OGH 12Os131/08v

OGH12Os131/08v2.10.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Oktober 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter, in Gegenwart des Rechtspraktikanten Dr. Schmidmayr als Schriftführer, in der Strafvollzugssache betreffend Ladislav V***** wegen vorläufigen Absehens vom Strafvollzug wegen Aufenthaltsverbots nach § 133a StVG, AZ 820 BE 96/08m des Landesgerichts Korneuburg als Vollzugsgericht, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 24. Juli 2008, AZ 19 Bs 327/08i, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 820 BE 96/08m des Landesgerichts Korneuburg verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 24. Juli 2008, AZ 19 Bs 327/08i (ON 13), das Gesetz im § 133a StVG. Der Beschluss wird aufgehoben und dem Oberlandesgericht Wien die neuerliche Entscheidung über die Beschwerde des Verurteilten Ladislav V***** aufgetragen.

Text

Gründe:

Der slowakische Strafgefangene Ladislav V***** verbüßt in der Justizanstalt Sonnberg eine wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1 und 2, 130 dritter und vierter Fall StGB sowie des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB verhängte Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren. Das urteilsmäßige Strafende fällt auf den 4. Oktober 2009.

Mit Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Vollzugsgericht vom 25. Juni 2008, GZ 820 BE 96/08m-10, wurde der auf vorläufiges Absehen vom Strafvollzug wegen Aufenthaltsverbots nach § 133a StVG gerichtete Antrag des Strafgefangenen aus generalpräventiven Erwägungen abgewiesen.

Seiner dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 24. Juli 2008, AZ 19 Bs 327/08i (ON 13 im BE-Akt), nicht Folge. Das Beschwerdegericht führte dazu begründend aus, das Gericht habe seiner Entscheidung - im Hinblick auf die Formulierung des § 133a StVG als „Kann-Bestimmung" - „spezial- sowie allenfalls auch general-prohibitive Erwägungen zu Grunde zu legen und unter deren Berücksichtigung zu prüfen, ob der vorläufige Verzicht auf die weitere Sanktionsvollstreckung in kriminalpolitischer Hinsicht vertretbar sowie zweckmäßig erscheine und mit den im § 20 StVG normierten Zielen des Strafvollzuges vereinbar ist" (BS 3). Sein Vorleben und der rasche Rückfall weise den Verurteilten „als Menschen mit hochgradig negativer Einstellung gegenüber dem Rechtsgut fremden Vermögens und unverfrorener Lebenshaltung aus. Bei „diesem Charakterdefizit", den eingeschränkten wirtschaftlichen Verhältnisse des Strafgefangenen und „den mit Diebstahl sowie Verschiebung von Autos nach Osteuropa verbundenen Möglichkeiten zur Erzielung hoher krimineller Gewinne" käme die von ihm angestrebte Vorgangsweise (vorläufiges Absehen vom Strafvollzug wegen Aufenthaltsverbots) „schon in individualpräventiver Hinsicht" nicht in Betracht (BS 4).

Rechtliche Beurteilung

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 24. Juli 2008, AZ 19 Bs 327/08i, steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang. Gemäß § 133a Abs 1 StVG kann vom weiteren Vollzug einer Freiheitsstrafe vorläufig abgesehen werden, wenn der Verurteilte die Hälfte der Strafzeit, mindestens aber drei Monate verbüßt hat und (Z 1) gegen ihn ein Aufenthaltsverbot besteht, (Z 2) er sich bereit erklärt, seiner Ausreiseverpflichtung unverzüglich nachzukommen und zu erwarten ist, dass er dieser Verpflichtung auch nachkommen wird, und (Z 3) der Ausreise keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen. Ein Absehen vom Vollzug ist nach Abs 2 leg cit unzulässig, wenn der Strafgefangene (Z 1) wegen einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, (Z 2) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren oder (Z 3) wegen einer strafbaren Handlung gegen Leib und Leben zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt wurde. Im Übrigen kann vom weiteren Vollzug einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren erst nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit vorläufig abgesehen werden (Abs 2 letzter Satz). Durch Einführung des § 133a StVG im Rahmen des StRÄG 2008, BGBl I Nr 109/2007, sollte ein Instrument geschaffen werden, um nicht aufenthaltsverfestigte ausländische Verurteilte nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe zur Ausreise aus dem Bundesgebiet verhalten zu können und gleichzeitig die Zwecke eines Aufenthaltsverbots effektiv, nämlich dadurch abzusichern, dass die restliche Strafe vollstreckt wird, wenn der Verurteilte seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommt oder während seiner Dauer wieder in das Bundesgebiet zurückkehrt (vgl JAB 331 BlgNR 23. GP 1). Demnach handelt es sich um keinen Unterfall der bedingten Entlassung sondern um ein Rechtsinstitut sui generis, ist doch die Fortsetzung des Strafvollzugs einzig an die Missachtung der vom Verurteilten eingegangenen Verpflichtungen und nicht an sonstige Bedingungen wie eine neuerliche Verurteilung (§ 53 Abs 1 StGB) oder an weitere Voraussetzungen (vgl Abs 2 leg cit) geknüpft (vgl Birklbauer, Die Neuregelung der bedingten Entlassung, ÖJZ 2008, 710 [715]). Den Gesetzesmaterialien zufolge (EBRV 302 BlgNR 23. GP 14 f) soll die Bestimmung gegenüber Maßnahmen anderer Art grundsätzlich subsidiär sein und ihre Anwendung daher nur insoweit in Betracht kommen, als ein Vorgehen nach dem EU-JZG oder nach zwischenstaatlichen Übereinkommen über die Übernahme der Strafvollstreckung, eine Auslieferung, die Anwendung des § 4 StVG oder eine bedingte Entlassung nicht möglich wären. Diesem Umstand wurde im Justizausschuss - der in Ansehung des § 133a Abs 1 und Abs 2 StVG eine Änderung der Regierungsvorlage beschlossen hatte - auch dadurch Rechnung getragen, dass Abs 1 als „Kann-Bestimmung" ausformuliert wurde (JAB 331 BlgNR 23. GP 3 f).

