigte beabsichtige, nach Syrien zurückzukehren (ON 5 S 17; BS 6 f). Somit kann von Willkür keine Rede sein.

Das diesbezügliche Vorbringen, die Angaben des anonym aussagenden Zeugen wären „durch die Aktenlage als widerlegt anzusehen“, ist mangels näherer Bezeichnung einer meritorischen Erwiderung nicht zugänglich.

Da bei gegebenem dringenden Tatverdacht bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt, erübrigt es sich, im Rahmen der Behandlung der Grundrechtsbeschwerde zu prüfen, ob noch weitere Haftgründe (hier § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO) gegeben sind (RIS‑Justiz RS0061196).

Der Beschwerdeführer wurde somit im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt. Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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