OGH 12Os179/09d (12Os186/09h)

OGH12Os179/09d (12Os186/09h)18.12.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Hofer als Schriftführerin in der Strafsache gegen A***** B***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 6. August 2009, GZ 72 Hv 12/09z-61, sowie über die von der Generalprokuratur gegen die Gerichtsbesetzung in der Hauptverhandlung erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Michel, und der Verteidigerin Rechtsanwältin Dr. Wolf zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung im Verfahren AZ 72 Hv 12/09z des Landesgerichts für Strafsachen Wien am 6. August 2009 in einem mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffinnen besetzten Senat verletzen das Gesetz in den §§ 32 Abs 1 letzter Satz, 40 Abs 1 letzter SatzStPO.

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. August 2009, GZ 72 Hv 12/09z-61, wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

In der Strafsache gegen A***** B*****, AZ 72 Hv 12/09z des Landesgerichts für Strafsachen Wien, führte am 23. April, am 16. Juni und am 6. August 2009 ein Schöffensenat bestehend aus zwei Berufsrichtern und zwei Laienrichterinnen die Hauptverhandlung durch und fällte am 6. August 2009 ein auch Entscheidungen über Privatbeteiligtenansprüche enthaltendes Urteil, mit dem der Angeklagte des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt wurde. Danach hat er am 25. März 2007 in Wien im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem unbekannt gebliebenen Mittäter M***** B***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er ihre Strumpfhose zerriss, ihre Unterhose zur Seite schob und trotz ihrer Gegenwehr vaginal ungeschützt in sie eindrang, während sie der unbekannte Mittäter festhielt.

Der Angeklagte wurde zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.

Dieses Urteil wird vom Angeklagten mit Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angefochten.

Rechtliche Beurteilung

Die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung im Verfahren AZ 72 Hv 12/09z des Landesgerichts für Strafsachen Wien am 6. August 2009 in einem weiterhin mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffinnen besetzten Senat steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Mit dem am 17. Juni 2009 kundgemachten und am 1. Juni 2009 - somit rückwirkend (§ 514 Abs 5 erster Satz StPO) - in Kraft getretenen Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 2009/52, wurde der letzte Satz des § 32 Abs 1 StPO dahin geändert, dass das Landesgericht als Schöffengericht aus einem (Berufs-)Richter und zwei Schöffen besteht.

Durch die Mitwirkung eines zweiten Berufsrichters an der Verhandlung und Urteilsfällung vom 6. August 2009 wurde daher das Gesetz in den §§ 32 Abs 1 letzter Satz, 40 Abs 1 letzter SatzStPO iVm Art 6 Abs 1 MRK und Art 83 Abs 2 B-VG verletzt (vgl Jerabek, WK-StPO § 514 Rz 9).

Die gegenteilige, im Erlass des BMJ vom 17. Juni 2009 über die Änderungen des StGB, der StPO, des JGG, des StAG und des StVG durch das Budgetbegleitgesetz 2009, JMZ 894000L/4/II3/09, JABl 2009/15, geäußerte Rechtsansicht, wonach für die Änderung der Senatszusammensetzung bei den Landesgerichten als Schöffengerichten „vom Grundsatz der perpetuatio fori auszugehen" und demnach das Strafverfahren in der Besetzung zu führen sei, die im Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit der Anklage gesetzlich vorgesehen gewesen ist, vermengt Gerichtsbesetzung mit Gerichtszuständigkeit (eingehend dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 111-115).

Es bleibt anzumerken, dass es sich bei einem solcherart „überbesetzten" Schöffengericht nicht um einen „höherqualifizierten" Spruchkörper (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 115) handelt. Vielmehr entschied ein Richterkollegium in einer Zusammensetzung, welche das Gesetz im Verhandlungszeitpunkt nicht mehr vorsah. Demgemäß liegt auch eine Verletzung des im Art 6 Abs 1 MRK („... und zwar von einem ... auf Gesetz beruhenden Gericht ...") verankerten Grundrechts auf ein faires Verfahren vor (vgl Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4 § 24 Rz 27 ff, insbesondere Rz 30). Der Angeklagte wurde daher auch in seinem verfassungsmäßig gewährleistetem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG) beeinträchtigt.

Zur nicht gehörigen Gerichtsbesetzung und der gemäß § 281 Abs 1 Z 1 StPO statuierten Rügepflicht wird auf die Ausführungen im 13 Os 139/09d, 13 Os 145/09m sowie 13 Os 115/09z, 13 Os 125/09w verwiesen.

Da durch die Mitwirkung des beisitzenden Berufsrichters ein für den Angeklagten nachteiliger Einfluss auf die der Abstimmung über die Schuld- und Straffrage vorangegangene Willensbildung im Senat nicht auszuschließen ist (vgl RIS-Justiz RS0100599; 9 Os 11/87) und kein Hinweis vorliegt, wonach der Beschwerdeführer diesen Besetzungsmangel bewusst in Kauf genommen hätte, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, der Entscheidung gemäß § 292 letzter Satz StPO konkrete Wirkung zu verleihen.

Demnach war das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. August 2009, GZ 72 Hv 12/09z-61, aufzuheben und die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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