European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00069.17I.1214.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auch einen Freispruch und einen Privatbeteiligtenzuspruch enthaltenden Urteil wurde Besnik U***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I./A./) und des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (I./B./) schuldig erkannt.
Danach hat er in K*****
I./ Ferzana U*****
A./ Anfang Juli 2016 mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie zwischen der Schulter und dem Hals packte, schmerzhaft zudrückte, sie ins Ehebett stieß, festhielt, mit einem Kleidungsstück an den Handgelenken ans Bett fesselte, sie teilweise mit einem Knie und den Händen fixierte, mit einer Hand ihr T‑Shirt und den BH nach oben schob, ihre Unterhose und Leggings und seine Unterhose auszog, mit seinem erigierten Penis in ihre Vagina eindrang, auf Albanisch sagte: „Ich werde dir zeigen, was ein richtiger Mann macht!“, sie mehrere Minuten penetrierte, bis er in ihr ejakulierte, dann von ihr abließ und ihre Fesseln löste;
B./ Mitte August 2016 mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie zwischen Schulter und Hals packte, schmerzhaft zudrückte, sie von hinten an den Haaren packte, ihren Kopf rückwärts Richtung Rücken zog, sodass sie sich nicht mehr bewegen konnte, sie aufforderte, sich die Hose auszuziehen, was sie nicht sogleich tat, sie fest mit Daumen und Zeigefinger im Bereich des Halses drückte, sodass sie aufgrund des Schmerzes nun ihre Hose etwas unter das Gesäß zog, sie aufforderte, das Gesäß anzuheben, sie mit den Händen festhielt und fixierte, versuchte, mit seinem erigierten Penis in ihren Anus einzudringen, sodann ein paar Mal zwischen ihre Pobacken spuckte, mit seinem erigierten Penis in ihren Anus eindrang, worauf sie Schmerzen empfand, als würde sie jemand mit einem Messer stechen, seinen Penis aus ihrem Anus zog, dann noch mindestens vier Mal mit seinem Penis in ihren Anus eindrang und er erst dann von ihr abließ, als die vierjährige Tochter der Ferzana U***** aufgrund der Schreie ihrer Mutter ins Zimmer gekommen war, wobei die Tat eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD‑10: F43.1), somit eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung (§ 84 Abs 1 StGB) der Ferzana U***** zur Folge hatte.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die aus Z 5 und Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Der Erledigung der zum Teil undifferenziert auf Undeutlichkeit, Unvollständigkeit, Widerspruch, offenbar unzureichende Begründung und Aktenwidrigkeit gestützten Mängelrüge (Z 5) sind zunächst folgende wesentliche Grundsätze
voranzustellen:
Eine Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung, wie sie nur die im einzelrichterlichen Verfahren vorgesehene Berufung wegen Schuld ermöglicht, ist im Verfahren vor den Kollegialgerichten nicht vorgesehen (§ 283 Abs 1 StPO). Das Gericht ist gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO verpflichtet, die schriftliche Urteilsbegründung in gedrängter Darstellung abzufassen und darin mit Bestimmtheit anzugeben, welche entscheidenden Tatsachen als erwiesen oder als nicht erwiesen angenommen wurden und aus welchen Gründen dies geschah, ohne dagegen sprechende wesentliche Umstände mit Stillschweigen zu übergehen. Es ist weder gehalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen und Verfahrensergebnisse in extenso zu erörtern und darauf zu untersuchen, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Geschehensvariante sprechen, noch muss es sich mit den Beweisresultaten in Richtung aller denkbaren Schlussfolgerungen und mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde dann konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinandersetzen (RIS-Justiz RS0106295, RS0098377 [insbes T7, T16]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 428). Es hat die Beweismittel nicht nur einzeln, sondern (vor allem) in ihrem inneren Zusammenhang sorgfältig zu prüfen und nicht nach starren Beweisregeln, sondern nach seiner freien, aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (§ 258 Abs 2 StPO; vgl RIS-Justiz RS0106642 [T2]). Dass aus den formell einwandfreien Prämissen auch für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich wären, die Erkenntnisrichter sich aber dennoch (mit logisch und empirisch einwandfreier Begründung) für eine für den Angeklagten ungünstigere Variante entschieden haben, ist als Akt freier Beweiswürdigung mit Mängelrüge nicht bekämpfbar (RIS-Justiz RS0098400, RS0098362).
Bezugspunkt der Mängelrüge (Z 5) ist ausschließlich der Ausspruch des Schöffengerichts über
entscheidende Tatsachen, also – soweit hier von Interesse – über schuld- oder subsumtionsrelevante Tatumstände (RIS‑Justiz RS0106268). Die entscheidenden Tatsachen sind von den erheblichen Tatsachen zu unterscheiden; damit sind Verfahrensergebnisse gemeint, welche die Eignung haben, die dem Gericht durch die Gesamtheit der übrigen Beweisergebnisse vermittelte Einschätzung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer entscheidenden Tatsache maßgebend zu beeinflussen. Mit ihnen muss sich die Beweiswürdigung bei sonstiger Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) auseinandersetzen. Die in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen, welche erst in der gebotenen Gesamtschau mit anderen zum Ausspruch über
entscheidende Tatsachen führen, kann aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht bekämpft werden, es sei denn, die Tatrichter hätten in einem besonders hervorgehobenen Einzelpunkt erkennbar eine notwendige Bedingung für Feststellungen hinsichtlich einer entscheidenden Tatsache erblickt (RIS‑Justiz RS0116737; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 409 f).
