OGH 12Os12/22i

OGH12Os12/22i2.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Juni 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brennerund den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Marko, BA, BA, in der Strafsache gegen * K* und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der Untreue nach §§ 12 zweiter Fall, 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 14. Oktober 2021, GZ 34 Hv 84/19d‑237, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00012.22I.0602.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteilwurden * K* und Mag. * M* von der wider sie erhobenen Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen, es hätten in Z* im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit weiteren abgesondert verfolgten Entscheidungsträgern und Mitarbeitern des Unternehmens S* * G.m.b.H. (nachfolgend kurz S*) Dipl.‑Ing. * J* durch Anweisung wissentlich dazu bestimmt, im Urteil angeführte Entscheidungsträger einzeln genannter Unternehmen in Polen wissentlich zu bestimmen, ihre Befugnis, über das Vermögen der jeweiligen Unternehmen zu verfügen oder diese zu verpflichten, dadurch zu missbrauchen, dass sie (gemeint offenbar [vgl Anklageschrift ON 178, insbes S 52]) jeweils zu um Bestechungsgelder überhöhten Preisen im Urteil angeführte Maschinen und Anlagen für den Bergbau von S* oder mit ihr verbundenen Unternehmen gekauft, gemietet oder bei ihnen Reparaturarbeiten in Auftrag gegeben und dadurch die jeweiligen Unternehmen in der Höhe des Bestechungsgeldes am Vermögen geschädigt hätten, wobei durch die Taten ein 300.000 Euro übersteigender Schaden von 5.411.562 Euro herbeigeführt worden sei, und zwar

A./ Mag. * M* im Zeitraum 2. Juli 1996 bis 12. Juni 2001 in 56 Fällen, wobei Dipl.‑Ing. J* zudem angewiesen worden sei, die Bestechungszahlungen über die S* abzuwickeln (Schaden 1.925.480 Euro),

B./ * K* und Mag. * M* im Zeitraum 20. Juni 2001 bis 30. April 2004 in 29 Fällen, wobei Dipl.‑Ing. J* zudem angewiesen worden sei, die Bestechungszahlungen in weiterer Folge (auch) im Wege von Scheinberatungsleistungen des * P* zu „generieren“ (Schaden 1.876.118 Euro),

C./ * K* und Mag. * M* im Zeitraum beginnend im Jahr 2004 bis 30. März 2007 in 28 Fällen, wobei Dipl.‑Ing. J* zudem angewiesen worden sei, die „Generierung“ von Bestechungsgeldern gänzlich nach Polen zu verlagern und über ein Scheinunternehmen des P* abzuwickeln (Schaden 1.609.956 Euro).

Rechtliche Beurteilung

[2] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, der keine Berechtigung zukommt.

[3] Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich gegen die Abweisung von Anträgen auf Ablehnungdes Rechts der Zeugen * G*, Dipl.‑Ing. * B*, Dipl.‑Ing. * Pu*, Mag. * R*, * Re* und Dipl.‑Ing. * H* auf Verweigerung der Beantwortung einzelner (in der Beschwerde nicht angeführter) Fragen gemäß § 158 Abs 1 Z 1 StPO. Eine Begründung dieser (nach Rüge der Information des Vorsitzenden über die Gewährung des Aussagebefreiungsrechts gestellten [ON 236 S 5 f]) Anträge erfolgte lediglich zu G*. Danach sei dieser seit mehr als 20 Jahren nicht mehr im Unternehmen tätig und sei (gemeint offenbar vom Zeugen) nicht dargetan worden, inwieweit ihm aus der Beantwortung der Frage nach Wahrnehmungen zur Veranlassung von Schmiergeldzahlungen durch die Angeklagten ein unmittelbarer wirtschaftlicher Nachteil drohe (ON 236 S 5). Sofort nach Verkündung der abschlägigen Entscheidungen behielt sich die Staatsanwaltschaft die Nichtigkeitsbeschwerde vor (ON 236 S 6 f, 10 f, 13, 15, 17; § 281 Abs 3 StPO).

