European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00109.17X.0419.000
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen 1./ und 2./ ersatzlos sowie demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
Für das ihm weiterhin zu Last liegende Verbrechen des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB wird Erdem C***** gemäß § 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Mit seiner Berufung wegen Strafe wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Der Berufung gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche wird nicht Folge gegeben.
Die Vorhaftanrechnung wird dem Erstgericht überlassen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Erdem C***** des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (1./), des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (2./) und des Verbrechens des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB (3./) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt.
Danach hat er am 6. Februar 2017 in J***** Baki Y*****
1./ gefährlich mit dem Tode bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ihm ein cirka 25 cm langes Messer mit der Spitze voran an den Hals hielt;
2./ vorsätzlich am Körper verletzt, indem er einen Kopfstoß gegen dessen Gesicht versetzte, wodurch der Genannte eine Schürfwunde am Nasenrücken erlitt;
3./ zu töten versucht, indem er mit einem etwa 25 cm langen spitzen Messer wuchtig in dessen linke Rumpfseite einstach, wodurch Baki Y***** lebensgefährliche Verletzungen der Milz, der Milzarterie, der linken Niere, der Bauchspeicheldrüse linksseitig und der linken Zwerchfellkuppe verbunden mit massivem Blutverlust erlitt.
Die Geschworenen bejahten die anklagekonform gestellten Hauptfragen in Richtung gefährlicher Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (1./), Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (2./) und Mord nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB (3./) und verneinten die zu den Hauptfragen 2./ (§ 83 Abs 1 StGB) und 3./ (§§ 15 Abs 1, 75 StGB) jeweils in Richtung (Putativ‑)Notwehr und (Putativ‑)Notwehrexzess aus asthenischem Affekt gestellten Zusatzfragen 1./ und 2./. Die für den Fall der Bejahung der Hauptfrage 2./ und der Zusatzfrage 1./ gestellte Eventualfrage 1./ nach fahrlässiger Körperverletzung (§ 88 Abs 1 StGB) und die weitere für den Fall der Bejahung der Hauptfrage 3./ und der Zusatzfrage 2./ gestellte Eventualfrage 5./ in Richtung fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB blieben demgemäß ebenso unbeantwortet wie die für den Fall der Verneinung der Hauptfrage 3./ nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB gestellten Zusatzfragen 2./ bis 4./ in Richtung absichtlicher schwerer Körperverletzung (§ 87 Abs 1 StGB), schwerer Körperverletzung (§ 84 Abs 4 und Abs 5 Z 1 StGB) und fahrlässiger Körperverletzung (§ 88 Abs 3 und Abs 4 zweiter Fall StGB).
Rechtliche Beurteilung
Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 345 Abs 1 Z 6, Z 8, Z 9, Z 10a und Z 12 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der teilweise Berechtigung zukommt.
Die Fragenrüge (Z 6) kritisiert das Unterbleiben der Stellung einer Eventualfrage in Richtung des Verbrechens des Totschlags (§ 76 StGB), wobei sie auf die Verantwortung des Angeklagten, vom späteren Tatopfer durch grob obszöne Ausdrücke beleidigt und – auch mit einem Messer, das er ihm hätte entwinden können – attackiert worden zu sein, wobei er nie gedacht habe, dass das Ganze so eskaliert (ON 77 S 9 ff), verweist und auch auf die Angaben zweier Tatzeuginnen (ON 77 S 53 ff) Bezug nimmt, die seine Angaben über eine lautstarke Auseinandersetzung bestätigt hätten.
Ein Verfahrensergebnis der Hauptverhandlung, das eine „heftige“ Gemütsbewegung im Sinn eines tiefgreifenden, mächtigen Erregungszustands nach Art eines „Affektsturms“, der alle normalen verstandesmäßigen Erwägungen ausschaltet und die Tötungshemmung hinwegzufegen geeignet ist (vgl RIS-Justiz RS0092338; Kienapfel/Schroll StudB BT I4 § 76 Rz 17), indizieren würde, bezeichnet die Rüge solcherart nicht und verfehlt so die gebotene Ausrichtung am Verfahrensrecht (RIS-Justiz RS0117447; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23).
