European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00065.16Z.0321.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Siegfried B***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach (richtig:) § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat er zu einem nicht bekannt gewordenen Zeitpunkt in den Jahren 1983 (richtig: 1982; vgl US 2 f) bis 1985 in Italien mit der am 19. Februar 1975 geborenen, somit zur Tatzeit unmündigen Gudrun P***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er mehrere Finger in ihre Vagina eingeführte sowie daran anschließend den Beischlaf unternahm, indem er mit seinem Penis in ihre Scheide eindrang, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB „idF vor BGBl I 2015/112“) in Form einer rezidivierend depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradiger Episode, und Störung durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen der Gudrun P***** zur Folge hat.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, Z 5a und Z 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Die Kritik fehlender Begründung (nominell Z 5a, dSn Z 5 vierter Fall) der vom Erstgericht angenommenen subjektiven Sorgfaltswidrigkeit und subjektiven Vorhersehbarkeit (vgl Burgstaller in WK 2 § 6 Rz 83 ff und 92 ff) in Bezug auf die schwere Verletzungsfolge (US 3) erweist sich schon angesichts der auf US 7 angestellten Erwägungen als unberechtigt. Der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand der Tatsachenrüge (Z 5a), der Angeklagte wisse nicht, „was unter einer rezidivierenden depressiven Störung, und Störung durch multiplen Substanzgebrauch zu verstehen ist“, weswegen er den Eintritt dieser Störungen und Körperverletzungen nicht habe vorhersehen können, wendet sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung.
Die Forderung der Mängelrüge (Z 5), aber auch der Tatsachenrüge (Z 5a), das Gericht hätte „in dubio pro reo“ die Annahme des Eintritts einer auf die Tathandlungen des Angeklagten zurückzuführenden rezidivierenden depressiven Störung ablehnen müssen, verkennt, dass der Zweifelsgrundsatz niemals Gegenstand dieser formellen Nichtigkeitsgründe sein kann (RIS‑Justiz RS0102162).
Dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) infolge mangelnder Erörterung „widerstreitender Beweisergebnisse“ in den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Ernst Gr***** zuwider hat sich das Schöffengericht eingehend mit dessen Ausführungen auseinandergesetzt (US 7 f), der seinerseits auch die (von der Rüge vermisste) Vorbefundung von Dr. Joachim A***** insbesondere aus dem Jahr 2009 sowie sein eigenes Vorgutachten aus 2011 in seiner Expertise berücksichtigte (ON 41 S 11 ff und ON 55 S 12 ff) und zur abschließenden Schlussfolgerung gelangte, man könne (mit hoher Wahrscheinlichkeit) davon ausgehen, dass zumindest ein Großteil der Beschwerden des Tatopfers auf den inkriminierten Vorfall – sollte er in dieser Form stattgefunden haben – zurückzuführen sei (ON 55 S 20 iVm ON 41 S 31; vgl RIS‑Justiz RS0098716, RS0119301), die Tathandlungen, wie von den Tatrichtern angenommen, also zumindest mitursächlich für den Eintritt der schweren Körperverletzung waren (US 4 iVm US 7 f; vgl Burgstaller in WK2 StGB § 80 Rz 68).
Im Übrigen muss eine Urteilsbegründung nicht auf logisch zwingenden Ableitungen beruhen. Auch in freier Beweiswürdigung gezogene
Wahrscheinlichkeitsschlüsse sind zur Begründung von Tatsachenfeststellungen geeignet, sofern nur der solcherart getroffenen Konstatierung die richterliche Überzeugung von der Richtigkeit der „wahrscheinlichen“ Tatsache im Sinn des § 258 Abs 2 StPO zugrunde liegt (RIS‑Justiz RS0098471).
Die auf den Eintritt von Verfolgungsverjährung abzielenden Einwände der Tatsachenrüge (Z 5a), wonach es jedenfalls vor dem Jahr 2011 nicht zum Eintritt einer schweren Körperverletzung gekommen sei, sprechen aus folgenden Erwägungen keine entscheidende Tatsache an:
Vorauszuschicken ist, dass Strafgesetze gemäß § 61 zweiter Satz StGB dann auf vor ihrem Inkrafttreten begangene Taten anzuwenden sind, wenn die Gesetze, die zur Zeit der Tat gegolten haben, für den Täter in ihrer Gesamtauswirkung nicht günstiger waren. Dieser, den Gegenstand der Subsumtion (Z 10) betreffende Günstigkeitsvergleich ist in concreto vorzunehmen. Dass eine neue Bestimmung bei gleicher Strafdrohung zusätzlich auch – im vorliegenden Fall jedoch nicht betroffene – weitere Tathandlungen umfasst, ist ohne Belang (15 Os 103/14g mwN).