[4] Vorauszuschicken ist, dass aus Z 4 des § 281 Abs 1 StPO allein die unrichtige Entscheidung in der Rechtsfrage geltend gemacht werden kann. Der Oberste Gerichtshof überprüft den ihr zugrundeliegenden – durch das Schöffengericht in freier Beweiswürdigung festzustellenden – Sachverhalt nur bei einer darauf bezogenen Anfechtung nach Art einer Mängelrüge (Z 4 iVm Z 5) oder (zugunsten des Angeklagten) Tatsachenrüge (Z 4 iVm Z 5a; vgl RIS‑Justiz RS0118977, RS0118016).

[5] Somit ist eine Verfahrensrüge erfolgreich, wenn die Beschwerdeführerin aufzeigt, dass die Lösung der Verfahrensfrage angesichts der tatsächlichen Lage im Entscheidungszeitpunkt rechtlich verfehlt war. Ist sie rechtsrichtig, kann nur deren Sachverhaltsgrundlage (hier) nach Maßgabe der in § 281 Abs 1 Z 5 StPO genannten Kriterien angefochten werden (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 41 und 49 ff).

[6] Nach dem Gesagten erfordert die Geltendmachung (hier) einer rechtsfehlerhaften Lösung der Verfahrensfrage nach dem (vom Schöffengericht angenommenen) Bestehen eines Aussageverweigerungsrechts nach § 158 Abs 1 Z 1 StPO (vgl zur Geltendmachung aus Z 4 Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 366) somit die Argumentation auf Basis der vom Schöffengericht herangezogenen Tatsachenannahmen, wonach aufgrund der (ehemaligen) Funktion der Zeugen in der S* und der sich daraus ergebenden, nicht wahrgenommenen Verpflichtung zum Tätigwerden bei Kenntniserlangung von den in Rede stehenden „Malversationen“ Schadenersatzforderungen des (ehemaligen) Arbeitgebers wegen Verletzung der Treuepflicht in Höhe der hier angenommenen Schadensbeträge („korrespondierende Schadenersatzansprüche“) drohen (vgl zu Schadenersatzprozessen Plöchl/Seidl in WK² StGB § 290 Rz 12; ON 236 S 5 f). Diesen Bezugspunkt verfehlt die Rüge, weil sie der Behauptung des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 158 Abs 1 Z 1 StPO – im Übrigen in unzulässiger Ergänzung des zum Zeugen G* erstatteten, auf eine einzige Frage beschränkten Antragsvorbringens (RIS‑Justiz RS0098978, RS0099618) – einen davon abweichenden Sachverhalt zugrundelegt.

[7] Der weiters gegen die Abweisung des Antrags, den Zeugen G* gemäß § 158 Abs 2 StPO zur Beantwortung einer Frage zu verpflichten (ON 236 S 6 f), gerichteten Rüge zuwider kommt es bei Anwendung dieser Bestimmung nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut auf die zwingende Erforderlichkeit der Aussage zur Wahrheitsfindung an (Kirchbacher/Keglevic, WK‑StPO § 158 Rz 10 mwN; Koller in Schmölzer/Mühlbacher, StPO² § 158 Rz 15 f; ErläutRV BlgNR 22. GP 205 [„zwingend erforderlich ist, um über die Schuld des Angeklagten entscheiden zu können“]; vgl zu §§ 152 f StPO idF BGBl 1987/605 15 Os 152/91, 153/91, wonach bei der Frage der Unerlässlichkeit der Aussage im Fall des Rechts zur Verweigerung der Beantwortung einzelner Fragen bei Selbstbelastungsgefahr aus Fairnessgründen [Art 6 Abs 1 MRK] eine Interessensabwägung vorzunehmen sei; sich darauf berufend Dietrich/Höcher in LiK‑StPO § 158 Rz 12 [vgl aber zur geltenden, in Ansehung der Selbstbelastungsgefahr nicht vergleichbaren Rechtslage § 157 Abs 1 Z 1 StPO]). Demnach wäre in einem sich auf § 158 Abs 2 StPO stützenden Antrag darzulegen, weshalb die Beantwortung der konkret in Rede stehenden Frage, in Ansehung derer die Voraussetzungen des § 158 Abs 1 (hier) Z 1 StPO vorliegen, zur Wahrheitsfindung zwingend erforderlich sein soll (vgl auch im Folgenden). Indem die Beschwerdeführerin bei der Antragstellung lediglich allgemein ein Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses gegenüber den wirtschaftlichen Interessen des Zeugen behauptete und auf die wegen des Todes fehlende Möglichkeit der Vernehmung des als Hauptbelastungszeugen bezeichneten (im polnischen Strafverfahren unzählige Male vernommenen [siehe zur Verlesung dieser Aussagen in der Hauptverhandlung ON 236 S 17]) Dipl.‑Ing. J* hinwies, zeigte sie mangels Auseinandersetzung mit der zwingenden Erforderlichkeit der Beantwortung der konkreten Frage zur Wahrheitsfindung keine Gründe im Sinne des § 158 Abs 2 StPO auf (ON 236 S 6; vgl zur Unbeachtlichkeit der in der Rechtsmittelschrift nachgetragenen Ergänzungen erneut RIS‑Justiz RS0099618).