Die Instruktionsrüge (Z 8) entbehrt mit dem Einwand, dass sich die Rechtsbelehrung nicht schon bei der Belehrung zur Hauptfrage 3./ (nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB) mit dem für die Beurteilung der Tat wesentlichen Unterschied zwischen den in den Eventualfragen 2./ bis 4./ enthaltenen Tatbeständen, insbesondere jenem einer schweren Körperverletzung, begangen auf eine Weise, mit der Lebensgefahr verbunden war, auf der inneren Tatseite auseinandersetzte, und der Mutmaßung, den Geschworenen sei so die Möglichkeit genommen worden, klar zwischen den Tatbestandsmerkmalen dieser Gesetzesstellen zu unterscheiden und das Wesen der in den Eventualfragen enthaltenen für den Angeklagten günstigeren Tatbestände, vor allem jenes nach § 84 Abs 4 und Abs 5 Z 1 StGB zu erfassen, einer prozessordnungskonformen Ausführung.
Denn sie macht nicht deutlich, inwiefern die gegenständliche Instruktion, die für jede Frage gesondert eine Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung, auf die die Haupt- und Eventualfragen gerichtet sind, sowie eine Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes enthält und solcherart der Vorschrift des § 321 Abs 1 StPO entspricht, Urteilsnichtigkeit nach Z 8 des § 345 Abs 1 StPO bewirken oder im Sinne der weiteren Behauptung geeignet sein könnte, „die Geschworenen bei Beantwortung der an sie gestellten Fragen auf einen falschen Weg zu weisen“.
Soweit die Fragenrüge (Z 6) vermeint, angesichts der Fragestellung nach versuchtem Mord wäre die Instruktion zu den Voraussetzungen des Versuchs anlässlich der Belehrung zur Hauptfrage 3./ und nicht gesondert „in allgemeiner Form“ geboten gewesen, übersieht sie, dass die Rechtsbelehrung stets nach ihrem gesamten Inhalt und nicht nach einzelnen aus dem Zusammenhang gelösten Teilen zu prüfen ist (RIS-Justiz RS0100695), und macht daher nicht deutlich, weshalb die entsprechende Belehrung zu einer Irreführung der Laienrichter geeignet gewesen sein sollte. Dass die Ausführung „die Hauptfrage 3./ … ist auf das Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB gerichtet“ statt– wie die Rüge vermeint – des versuchten Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB eine solche Eignung aufweisen sollte, ist angesichts der unmissverständlichen Fragestellung nach versuchter Tötung nicht nachvollziehbar.
Ein Mangel des Wahrspruchs im Sinn der Z 9 des § 345 Abs 1 StPO liegt nur dann vor, wenn dieser zufolge seiner Undeutlichkeit, seiner Unvollständigkeit oder eines inneren Widerspruchs überhaupt kein verlässliches Bild von der Meinung der Geschworenen abgibt und damit als Basis für ein Urteil unbrauchbar ist (RIS-Justiz RS0101195, RS0101005). Inwiefern eine Abänderung des Wahrspruchs im Rahmen des Moniturverfahrens und eine weitere Ausbesserung Undeutlichkeit oder inneren Widerspruch begründen sollten, lässt die Rüge im Dunkeln.
Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO zielt – soweit hier von Bedeutung (Fehler in der Sachverhaltsaufklärung werden nicht behauptet) – darauf, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) aufzuzeigen, die nahelegen, dass die
Geschworenen das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO iVm § 302 Abs 1 StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben.
Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780 [T13, T16, T17]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 470, 490).
Eine im dargestellten Sinn qualifizierte Fehlentscheidung wird vom Nichtigkeitswerber mit dem Hinweis auf seinen bisherigen untadeligen Lebenswandel, seine berufliche und familiäre Integration und das Fehlen eines nachvollziehbaren Motivs, das für die Annahme eines Tötungsvorsatzes sprechen würde, ebenso wenig dargetan wie mit dem Versuch, mit eigenen Beweiswerterwägungen seiner Verantwortung zum Durchbruch zu verhelfen.
In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher zu verwerfen.
Zutreffend weist die Subsumtionsrüge (Z 12) darauf hin, dass das Geschworenengericht die im Rahmen eines einheitlichen Tatgeschehens gegenüber demselben Opfer geäußerte Drohung mit dem Tod und die der versuchten Tötung ebenfalls unmittelbar vorangehende Verletzungshandlung neben dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB zu Unrecht auch den Tatbeständen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB unterstellte.
Körperverletzungsdelikte sind nämlich gegenüber Tötungsdelikten dann (stillschweigend) subsidiär, wenn – wie hier – ein einheitliches Tatgeschehen vorliegt, das Angriffsobjekt ident ist und Ersteres nur als Vorstufe des Letzteren anzusehen ist, also nicht darüber hinaus greift (Burgstaller, JBl 1978, 393 [402]; Kienapfel/Schroll StudB BT I4 § 75 Rz 32; Moos in WK² StGB § 75 Rz 41; Ratz in WK² StGB Vorbem zu §§ 28 bis 31 Rz 46, 47). Dass das Verbrechen des Mordes bloß versucht wurde, ändert an diesem Ergebnis nichts (RIS-Justiz RS0126577, RS0091556 [T1]).
