OGH 12Os69/09b

OGH12Os69/09b4.6.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Juni 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll und Dr. T. Solé, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Schmid als Schriftführer in der Strafsache gegen Vedran J***** wegen des Verbrechens des schweren und durch Einbruch begangenen gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 1 und Z 4, 129 Z 1, 130 erster Fall, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Jugendschöffengericht vom 13. Jänner 2009, GZ 41 Hv 125/08a-57, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen III, IV/1/f und IV/3/a sowie in der rechtlichen Unterstellung der vom Schuldspruch II umfassten Taten auch unter § 148 zweiter Fall StGB, demzufolge auch im Strafausspruch und in der Maßnahmeanordnung aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit ihrer Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Vedran J***** der Verbrechen des schweren und durch Einbruch begangenen gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 1 und Z 4, 129 Z 1, 130 erster Fall, 15 StGB (I) und des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, 148 zweiter Fall StGB (II) sowie der Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (III), der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (IV), des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach § 148a Abs 1 StGB (V) und der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 StGB (VI) schuldig erkannt und hiefür zu einer nach § 43 Abs 1 StGB bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten verurteilt. Unter einem wurde die Unterbringung des Vedran J***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB angeordnet.

Danach hat er in Salzburg und anderen Orten teils im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit im Urteil teils namentlich genannten, teils unbekannt gebliebenen Mittätern

I. von 21. November 2006 bis zum 6. Juli 2008 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von (einfachen) Diebstählen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, in elf Fällen, davon in einem Fall durch Eindringen in ein Transportmittel mit einem widerrechtlich erlangten Schlüssel (I/4) und in zwei Fällen unter Ausnützung eines Zustands der Bestohlenen, der sie hilflos machte (I/1/a, I/2 = US 18, 19), im Urteil namentlich genannten Geschädigten einen PKW, Bargeld, zwei MP3-Player, drei Mobiltelefone, Bekleidungsstücke, Elektrogeräte, Parfums und andere Wertgegenstände im Gesamtwert von insgesamt zumindest 19.789,69 Euro weggenommen und wegzunehmen versucht (I/7-9);

II. von 28. Juni 2008 bis 5. Juli 2008 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von schwerem (§ 147 Abs 1 Z 1 StGB) Betrug eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen in ca 13 Fällen im Urteil namentlich genannte Personen durch Täuschung über Tatsachen, teilweise unter Verwendung entfremdeter unbarer Zahlungsmittel (II/2-4), in einem Fall durch Vorgabe seiner Zahlungswilligkeit und -fähigkeit, in den anderen Fällen durch Täuschung über seine Verfügungsberechtigung über die verwendeten Bankomat- und Visakarten, zur Ausfolgung von Speisen, Getränken und Zigaretten sowie zur Gewährung von Dienstleistungen und Chauffeurdiensten verleitet und zu verleiten versucht (II/2 und 3), wodurch im Urteil namentlich genannte Geschädigte in Höhe von insgesamt zumindest 485 Euro am Vermögen geschädigt wurden und werden sollten;

III. sich gewerbsmäßig unbare Zahlungsmittel, über die er nicht verfügen durfte, mit dem Vorsatz verschafft, dass er oder ein Dritter durch deren Verwendung im Rechtsverkehr unrechtmäßig bereichert werde, indem er sie den im Urteil namentlich genannten Berechtigten wegnahm, und zwar

1. am 3. Juli 2008 eine „Bankkarte" der S*****

2. am 5. Juli 2008 eine Bankomatkarte der S***** sowie eine „Sparcard" der V*****

IV. von 17. Dezember 2006 bis 5. Juli 2008 in zahlreichen Fällen, insgesamt 19 im Urteil näher beschriebene Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, darunter zwei „Sozialversicherungskarten", die „zum Beweis des aufrechten Krankenversicherungsverhältnisses" der Berechtigten „dienten" (IV/1/f und IV/3/a), mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden;

V. am 3. Juli 2008 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Theresia H***** einen Vermögensschaden in Höhe von 50 Euro durch Beeinflussung des Ergebnisses einer automationsunterstützten Datenverarbeitung durch Eingabe von Daten zugefügt, indem er bei einem Bankomatkartenterminal eines Taxifahrers unter Verwendung einer entfremdeten Bankomatkarte eine Geldüberweisung vom Konto der Berechtigten auf das Bankkonto des Taxiunternehmens durchführte;

VI. am 5. Juli 2008 sich einen Bargeldbetrag in Höhe von 40 Euro, der ihm von einem nur unter seinem Vornamen bekannten Geschädigten anvertraut worden war, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz zugeeignet.

Rechtliche Beurteilung

Ausschließlich gegen die Gewährung bedingter Strafnachsicht nach § 43 Abs 1 StGB richtet sich die - ohne Angabe von Nichtigkeitsgründen, der Sache nach auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützte - Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof von - vom Angeklagten nicht geltend gemachter - mehrfacher unrichtiger Anwendung des materiellen Strafrechts (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a und Z 10 StPO) zu seinem Nachteil, die von Amts wegen aufzugreifen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz [erster Fall] StPO).

Zunächst wird dem Angeklagten zum Schuldspruch wegen Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB auch die Unterdrückung von zwei „Sozialversicherungskarten" angelastet (IV/1/f und IV/3/a; US 19 und 23 f). Ob es sich dabei um „E-Cards", denen Urkundenqualität zukommt (RIS-Justiz RS0121508), oder um - früher gebräuchliche - vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ausgestellte und von den Versicherungsträgern an die Versicherten ausgegebene Sozialversicherungskarten handelt, die nicht als Urkunden iSd § 74 Abs 1 Z 7 StGB zu beurteilen sind (RIS-Justiz RS0093171), lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen (vgl aber ON 15 S 125), sodass die Sachverhaltsannahmen für die rechtliche Unterstellung des Täterverhaltens unter § 229 Abs 1 StGB nicht ausreichen (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO).

