OGH 12Os1/24z

OGH12Os1/24z15.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Jänner 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin OKontr. Schaffhauser im Verfahren zur strafrechtlichen Unterbringung des I* E* in einem forensisch‑therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB, AZ 32 HR 322/23m (nunmehr AZ 43 Hv 80/23z) des Landesgerichts Wiener Neustadt, über die Grundrechtsbeschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 12. Dezember 2023, AZ 18 Bs 349/23i (ON 44.5 der Hv‑Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0120OS00001.24Z.0115.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Grundrechte

 

Spruch:

 

I* E* wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 22. November 2023 (ON 37.1) wurde die von demselben Gericht über I* E* am 20. September 2023 aus den Haftgründen der Tatbegehungs- und der Tatausführungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b und dStPO verhängte (ON 12, 13) und mehrfach fortgesetzte (ON 21 und 30) Untersuchungshaft unter Annahme der Haftgründe des § 173 Abs 2 Z 3 lit a, b und d StPO in eine vorläufige Unterbringung nach § 431 StPO umgewandelt (§ 430 Abs 1 Z 4 StPO).

[2] Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde des I* E* nicht Folge und setzte die vorläufige Unterbringung aus den bisher herangezogenen Haftgründen fort.

[3] Nach den Sachverhaltsannahmen des Beschwerdegerichts steht I* E* im dringenden Verdacht, am 18. September 2023 in W* unter dem maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, nämlich einer anhaltenden wahnhaften Störung F.22 mit beträchtlichem organischem Substrat bei St. p. Thalamus Insult rechts 2012, Taten nach § 21 Abs 3 StGB begangen zu haben, wobei er im Zeitpunkt der Taten wegen dieser Störung zurechnungsunfähig (§ 11 StGB) war, indem er vorsätzlich versuchte, seine Gattin M* E* am Körper zu verletzen und dadurch eine schwere Körperverletzung der Genannten herbeizuführen, dass er ihr mit einem Gemüsemesser von 8,5 cm Klingenlänge und einer Gabel Stiche gegen den Bauch zu versetzen suchte, und, nachdem sie die Angriffe abgewehrt hatte, ihre Hände umfasste, sie festhielt und ihr durch die Ankündigung „Ich habe alles verloren. Du wirst jetzt etwas verlieren.“ sinngemäß in Aussicht stellte, er werde ihr das Leben nehmen.

[4] In rechtlicher Hinsicht bejahte das Oberlandesgericht den dringenden Verdacht der Begehung einer dem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB und einer dem Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB zu subsumierenden Anlasstat.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die dagegen gerichtete Grundrechtsbeschwerde des Betroffenen wendet sich gegen die Bejahung des dringenden Tatverdachts und behauptet eine Verletzung des Art 6 MRK mangels Beiziehung des Verteidigers zur Befundaufnahme durch die Sachverständige Dr. G* sowie Substituierbarkeit der Haft durch die Anwendung gelinderer Mittel.

[6] Gegenstand der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über eine Grundrechtsbeschwerde ist – anders als bei der Entscheidung des Oberlandesgerichts über eine Haftbeschwerde – nicht die Haft, sondern die Entscheidung über diese (RIS‑Justiz RS0121605 [insbesondere T3]). Dabei kann die Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts nach ständiger Judikatur nur nach Maßgabe der Kriterien der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden (RIS‑Justiz RS0110146 und RS0114488 [insbesondere T2]). Die rechtliche Beurteilung wiederum, welche strafbaren Handlungen durch die als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen begründet werden, unterliegt der Prüfung nach den Kriterien der Z 9 und 10 des § 281 Abs 1 StPO (Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 26, 32 f; Kirchbacher/Rami, WK‑StPO Vor §§ 170 bis 189 Rz 23/2).