Aber auch eine Drohung mit dem Tod bei unmittelbar nachfolgender Ausführungshandlung in Form einer – wenngleich nur versuchten – Tötung tritt infolge materieller Subsidiarität zurück, weil das angedrohte Übel sofort verwirklicht wird (RIS-Justiz RS0092386 [insbesondere T7]; Ratz in WK 2 StGB § 28 Rz 45; für Tatbestandsausschluss Kienapfel/Schroll StudB BT I 4 § 107 Rz 20). Dass das Verbrechen des Mordes bloß versucht wurde, steht diesem Ergebnis auch hier nicht entgegen. Denn der Umstand, dass die Begehung einer strafbaren Handlung beim Versuch geblieben ist, ändert nichts an deren Begründung (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO; 12 Os 119/06a, EvBl 2007/130, 700, verstärkter Senat).
Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, war daher in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde in den Schuldsprüchen 1./ und 2./ ersatzlos sowie demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufzuheben.
Der Einwand der Instruktionsrüge (Z 8), die Belehrung zur Hauptfrage 1./ sei unvollständig geblieben, kann daher auf sich beruhen.
Bei der damit erforderlichen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof als mildernd den bisherigen ordentlichen Lebenswandel und dass die Tat mit dem sonstigen Verhalten des Angeklagten in auffallendem Widerspruch steht, den Umstand, dass es beim Versuch geblieben ist, und die erhebliche Schadensgutmachung, als erschwerend demgegenüber keinen Umstand.
In Anbetracht dieser Strafzumessungsgründe war eine dem Unrecht der Tat und der Schuld des Berufungswerbers angemessene Strafe in der Dauer von elf Jahren zu verhängen. Unter Bezugnahme auf das entsprechende Berufungsvorbringen sei darauf hingewiesen, dass sich die begehrte außerordentliche Strafmilderung schon im Hinblick auf die dem Opfer aus nichtigem Anlass zugefügten lebensgefährlichen multiplen inneren Verletzungen verbat.
Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Der gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche gerichteten Berufung zuwider ist angesichts der als erwiesen angenommenen Tathandlungen selbst unter Berücksichtigung allfälliger abwertender Äußerungen des Tatopfers gegenüber dem Angeklagten ein ins Gewicht fallendes Mitverschulden des Baki Y***** nicht auszumachen.
Der weitere Einwand, die Ergebnisse des Beweisverfahrens ließen trotz des feststehenden Umfangs der erlittenen lebensbedrohlichen Verletzungen keine verlässliche Beurteilung zu, ob die geltend gemachten Schadenersatzansprüche insbesondere aus dem Titel des Schmerzengeldes den bereits geleisteten Ersatzbetrag von 10.000 Euro (ON 74 S 4) um den zusätzlich geforderten Betrag von 5.000 Euro übersteigen (der weiters zugesprochene Betrag von 50 Euro für beschädigte Kleidung wird der Höhe nach ohnedies nicht bekämpft), erweist sich nicht nur im Hinblick auf die aus dem gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachten (ON 21, ON 77 S 32 ff) hervorgehende Schwere und Gefährlichkeit der Verletzungen und die Angaben des Tatopfers zu den es treffenden Beeinträchtigungen (ON 51 S 107, ON 77 S 46) als unberechtigt. Vor allem aber besteht bei Baki Y***** laut dem im Gerichtstag vorgelegten Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Tirol, vom 8. Februar 2018 und dem daran angeschlossenen medizinischen Sachverständigengutachten ein Grad der Behinderung von 60 %, der vor allem auf eine aus der Tat resultierenden Angststörung, die nunmehr infolge Bauchspeicheldrüsenteilentfernung bestehende Zucker-krankheit und eine Atmungseinschränkung nach Stichverletzung an der Lunge zurückzuführen ist. Derartige Verletzungsfolgen lassen den weiters zugesprochenen Betrag an Schmerzengeld unter Berücksichtigung von § 273 ZPO (vgl Spenling in WK 2 StPO § 369 Rz 6) aber jedenfalls als angemessen erscheinen. Der Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche war daher keine Folge zu geben.
Die Vorhaftanrechnung war dem Erstgericht zu überlassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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