Im vorliegenden Fall wurde zwar auch eine im Rahmen eines einzigen Tatgeschehens begangene und von einheitlichem Vorsatz getragene digitale Vaginalpenetration (vgl US 3) dem Tatbestand des § 206 Abs 1 StGB idgF unterstellt, obwohl zum Tatzeitpunkt nur der (außereheliche) Beischlaf, nicht aber eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung, von § 206 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 erfasst war. Da dieser neben dem Beischlaf unternommene Übergriff allerdings im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit erfolgte und daher auch einer zusätzlichen Unterstellung unter § 207 Abs 1 StGB nicht zugänglich gewesen wäre (RIS‑Justiz RS0122006 [insb T8]), hat er sich auf die konkrete Subsumtion nicht ausgewirkt, sodass der vorliegende Sachverhalt vom Erstgericht zu Recht § 206 StGB idgF unterstellt wurde.
§ 206 Abs 1 StGB hat eine Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren, für den Fall, dass die Tat eine schwere Körperverletzung zur Folge hat, beträgt die Strafdrohung nach Abs 2 leg cit fünf bis 15 Jahre Freiheitsstrafe.
Außer in den in § 57 Abs 1 StGB genannten Fällen erlischt die Strafbarkeit gemäß § 57 Abs 2 StGB durch Verjährung. Die Verjährungsfrist beginnt, sobald die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen ist oder das mit Strafe bedrohte Verhalten aufhört. Tritt ein zum Tatbild gehörender Erfolg, also im vorliegenden Fall die Erfolgsqualifikation der schweren Körperverletzung ( Marek in WK 2 § 58 Rz 5; aA offenbar Schallmoser SbgK § 58 Rz 16), erst ein, nachdem die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das mit Strafe bedrohte Verhalten aufgehört hat, so endet die Verjährungsfrist gemäß § 58 Abs 1 StGB nicht, bevor sie entweder auch vom Eintritt des Erfolgs ab verstrichen ist oder seit dem in § 57 Abs 2 StGB bezeichneten Zeitpunkt ihr Eineinhalbfaches, mindestens aber drei Jahre abgelaufen sind. Gemäß § 57 Abs 3 StGB beträgt die Verjährungsfrist 20 Jahre, wenn die Handlung zwar nicht mit lebenslanger Freiheitsstrafe, aber mit mehr als zehnjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist.
Unter Zugrundelegung eines Tatzeitpunkts im Rahmen einer Urlaubsfahrt im Jahre 1982 (vgl US 2 f) lief bereits die 20‑jährige Verjährungsfrist des § 57 Abs 3 StGB bis vor dem korrespondierenden Zeitpunkt im Jahr 2002. Damit kamen jedoch § 58 Abs 3 Z 3 StGB idF StRÄG 1998, BGBl I 1998/153, das am 1. Oktober 1998 in Kraft trat und nach dem bei einer strafbaren Handlung unter anderem nach § 206 StGB die Zeit bis zur Erreichung der Volljährigkeit des Verletzten in die Verjährungsfrist nicht einzurechnen war, sowie die weitere Verlängerung der Fortlaufshemmung bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres des Opfers durch das zweite GeSchG, BGBl I 2009/40, zur Anwendung, weil Art 5 Abs 3 des StRÄG 1998 (so wie Art XIV des 2. GeSchG) normierte, dass § 58 Abs 3 Z 3 StGB idF dieses Bundesgesetzes auch auf vor dem Inkrafttreten begangene Taten anzuwenden ist, sofern die Strafbarkeit zu diesem Zeitpunkt nicht bereits erloschen ist.
Verfolgungsverjährung ist daher unabhängig vom Zeitpunkt des Eintritts der schweren Verletzungsfolge nicht eingetreten.
Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a, dSn Z 9 lit b) Feststellungen zum Zeitpunkt des Vorliegens der schweren Verletzung zur Beurteilung des Eintritts von Verfolgungsverjährung vermisst, legt sie der Verfahrensordnung zuwider nicht dar, weshalb es derartiger Konstatierungen bedurft hätte. Im Übrigen wird auf die obigen Ausführungen zum entsprechenden Vorbringen der Tatsachenrüge verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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