[7] Mit dem pauschalen Einwand, entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts erschließe sich die subjektive Tatseite bezüglich der Herbeiführung einer schweren Verletzungsfolge im Sinn des § 84 Abs 4 StGB keinesfalls aus dem äußeren Geschehensablauf (vgl aber RIS‑Justiz RS0098671 [insbesondere T5]), und der Behauptung, durch die Aussage des Opfers sei „in keiner Weise objektiviert“, dass der Betroffene auf dieses einzustechen versuchte, wird kein Begründungsmangel in der Bedeutung der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO aufgezeigt. Vielmehr wiederholt der Betroffene in der Grundrechtsbeschwerde bloß sein Vorbringen in der Beschwerde an das Oberlandesgericht, ohne sich mit dessen eingehender Begründung (vgl BS 7 und BS 8 f) auseinanderzusetzen.

[8] Mit dem Hinweis auf die Aussage des Opfers bei seiner kontradiktorischen Vernehmung (ON 22 S 7 ff) weckt die Beschwerde beim Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5a StPO gegen den Ausspruch des Oberlandesgerichts, wonach der Betroffene mehrfach auf das Opfer einzustechen versucht habe (BS 5).

[9] Soweit die Beschwerde bei der Bestreitung des Vorliegens eines dringenden Tatverdachts zur Äußerung einer Drohung mit dem Tod nicht auf Basis der Sachverhaltsannahmen des Oberlandesgerichts (BS 5) argumentiert, wonach diese im Anschluss an den körperlichen Angriff und nicht davor erfolgte, entzieht sie sich einer inhaltlichen Erwiderung.

[10] Gleiches gilt für den der Sache nach das Vorliegen von Versuch im Sinn des § 15 Abs 2 StGB bestreitenden Beschwerdeeinwand (Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO), dass „aus dem bisherigen Akteninhalt“ „keine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung bzw. auch keine Ausführungshandlung bezüglich der Zufügung einer schweren Körperverletzung“ folge.

[11] Mit dem Einwand, die Drohung sei nicht ernst gemeint gewesen und der Betroffene habe nicht mit dem tatbestandsmäßigen Vorsatz gehandelt, orientiert sich die Beschwerde einmal mehr nicht an den Kriterien der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO.

[12] Weshalb die Drohung nicht geeignet sein sollte, begründete Besorgnis der Tötung einzuflößen (vgl RIS‑Justiz RS0092448 [T5]), erklärt die Beschwerde nicht.

[13] Die Kritik am Gutachten der Sachverständigen Dr. G* soll zwar erkennbar der angefochtenen Entscheidung gelten (§ 1 Abs 1 GRBG), indem dieser, soweit sie der Expertise folgt, eine „taugliche“ Grundlage abgesprochen wird. Mit dem nicht näher konkretisierten Vorbringen, dies sei „aus formalen als auch aus inhaltlichen Gründen“ der Fall, macht sie jedoch nicht nachvollziehbar geltend, inwiefern der angefochtenen Entscheidung Willkür bei der getroffenen Prognose (siehe BS 12) anhaften sollte.

[14] Die – ausdrücklich allein „aus advokatorischer Vorsicht“ aufgestellte – Behauptung, aus Art 6 MRK folge entgegen der Rechtsansicht des Oberlandesgerichts (BS 10), dass die Sachverständige den Verteidiger von der Befundaufnahme verständigen und den Betroffenen ohne Beisein seines Verteidigers nicht hätte befragen dürfen, legt nicht dar, inwieweit sich die Beschwerde damit gegen eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung wendet, die für die vorläufige Unterbringung relevant und somit das Grundrecht auf persönliche Freiheit betroffen sein sollte (vgl Kier in WK2 GRBG § 1 Rz 4, 25, 27).

[15] Mit der bloßen Bestreitung der Einschätzung des Oberlandesgerichts, die vorläufige Unterbringung sei durch gelindere Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) nicht substituierbar (BS 13), ohne sich mit der eingehenden Begründung dieser Einschätzung auseinanderzusetzen, verfehlt die Grundrechtsbeschwerde eine Ausrichtung am Gesetz (RIS‑Justiz RS0112526).

[16] Der Betroffene wurde daher im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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