OGH 12Os130/20i

OGH12Os130/20i16.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Dezember 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Haslwanter in der Strafsache gegen Aiham D***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Maher A***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Jugendschöffengericht vom 23. Juli 2020, GZ 34 Hv 22/20b‑141, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00130.20I.1216.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten Maher A***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen – auch in Rechtskraft erwachsene Schuldsprüche weiterer Angeklagter sowie rechtskräftige Freisprüche enthaltenden – Urteil wurde Maher A***** des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG (F/1.), des Vergehens der falschen Beweisaussage nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 288 Abs 1 und Abs 4 StGB (F/2.), des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach [§ 83 Abs 1] § 84 Abs 5 Z 2 StGB (H/) sowie mehrerer Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (I/, J/ und K/) schuldig erkannt.

Danach hat er in I*****

F/

1. am 8. Dezember 2019 eine verbotene Waffe, nämlich einen Schlagring, besessen;

2. um den 16. Dezember 2019 den Mohammad Afif Al***** zu einer falschen Beweisaussage im Ermittlungsverfahren der Kriminalpolizei zu dem zu H/ genannten Vorfall zu bestimmen versucht, indem er den Genannten warnte, dass er von der Polizei vernommen werden würde, und ihn aufforderte, er solle wahrheitswidrig aussagen, er habe den Angeklagten beobachtet, als dieser nicht mit dem Bus der Linie „J“ vom T***** zum S***** gefahren und auch nicht mit anderen Burschen zur F***** gelaufen sei, und er solle behaupten, dass beim T***** ein kleiner Junge geschlagen worden sei;

H/

am 8. Dezember 2019 in verabredeter Verbindung mit Samir Al H*****, Mohammad Ali***** und „zahlreichen, zumindest aber zwei“ weiteren unbekannten Mittätern (§ 12 StGB) Abdel Aziz H***** und Hakan T***** vorsätzlich am Körper verletzt, indem sie mit einem Schlagring und den Fäusten auf diese einschlugen, wodurch Abdel Aziz H***** zumindest eine Rissquetschwunde an der linken Schläfe erlitt;

I/

am 29. November 2019 mit Mohammad Ali*****, Samir Al H***** und Aiham D***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) sowie mit den abgesondert verfolgten Salar Mohammad K*****, Ahmed Abdiwahid Ab*****, Tamam M***** und Blend S***** dem Pascal Ma***** eine fremde bewegliche Sache, nämlich Kopfhörer der Marke AirPods samt Hülle, im Wert von 150 Euro mit Gewalt und gefährlicher Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben mit dem Vorsatz abgenötigt, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie sich vor dem in der Straßenbahn sitzenden Opfer bedrohlich positionierten, und hinter diesem Platz nahmen, Aiham D***** dem Opfer die Kopfhörer aus den Ohren zog, D***** das Opfer aufforderte, auch die Hülle der Kopfhörer herauszugeben und diese dem Opfer aus der Hand riss, um die Straßenbahn mit Kopfhörern und Hülle zu verlassen;

J/

am 8. Dezember 2019 mit Samir Al H*****, Aiham D*****, Ameer Ala***** und Muhamad Feras Sa***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) dem Alem Mah***** eine fremde bewegliche Sache, nämlich eine Daunenjacke im Wert von 270 Euro mit gefährlicher Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben mit dem Vorsatz abgenötigt, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie sich arbeitsteilig in einem Lokal und Ausgangsbereich rund um den Tisch des Opfers bedrohlich positionierten, D*****, A***** und Samir Al H***** sich um bzw auf den Tisch des Opfers setzten und D***** diesen um Geld fragte, sodann dessen auf der Sitzbank liegende Jacke erfasste und an dieser zog, auch als Laura P***** versuchte, diese festzuhalten, um sie in weiterer Folge an Maher A***** zu übergeben, der damit das Lokal fluchtartig verließ, während dem Opfer von den Mitangeklagten der Weg versperrt wurde, um eine Nacheile zu verhindern;

K/

am 20. November 2019 mit Samir Al H***** und Aiham D***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) sowie mit weiteren drei nicht identifizierten unbekannten Mittätern dem Tobias St***** eine fremde bewegliche Sache, nämlich eine Uhr im Wert von ca 300 Euro mit gefährlicher Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben mit dem Vorsatz abgenötigt, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie sich als Gruppe geschlossen vor dem Opfer in einem Halbkreis bedrohlich positionierten, dessen Hosen‑ und Jackentaschen abtasteten und so nach Wertsachen suchten, und Maher A***** Tobias St***** schließlich die Armbanduhr vom Handgelenk zog.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 5 und Z 9 lit a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht berechtigt.