Bereits in der Regierungsvorlage wurde betont (EBRV 302 BlgNR 23. GP 14), es sollte - „wie bei der bedingten Entlassung" - vor Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe ein vorläufiges Absehen vom weiteren Strafvollzug „aus den [in Abs 2 der RV] genannten generalpräventiven Bedenken" (nämlich „im Hinblick auf die Schwere der Tat"; siehe § 133a Abs 2 StVG idF der RV, 302 BlgNR 23. GP 6) „gegebenenfalls ausgeschlossen werden können".

Die nunmehrige gesetzliche Fassung des Abs 2 leg cit stellt - nach den Erwägungen des Justizausschusses - bloß „eine Konkretisierung der bereits in der Regierungsvorlage vorgesehen gewesenen Möglichkeit dar, aus gewissen generalpräventiven Überlegungen heraus - trotz Vorliegens der Voraussetzungen des Abs 1 - nicht vom weiteren Vollzug nach § 133a StVG abzusehen" (JAB 331 BlgNR 23. GP 4). Die Kann-Bestimmung des § 133a Abs 1 StVG ist demnach der Generalprävention verpflichtet.

Bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 133a StVG, die im (gebundenen) Ermessen der Gerichte liegt, ist daher einerseits die konkrete Möglichkeit anderer vergleichbarer Maßnahmen zu beachten (nämlich insbesondere ein Vorgehen nach dem EU-JZG, nach zwischenstaatlichen Übereinkommen über die Übernahme der Strafvollstreckung, ein Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung nach § 4 StVG oder eine bedingte Entlassung). Andererseits ist zu prüfen, ob der Anwendung dieser Bestimmung generalpräventive Gründe entgegenstehen. Das dem Gericht eingeräumte Ermessen wird im Gesetz dadurch eingeschränkt (und insoweit „konkretisiert"), dass die Maßnahme in den in § 133a Abs 2 StVG aufgezählten Fällen jedenfalls unzulässig ist. Darüber hinaus können aber - zufolge der allgemein gehaltenen Formulierung des Abs 1 leg cit - auch (über die in Abs 2 genannten Ausschlussgründe hinaus) generalpräventive Erwägungen in Betracht kommen, die einem vorläufigen Absehen vom Strafvollzug wegen Aufenthaltsverbots hinderlich sind.

Dies zeigt auch ein Vergleich mit dem Regelungsinhalt des § 4 StVG, der ebenfalls ein bloß durch generalpräventive Erwägungen eingeschränktes, ansonsten aber nicht an weitere Bedingungen geknüpftes vorläufiges Absehen vom Vollzug einer verhängten Freiheitsstrafe, in diesem Fall bei Auslieferung an eine ausländische Behörde, vorsieht (insoweit aA Birklbauer, ÖJZ 2008, 715 f). Die Verweigerung der Maßnahme nach § 133a StVG aus rein spezialpräventiven Überlegungen, wie sie das Oberlandesgericht Wien anstellt, findet im Gesetz jedenfalls keine Deckung (vgl 14 Os 120/08s, 121/08p).

Während im gesetzlichen Rahmen erfolgte Ermessensentscheidungen des Gerichts einer Nachprüfung aus § 23 Abs 1 StPO entzogen sind (vgl Markel, WK-StPO § 1 Rz 43), kann die auf einer falschen Rechtsansicht beruhende Überschreitung des Ermessensspielraums - maW die Tatsache, dass das Gericht von einem ihm eingeräumten Ermessen nicht im Sinn des Gesetzes Gebrauch gemacht hat - mit Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes angefochten werden (RIS-Justiz RS0096557). Da die aufgezeigte Gesetzesverletzung dem Verurteilten zum Nachteil gereichen kann, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Entscheidung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.

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