Spruch:
Es verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 133a StVG:
1. der Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Vollzugsgericht vom 26. März 2008, GZ 820 BE 83/08z-6, und
2. der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 7. Mai 2008, AZ 19 Bs 141/08m.
Der zuletzt genannte Beschluss wird aufgehoben und dem Oberlandesgericht Wien die neuerliche Entscheidung über die Beschwerde des Piotr Pawel M***** aufgetragen.
Text
Gründe:
Mit Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Vollzugsgericht vom 26. März 2008, GZ 820 BE 83/08z-6, wurde der Antrag des polnischen Strafgefangenen Piotr Pawel M***** (der zur Zeit in der Justizanstalt Sonnberg eine wegen §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 130 erster Fall und 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen verhängte Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verbüßt), vom Strafvollzug gemäß § 133a StVG vorläufig abzusehen, im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, der Verurteilte verfüge über keine ausreichenden Mittel zur Finanzierung seiner Ausreise, weshalb ihr tatsächliche Hindernisse entgegenstünden. Im Übrigen „wäre im vorliegenden Fall wohl auch eine Erwirkung der Übernahme der Vollstreckung durch das Heimatland Polen möglich" und stünden einer Anwendung des § 133a StVG letztlich auch massive spezialpräventive Erwägungen entgegen, weil Piotr Pawel M***** in Deutschland zwei und in Polen sechs einschlägige Vorstrafen aufweise.
Der dagegen vom Verurteilten erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 7. Mai 2008, AZ 19 Bs 141/08m (ON 9 im BE-Akt), nicht Folge. Das Beschwerdegericht führte dazu (kurz zusammengefasst) aus, dem Gericht sei - wie sich aus den Materialien sowie aus der Formulierung des § 133a Abs 1 und Abs 2 StVG als „Kann-Bestimmung" ergebe - ein Ermessensspielraum eingeräumt, weshalb der Strafgefangene auch im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen des § 133a Abs 1 StVG kein subjektives Recht auf ein Absehen vom weiteren Strafvollzug habe. Aufgrund der zielgerichteten Vorgangsweise des Verurteilten anlässlich der Anlasstaten und seines schwer getrübten Vorlebens (Rückfallstäter iSd § 39 StGB) bedürfe es „zur endlichen Korrektur seines massiven, in genereller Ablehnung des Rechtsgutes fremden Vermögens liegenden Charakterdefizits" eines konsequenten Vollzugs der verhängten Freiheitsstrafe, sodass ein vorläufiges Absehen vom Strafvollzug wegen Aufenthaltsverbotes schon aus diesen Erwägungen scheitere (BS 3 f).
Rechtliche Beurteilung
Der Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Vollzugsgericht vom 26. März 2008, GZ 820 BE 83/08z-6, und jener des Oberlandesgerichts Wien vom 7. Mai 2008, AZ 19 Bs 141/08m stehen - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Gemäß § 133a Abs 1 StVG kann vom weiteren Vollzug einer Freiheitsstrafe vorläufig abgesehen werden, wenn der Verurteilte die Hälfte der Strafzeit, mindestens aber drei Monate verbüßt hat und (Z 1) gegen ihn ein Aufenthaltsverbot besteht, (Z 2) er sich bereit erklärt, seiner Ausreiseverpflichtung unverzüglich nachzukommen und zu erwarten ist, dass er dieser Verpflichtung auch nachkommen wird, und (Z 3) der Ausreise keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen. Ein Absehen vom Vollzug ist nach Abs 2 leg cit unzulässig, wenn der Strafgefangene (Z 1) wegen einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, (Z 2) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren oder (Z 3) wegen einer strafbaren Handlung gegen Leib und Leben zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt wurde. Im Übrigen kann vom weiteren Vollzug einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren erst nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit vorläufig abgesehen werden (Abs 2 letzter Satz).
Durch Einführung des § 133a StVG im Rahmen des StRÄG 2008, BGBl I Nr 109/2007, sollte ein Instrument geschaffen werden, um nicht aufenthaltsverfestigte ausländische Verurteilte nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe zur Ausreise aus dem Bundesgebiet verhalten zu können und gleichzeitig (durch Vollstreckung der restlichen Strafe, wenn der Verurteilte seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommt oder während der Dauer des Aufenthaltsverbots wieder in das Bundesgebiet zurückkehrt) die Zwecke eines Aufenthaltsverbots effektiv abzusichern (vgl JAB 331 BlgNR XXIII. GP, 1). Den Gesetzesmaterialien zufolge (EBRV 302 BlgNR XXIII. GP, 14 f) soll die Bestimmung gegenüber Maßnahmen anderer Art grundsätzlich subsidiär sein und ihre Anwendung daher nur insoweit in Betracht kommen, als ein Vorgehen nach dem EU-JZG oder nach zwischenstaatlichen Übereinkommen über die Übernahme der Strafvollstreckung, eine Auslieferung, die Anwendung des § 4 StVG oder eine bedingte Entlassung nicht möglich wären. Diesem Umstand wurde im Justizausschuss - der in Ansehung des § 133a Abs 1 und Abs 2 StVG eine Änderung der Regierungsvorlage beschlossen hatte - auch dadurch Rechnung getragen, dass Abs 1 als „Kann-Bestimmung" ausformuliert wurde (JAB 331 BlgNR XXIII. GP, 3 f).