[8] Soweit sich die Rüge in diesem Zusammenhang auch auf die Abweisung des Antrags, „sämtliche heute einzuvernehmenden Zeugen“ gemäß § 158 Abs 2 StPO zur Aussage zu verhalten (ON 236 S 6), beziehen sollte (ON 236 S 6 f), ist sie darauf zu verweisen, dass Gegenstand des Aussageverweigerungsrechts nach § 158 Abs 1 Z 1 StPO Fragen sind, deren Beantwortung Gefahr der Schande oder eines vermögensrechtlichen Nachteils bewirken kann. Auf Fragen, deren Beantwortung keine solche Gefahr nach sich zieht, muss der Zeuge eingehen (Kirchbacher/Keglevic, WK‑StPO § 158 Rz 3). § 158 Abs 2 StPO normiert eine (im Ermessen des Schöffengerichts stehende [arg: „können“]) Ausnahme zu Abs 1 leg cit, sodass die Unerlässlichkeit der Aussage ebenfalls anhand der konkreten Frage zu beurteilen ist.

[9] Da sich der Antrag nach § 158 Abs 2 StPO auf noch gar nicht stattgefundene Vernehmungen bezog, erfolgte er ohne Kenntnis der (erst zu stellenden) Fragen (betreffend erhebliche Tatsachen [vgl zu diesem Erfordernis Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 321]) und des Aussageverhaltens der (bezogen auf den Antragszeitpunkt [vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 325]) möglicherweise nach § 158 Abs 1 StPO zur Verweigerung der Beantwortung von Fragen berechtigten, dazu aber jedenfalls nicht verpflichteten Zeugen. In der Abweisung eines solchen Antrags ist die behauptete Verletzung von Strafverfolgungsinteressen zufolge rechtsfehlerhafter Anwendung des § 158 Abs 2 StPO nicht zu erblicken.

[10] Entgegen der Kritik (Z 5 zweiter Fall) unvollständiger Begründung der von den Tatrichtern (jeweils) verneinten subjektiven Tatseite (US 18 f) stehen die keine (eigenen) Wahrnehmungen zu den Angeklagten beinhaltenden Aussagen des * Be* und des P* über die von den Tatrichtern konstatierten (US 17 ff) Bestechungszahlungen sowie des Ersteren über von Dipl.‑Ing. J* behauptete Zahlungen an den Erstangeklagten der Annahme der Unglaubwürdigkeit des Dipl.‑Ing. J* hinsichtlich der Involvierung der Angeklagten in diese Vorgänge nicht erörterungsbedürftig entgegen (vgl allgemein zur mangelhaften Beurteilung der Überzeugungskraft von Aussagen RIS‑Justiz RS0119422).

[11] Da somit bereits die Bekämpfung der Negativfeststellung zur subjektiven Tatseite scheitert, erübrigt sich eine Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens (Z 9 lit a) zum Fehlen von (im Übrigen lediglich für die Abgrenzung von Versuch und Vollendung relevanten [vgl Fabrizy in WK² StGB § 12 Rz 72; RIS‑Justiz RS0122137]) Feststellungen zur Tatausführung durch die unmittelbaren Täter.

[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

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