Die vom Erstgericht vorgenommene Ableitung der Feststellungen zur inneren Tatseite bei F/1. des Schuldspruchs aus der „Vorgangsweise“ des Angeklagten (US 63) ist – entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) – unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0098671).

Die zu F/2. des Schuldspruchs behauptete Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) liegt entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge nicht vor. Das Erstgericht stützte sich bei seinen Feststellungen auf die für glaubwürdig erachteten Angaben des Zeugen Mohammad Afif Al***** vor der Polizei, und ließ dabei – entgegen den Beschwerdeausführungen – dessen Angaben als Zeuge in der Hauptverhandlung, er könne sich an das Gespräch mit dem Rechtsmittelwerber nicht erinnern, nicht unberücksichtigt (US 64 f). Ebenso erörterten die Tatrichter die Zeugenaussage des den Mohammad Afif Al***** vernehmenden Polizeibeamten Fabian R*****, wonach es keine Sprachschwierigkeiten gegeben habe (US 65). Der Rechtsmittelwerber verkennt, dass das Erstgericht nicht gehalten war, sich mit jedem Detail der Aussagen auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0098377), und unternimmt mit seinem Vorbringen bloß einen unzulässigen Versuch, die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in Frage zu stellen.

Zu den Punkten I/, J/ und K/ des Schuldspruchs behauptet die Mängelrüge (Z 5 erster Fall), die Feststellungen wären jeweils betreffend die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) undeutlich geblieben.

Zu I/ des Schuldspruchs konstatierte das Schöffengericht, dass der Rechtsmittelwerber sich in der Straßenbahn neben Pascal Ma***** setzte, während Ahmed Abdiwahid Ab***** auf der Sitzbank hinter dem Opfer Platz nahm und Mohammad Ali*****, Samir Al H*****, Aiham Alyas D***** und Salar Mohammad K***** sich unmittelbar und bedrohlich vor dem Opfer aufstellten, wobei einer der Täter ihm die Kopfhörer aus dem Ohr nahm und, als Ma***** danach greifen wollte, dessen Hand festhielt. Zur Bekräftigung ihrer Forderung nach der Box der AirPods umringten Mohammad Ali*****, Samir Al H*****, Aiham Alyas D***** und Salar Mohammad K***** den bereits stark eingeschüchterten Ma***** noch enger und bedrohlicher, wobei der Rechtsmittelwerber nach wie vor auf dem Platz neben dem Opfer sitzen blieb und sich Ahmed Abdiwahid Ab***** seitlich hinter dem Opfer aufstellte und zu diesem vorbeugte, woraufhin D***** ihm die Box aus der Hand riss (US 33 f).

Zu J/ des Schuldspruchs traf das Erstgericht folgende Feststellungen:

In einer McDonald's‑Filiale setzte sich D***** an den Tisch des Alem Mah*****, während der Rechtsmittelwerber, Samir Al H*****, Ameer Arkan Abdulameer Ala***** und Muhamad Feras Sa***** sich vor den Tisch des Opfers bzw im Bereich des Ausgangs positionierten. Den Tisch des Opfers kreisten sie in einer Zweierreihe ein, das heißt, dass ein Teil der Gruppe sich direkt am Tisch, der andere Teil der Gruppe dahinter befand. Die Situation war für Mah***** und seine Begleiterin Laura P***** bedrohlich. D***** fragte zunächst nach Geld, als das Opfer keines herausgab, fasste er dessen Daunenjacke, welche Laura P***** festhalten wollte. D***** gelang es jedoch, die Jacke aus deren Festhaltegriff loszureissen. Alem Mah***** wurde nach der Flucht des Rechtsmittelwerbers mit der Jacke von den übrigen Angeklagten der Weg versperrt (US 34 f).