Bereits in der Regierungsvorlage wurde betont (EBRV 302 BlgNR XXIII. GP, 14), es sollte - „wie bei der bedingten Entlassung" - vor Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe ein vorläufiges Absehen vom weiteren Strafvollzug „aus den [in Abs 2 der RV] genannten generalpräventiven Bedenken" (nämlich „im Hinblick auf die Schwere der Tat"; siehe § 133a Abs 2 StVG idF der RV, 302 BlgNR XXIII. GP, 6) „gegebenenfalls ausgeschlossen werden können".
Die nunmehrige (Gesetz gewordene) Fassung des Abs 2 leg cit stellt - nach den Erwägungen des Justizausschusses - bloß „eine Konkretisierung der bereits in der Regierungsvorlage vorgesehen gewesenen Möglichkeit dar, aus gewissen generalpräventiven Überlegungen heraus - trotz Vorliegens der Voraussetzungen des Abs 1 - nicht vom weiteren Vollzug nach § 133a StVG abzusehen" (JAB 331 BlgNR XXIII. GP, 4). Die Kann-Bestimmung des § 133a Abs 1 StVG ist demnach der Generalprävention verpflichtet.
Bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 133a StVG, die im (gebundenen) Ermessen der Gerichte liegt, ist daher einerseits die konkrete Möglichkeit anderer vergleichbarer Maßnahmen zu beachten (nämlich insbesondere ein Vorgehen nach dem EU-JZG, nach zwischenstaatlichen Übereinkommen über die Übernahme der Strafvollstreckung, ein Absehen vom Strafvollzug wegen Auslieferung nach § 4 StVG oder eine bedingte Entlassung), andererseits ist zu prüfen, ob der Anwendung dieser Bestimmung generalpräventive Gründe entgegenstehen. Das dem Gericht eingeräumte Ermessen wird im Gesetz dadurch eingeschränkt (und insoweit „konkretisiert"), als die Maßnahme in den in § 133a Abs 2 StVG aufgezählten Fällen jedenfalls unzulässig ist; darüber hinaus können aber - zufolge der allgemein gehaltenen Formulierung des Abs 1 leg cit - auch (über die in Abs 2 genannten Ausschlussgründe hinaus) generalpräventive Erwägungen in Betracht kommen, die einem vorläufigen Absehen vom Strafvollzug wegen Aufenthaltsverbots hinderlich sind.
Die vom Landesgericht Korneuburg argumentativ ins Treffen geführte bloß abstrakte Möglichkeit der Erwirkung der Übernahme der Strafvollstreckung durch das Heimatland, stellt indes keinen ausreichenden Hinderungsgrund dar; vielmehr müssen konkrete Umstände die Annahme rechtfertigen, dass gerade im Anlassfall eine andere vergleichbare Maßnahme Platz greifen werde.
Eine Verweigerung der Maßnahme nach § 133a StVG aus rein spezialpräventiven Überlegungen, wie sie das Oberlandesgericht Wien anstellt, widerspricht der ratio legis, soll doch dem spezialpräventiven Vollzugszweck - der allein darin liegt, den Rechtsbrecher von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten (vgl Jerabek in WK2 § 43 Rz 16) - gerade auch durch die Ausreise des Verurteilten aus dem Bundesgebiet, verbunden mit der Androhung des sofortigen Strafvollzugs für den Fall der Missachtung seiner Ausreiseverpflichtung oder seiner neuerlichen Einreise nach Österreich während des aufrechten Aufenthaltsverbots (Abs 3 leg cit), nachhaltig Rechnung getragen werden.
Während im gesetzlichen Rahmen erfolgte Ermessensentscheidungen des Gerichts einer Nachprüfung aus § 23 Abs 1 StPO entzogen sind (vgl Markel, WK-StPO § 1 Rz 43), kann die auf einer falschen Rechtsansicht beruhende Überschreitung des Ermessensspielraums - maW die Tatsache, dass das Gericht von einem ihm eingeräumten Ermessen nicht im Sinn des Gesetzes Gebrauch gemacht hat - sehr wohl mit Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes angefochten werden (RIS-Justiz RS0096557).
Da die aufgezeigten Gesetzesverletzungen dem Verurteilten zum Nachteil gereichen können, war die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.
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