Da die aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO eröffnete Urteilskontrolle nur den zu entscheidenden Tatsachen getroffenen, niemals aber nicht vorliegenden Feststellungen gilt (RIS‑Justiz RS0099575 [T5]), gehen die von der Rüge angestellten Spekulationen über die „kulturellen“ Hintergründe der Familie des Tatopfers und behauptete Einflüsse deren männlicher Mitglieder auf die Ehe des Angeklagten unter dem Blickwinkel der Mängelrüge ins Leere. Weshalb zur Beurteilung des Vorwurfs der Vergewaltigung Feststellungen zu diesen Themenbereichen erforderlich gewesen sein sollten, ist – das Vorbringen als Rechtsrüge (Z 9 lit a) verstanden – nicht erkennbar.
Keinen entscheidenden oder erheblichen Umstand betreffen die Ausführungen der Beschwerde zu einer wesentlich besseren Position des Tatopfers in dem im Raum stehenden Scheidungsverfahren, zu den Beweggründen, aus denen der „Männerrat“ der Familie von Ferzana U***** für diese Partei ergriff, zu der Frage, inwieweit das dem Rechtsmittelwerber schließlich erteilte einjährige Visum Sicherheit für einen Verbleib im Inland bot, dazu, dass Ferzana U***** nach den inkriminierten Tathandlungen keinen Arzt aufgesucht und sich nicht in Krankenstand begeben hat, und zu den von ihr und dem Angeklagten vor den Tathandlungen einvernehmlich geübten Sexualpraktiken.
Die spekulative Behauptung, eine festgestellte Vergewaltigung „könnte“ ohne Verlust der Familienehre eine Scheidung rechtfertigen, verfehlt den Bezugspunkt des geltend gemachten formellen Nichtigkeitsgrundes.
Dem Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider ist nicht nachvollziehbar, inwieweit die Angaben des Zeugen Burhan K*****, am Tag der Festnahme des Besnik U***** vom Vorwurf der Vergewaltigung erfahren zu haben (ON 68 S 41), erörterungsbedürftig im Widerspruch dazu stehen sollten, „dass die behauptete Vergewaltigung thematisiert und Grund für das Besprechen der Scheidung war“.
Entgegen dem Vorwurf fehlender Feststellungen ist das Erstgericht ohnedies davon ausgegangen, dass Ferzana U***** zumindest nach dem Vorfall im Juli 2016 noch einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten hatte (US 8).
Unter weitwendiger Wiedergabe der Angaben des Tatopfers anlässlich der Befundaufnahme wendet sich die Mängelrüge (Z 5) gegen die Eignung des vom Erstgericht herangezogenen Sachverständigengutachtens Dris. Dietmar J***** (ON 48, ON 68 S 65 ff), den Eintritt schwerer Verletzungsfolgen zu begründen, und moniert, der Experte habe sich nicht damit auseinandergesetzt, aus welchen Gründen die Zeugin Ferzana U***** bereits nach der Scheidung ihrer ersten Ehe und ihrer Rückkehr nach Österreich in psychiatrischer Behandlung gestanden sei (vgl demgegenüber ON 48 S 17).
Dem ersteren Einwand ist zu entgegnen, dass die Beurteilung der Frage, ob ein Gutachten eines Sachverständigen ausreichend ist, ebenso der freien Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts unterliegt wie die Überzeugungskraft eines im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO mängelfreien Befunds oder Gutachtens (RIS‑Justiz RS0097433, RS0097360). Im Übrigen hat der Angeklagte nach Erörterung des Gutachtens in der Hauptverhandlung (ON 68 S 65 ff) weder eine Mangelhaftigkeit (§ 127 Abs 3 StPO) desselben aufgezeigt, noch eine Überprüfung von Befund und Gutachten durch einen weiteren Sachverständigen beantragt (Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 16; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 351).
Dass die festgestellten Verletzungsfolgen ihre Ursache schon in einer Traumatisierung im Rahmen ihrer ersten Ehe hätten, hat der Sachverständige – der Beschwerde zuwider – im Rahmen seiner Gutachtenserörterung ausdrücklich verneint (ON 68 S 67).
Die gesetzmäßige Darstellung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes erfordert striktes Festhalten an den zum Tatsächlichen getroffenen Urteilsfeststellungen in ihrer Gesamtheit und die auf dieser Grundlage zu führende Darlegung, dass dem Gericht bei der Beurteilung des Urteilssachverhalts ein Rechtsirrtum unterlaufen sei (RIS‑Justiz
Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) die vom Erstgericht getroffenen Konstatierungen mit der Forderung weiterer Festellungen zu bereits in der Mängelrüge aufgeworfenen Beschwerdepunkten zu bestreiten sucht, verfehlt sie den dargestellten Anfechtungsrahmen des geltend gemachten materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidigung bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§ 285i StPO).
Das im Nachhang von der Verteidigung vorgelegte, lediglich eine andere Beweiswürdigung zu den den Angeklagten belastenden Angaben des Tatopfers enthaltende Scheidungsurteil des Bezirksgerichts Krems an der Donau vom 11. Juli 2017, GZ 10 C 34/16d‑19, hatte schon im Hinblick auf das im Nichtigkeitsverfahren geltende Neuerungsverbot ebenso außer Betracht zu bleiben wie die zwecks Information über dessen Rechtskraft und den am 21. Juni 2017 erfolgten, ebenfalls in Rechtskraft erwachsenen Freispruch von Flamur K***** und Fitim K***** von den wider sie erhobenen Vorwürfen der falschen Zeugenaussage und der Verleumdung erstatteten Schriftsätze.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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