Um die im Schuldspruch III/1 angeführte „Bankkarte" („Profitcard", vgl ON 6 S 18) der S***** sowie die - neben einer Bankomatkarte, deren Eigenschaft als unbares Zahlungsmittel außer Frage steht (für viele: Schroll in WK² Vorbem zu §§ 241a-241g Rz 10, RIS-Justiz RS0119423) - vom Schuldspruch III/2 umfasste „Sparcard" der V***** als unbare Zahlungsmittel einzustufen (Tatobjekt nach § 241e Abs 1 StGB ist - wie bei § 229 Abs 1 StGB jede einzelne Urkunde - jedes einzelne unbare Zahlungsmittel; RIS-Justiz RS0118718), fehlen Feststellungen zur Zahlungsmittelfunktion, zur bargeldvertretenden Eigenschaft, zur Erkennbarkeit des Ausstellers und zur Sicherungsfunktion (vgl Schroll in WK² Vorbem zu §§ 241a-241g Rz 7 ff; zuletzt 13 Os 53/06b). Zudem lässt sich dem Urteil nur entnehmen, dass dem Angeklagten bewusst war und er sich damit abfand, „durch seine Tathandlungen" die Verwendung unbarer Zahlungsmittel im Rechtsverkehr durch die Berechtigten zu verhindern (US 27). Konstatierungen zu einem - für die Unterstellung unter § 241e Abs 1 erster Fall StGB indes erforderlichen - auf unrechtmäßige Bereicherung durch Verwendung der Karten im Rechtsverkehr gerichteten Vorsatz wurden nicht getroffen, sodass der zu III ergangene Schuldspruch insgesamt an einem Rechtsfehler in der Bedeutung der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO leidet. Sollten die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen werden können, wäre der Tatbestand der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB, in Ansehung der Bank- und der Sparkarte jener der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB zu prüfen.

Letztlich wurde zwar ausdrücklich konstatiert, dass der Angeklagte in Betreff der ihm angelasteten Diebstähle (Schuldspruch I) gewerbsmäßig handelte (US 26), worauf sich - im Zusammenhang gelesen - auch die zu gewerbsmäßiger Tatbegehung angestellten beweiswürdigenden Erwägungen ausschließlich beziehen (US 30 iVm US 33). Feststellungen, wonach er auch die Absicht gehabt hätte, sich durch wiederkehrende Begehung von schwerem Betrug (Schuldspruch II) und durch die Entfremdung unbarer Zahlungsmittel (Schuldspruch III) eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, finden sich in den Entscheidungsgründen jedoch nicht (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO). Der Spruch des Urteils vermag die fehlenden Feststellungen nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0114639; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 15).

Die aufgezeigten Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordern die Aufhebung des Urteils in den Schuldsprüchen III, IV/1/f und IV/3/a sowie in der rechtlichen Unterstellung der vom Schuldspruch II umfassten Taten auch unter § 148 zweiter Fall StGB, demgemäß auch im Strafausspruch sowie in der Maßnahmeanordnung bereits bei der nichtöffentlichen Beratung und insoweit die Anordnung neuer Verhandlung und Entscheidung (§§ 290 Abs 1 zweiter Satz, 285e erster Satz, 288 Abs 2 Z 3 StPO).

Die bloß gegen den Strafausspruch gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist damit gegenstandslos.

Der Vollständigkeit halber bleibt anzumerken, dass - entgegen der in der Nichtigkeitsbeschwerde vertretenen Ansicht - die unbedingte Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB seit Änderung des § 45 StGB durch das StRÄG 2001 neben bedingter Strafnachsicht - vom Erstgericht mit nicht ergänzungsbedürftiger zutreffender Begründung richtig erkannt - zulässig ist, wie ein Umkehrschluss aus § 45 Abs 1 zweiter Satz StGB - mangels Anhaltspunkten für eine planwidrige Lücke - eindeutig zeigt (Ratz in WK² § 21 Rz 2, 30).

Mit den in der Nichtigkeitsbeschwerde angestellten Erwägungen, wonach der Vollzug der verhängten Freiheitsstrafe im konkreten Einzelfall aufgrund der hochgradigen Gefährlichkeit des Angeklagten ohne Einschränkung des Relevanzbereichs geboten erscheine, um den Rechtsbrecher in Hinkunft von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, wird bloß ein Berufungsvorbringen erstattet.

Im zweiten Rechtsgang wird das Erstgericht allerdings über die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts hinausgehende (vgl US 37) konkrete Urteilsannahmen für das Vorliegen einer den Kriterien des § 21 Abs 2 StGB entsprechenden Prognosetat zu treffen und dabei zu beachten haben, dass die vom Gesetz verlangten schweren Folgen (jeweils) aus einer einzigen Tat (vgl dazu Ratz in WK² Vorbem zu § 28-31 Rz 9 ff) resultieren müssen. Dabei sind zwar nicht nur die tatbestandsmäßigen Folgen, sondern darüber hinaus alle konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit (vgl dazu im Detail Ratz in WK² § 21 Rz 27 mwN) zu berücksichtigen, die bloße Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (§ 70 StGB) genügt aber für sich alleine nicht, eine Zusammenrechnung nach § 29 StGB findet ebenso wenig statt (Ratz in WK² § 21 Rz 27).

Da in Erledigung dieses Rechtsmittels keine Kosten angefallen sind und der Angeklagte im Umfang der zu seinen Gunsten getroffenen amtswegigen Maßnahme nicht kostenpflichtig werden kann (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), hatte ein Kostenausspruch zu entfallen.

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