Zu Punkt K/ des Schuldspruchs konstatierten die Tatrichter, dass der Rechtsmittelwerber, Samir Al H*****, Aiham Alyas D***** und drei weitere Burschen Tobias St***** bedrohlich in einem Halbkreis umzingelten, näher an ihn herantraten und begannen seine Hosen‑ und Jackentaschen nach Wertsachen abzutasten. Der Rechtsmittelwerber zog schließlich dem Opfer die Uhr vom Handgelenk (US 35 f).

Weshalb diese Feststellungen undeutlich im Sinn des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes sein sollten, wird nicht klar (vgl RIS‑Justiz RS0099425, RS0094153 [T1], RS0092343 [T1, T6]).

Betreffend I/, J/ und K/ behauptet die Mängelrüge weiters, die Feststellungen wären widersprüchlich (Z 5 dritter Fall), weil zur objektiven Tatseite jeweils ein Losreissen bzw Entreissen oder nach der Uhr Greifen festgestellt worden wäre, zur subjektiven Seite hingegen jeweils, dass die Angeklagten die Wertgegenstände abnötigen wollten (US 34 ff). Damit wird jedoch ein Widerspruch im Sinn des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes nicht aufgezeigt (RIS‑Justiz RS0119089).

Indem die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zu I/ des Schuldspruchs behauptet, die Feststellungen zum bedrohlichen Umringen des Opfers wären unbegründet geblieben, der pauschale Hinweis auf die Videoüberwachung reiche nicht aus, wird unzulässige Beweiswürdigungskritik geübt und außerdem nicht – wie geboten – Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe genommen, wonach die Bilder aus der Videoüberwachung „die uneingeschränkt glaubwürdigen Angaben des Zeugen Pascal Ma***** bestätigten“ (US 66; RIS‑Justiz RS0119370).

Mit dem Ziel eines Schuldspruchs wegen § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB (sogenannter minderschwerer Raub) kritisiert die Nichtigkeitsbeschwerde, das Schöffengericht hätte betreffend I/ des Schuldspruchs zum Wert der weggenommenen Kopfhörer samt Ladegerät von 150 Euro (US 34) keine Begründung angeführt. Das Erstgericht hat sich jedoch – was die Nichtigkeitsbeschwerde außer Acht lässt – auf die für glaubwürdig erachteten Angaben des Zeugen Pascal Ma***** gestützt (US 66 f iVm Hv‑Protokoll ON 135 S 64 f).

Auch betreffend Punkt J/ und K/ des Schuldspruchs behauptet der Rechtsmittelwerber, das Schöffengericht hätte die Feststellungen zum Wert der Sachen nicht begründet und zielt damit auf § 142 Abs 2 StGB ab. Doch auch diesbezüglich lässt die Beschwerde außer Acht, dass sich die Tatrichter erkennbar auf die für glaubwürdig erachteten Angaben der Opfer stützten (US 67 ff; neuerlich RIS‑Justiz RS0119370).

Die zu I/, J/ und K/ des Schuldspruchs erhobene Rechtsrüge (Z 9 lit a) legt nicht dar, weshalb die eingangs wiedergegebenen Feststellungen betreffend das Umzingeln nicht unter den Begriff der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zu subsumieren wären (vgl RIS‑Justiz RS0094153 [T1], RS0092343 [T1, T6]).

Indem die Rechtsrüge auf die Zeugenaussage des Pascal Ma***** verweist, er habe sich bloß unwohl gefühlt, bedroht habe ihn niemand, wird unzulässige Beweiswürdigungskritik geübt und prozessordnungswidrig nicht am festgestellten Sachverhalt festgehalten (RIS‑Justiz RS0099810). Das gilt auch für das Vorbringen, der Zeuge Mah***** hätte angegeben, nervös gewesen zu sein und die Situation „nicht lustig“ gefunden zu haben, sowie die Bezugnahme auf die Aussage des Zeugen Tobias St*****, er habe sich während des gesamten Vorfalls nicht bedroht gefühlt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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