European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00103.23Y.1019.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Grundrechte
Spruch:
A* J* wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Wien der Beschwerde des A* J* gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 18. Juni 2023, GZ 12 HR 140/23g-21, mit dem über den Genannten die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO verhängt wurde, nicht Folge.
[2] Der jugendliche Beschuldigte war bereits – nach Durchführung einer Untersuchungshaftkonferenz gemäß § 35a JGG (ON 44) am 23. Juni 2023 unter Anwendung gelinderer Mittel enthaftet worden (ON 48). Der dagegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft hatte das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 20. Juli 2023, AZ 21 Bs 180/23h (ON 89.2) keine Folge gegeben.
[3] Vorliegend ging das Beschwerdegericht – unter zulässigem Verweis auf die vorgenannte Entscheidung (vgl RIS-Justiz RS0124017 [T2, T3, T4, T6]) – vom dringenden Tatverdacht aus, A* J* „habe sich zu noch festzustellenden Zeitpunkten seit Anfang Februar 2023 bis laufend in S* und anderen Orten als Mitglied an der seit Mitte Oktober 2006 bestehenden, ursprünglich als 'islamischer Staat im Irak (IS)' zwischenzeitig als 'islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS)', seit Juni 2014 als 'Islamischer Staat (IS)' bezeichneten radikalislamischen Terrormiliz 'Islamischer Staat' bzw der im Jahr 2015 aus dem 'IS' hervorgegangenen und hauptsächlich in der Korasan‑Region in Afghanistan tätigen Terrormiliz 'ISKP' beteiligt, indem er als Mitglied der ISKP-Telegramgruppe 'p*' mit dem in der Ukraine aufhältigen IS‑Unterstützer * M* My* alias '* A*' und dem in Belgien aufhältigen IS-Unterstützer '* G*' (vermutlich * Gl*) kommunizierte, wobei zwischen den Beteiligten Anschlagspläne thematisiert wurden und A* J* dabei in Aussicht stellte, in der Tschechischen Republik ein Sturmgewehr der Marke 'AK-47' und ein großes Messer für einen Terroranschlag zu erwerben und gegenüber * M* My* alias '* A*' einen Anschlag auf die LGBT Pride Parade in W* in Aussicht stellte,
I./ sohin an einer terroristischen Vereinigung, die als ein auf längere Zeit angelegter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen darauf ausgerichtet ist, dass von mehreren Mitgliedern der Vereinigung terroristische Straftaten (§ 278c StGB), und zwar insbesondere Morde, Körperverletzungen und erpresserische Entführungen zum Nachteil von Personen, die nicht dem IS angehören, begangen werden, und die das Ziel verfolgt, weite Gebiete des Nahen und Mittleren Osten umfassenden radikal-islamischen 'Gottesstaates' auf Grundlage einer strikten Auslegung der Scharia zu errichten;
II./ sohin an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, und zwar einer nach militärischem Vorbild gegliederten Gruppierung mit weiterhin zumindest mehreren hunderten Mitgliedern, die in mehreren Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, darunter Syrien, Irak und Afghanistan, aktiv ist, die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln ausgerichtet ist, die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang durch Erzielung von Einnahmen sowie durch Ausstattung mit Waffen und Kampfmitteln anstrebt, und die andere, insbesondere politische Verantwortungsträger und sonstige ideologische Gegner, zu korrumpieren oder einzuschüchtern und sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen sucht.“
[4] Das Beschwerdegericht unterstellte diese Handlungen dem Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach §§ 278b Abs 2 iVm 278 Abs 3 dritter Fall StGB (I./) und dem Verbrechen der kriminellen Organisation nach §§ 278a iVm 278 Abs 3 dritter Fall StGB (II./).
Rechtliche Beurteilung
[5] Dagegen richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des A* J*, mit der er die Annahme dringenden Tatverdachts bekämpft.
[6] Gegenstand der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über eine Grundrechtsbeschwerde ist – anders als bei einer Entscheidung des Oberlandesgerichts über eine Haftbeschwerde – nicht die Haft, sondern die Entscheidung über diese (RIS-Justiz RS0121605 [T3]). Dabei kann die Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts (nur) nach Maßgabe der Kriterien des § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO angefochten werden (RIS-Justiz RS0110146; vgl auch Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 26 ff).
[7] Der Kritik an dem Verweis des Oberlandesgerichts an die Ausführungen in einer früher von diesem Gericht getroffenen Entscheidung (ON 89.2) genügt der Hinweis auf den eingangs zitierten Rechtssatz RIS-Justiz RS0124017 (T2, T3, T4, T6).
[8] Die weitere Beschwerde versucht bloß, die auf vernetzter Betrachtung der Ermittlungsergebnisse der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (im Folgenden: DSN), insbesondere deren Verweis auf von ausländischen Sicherheitsbehörden übermittelte Informationen bezüglich dreier Teilnehmer mit Österreich-Bezug an einer ISKP‑Telegramgruppe namens „p*“ (ON 2), und der Angaben (sowie jener des E* J* und des * Ja*) des Beschwerdeführers (ON 19.1) beruhende Annahme dringenden Tatverdachts (in objektiver und subjektiver Hinsicht) durch das Beschwerdegericht (ON 106.2, BS 4 iVm ON 89.2, BS 9 ff) auf Basis eigenständiger Würdigung der Einlassung des A* J* in Frage zu stellen. Das behauptete Begründungsdefizit nach § 281 Abs 1 Z 5 dritter und vierter Fall StPO wird solcherart nicht aufgezeigt, sondern bloß unzulässig die Beweiswürdigung bekämpft.
[9] Weshalb das Beschwerdegericht die im Abschlussbericht der DSN enthaltenen Erkenntnisse des Nachrichtendienstes und ausländischer Sicherheitsbehörden im Rahmen seiner – in freier Beweiswürdigung zu treffenden – Entscheidung nicht berücksichtigen hätte dürfen, macht das Rechtsmittel nicht deutlich (zu Ermittlungsmaßnahmen ausländischer Strafverfolgungsbehörden vgl im Übrigen RIS-Justiz RS0119110). Abgesehen davon hat das Oberlandesgericht – der weiteren Argumentation (Z 5 zweiter Fall) zuwider – den Umstand, dass die den Mitteilungen an die DSN zugrunde liegenden Informationen (insbesondere Zeugenangaben und konkreter Wortlaut von Chats) noch nicht vorlagen, ohnedies erörtert (BS 4 f iVm ON 89.2 BS 10 f).
[10] Gleiches gilt für die Angaben des Beschwerdeführers, wonach er bloß mit einem „Ukrainer“ kommuniziert habe, aber die Telegramgruppe „p*“ nicht kenne (vgl ON 89.2 BS 11).
[11] Mit sämtlichen Details der Angaben des A* J* musste sich das Beschwerdegericht nicht befassen (vgl § 270 Abs 2 Z 5 StPO). Im Übrigen steht dessen Deposition, wonach er die Kommunikation mit „dem Ukrainer“ in weiterer Folge eingestellt habe, weil er diese als zu radikal empfunden habe, den Annahmen zum dringenden Tatverdacht nicht entgegen.
[12] Die Hinweise, dass beim Beschwerdeführer keine Waffen sichergestellt werden konnten, er beim Zugriff der Sicherheitsbehörden seelenruhig in seinem Bett geschlafen habe, sich die nachrichtdienstlichen Informationen zum geplanten Anschlag auf die Pride Parade als nicht stichhaltig herausgestellt haben und auch die sonstigen Ermittlungsmaßnahmen (Durchsuchung von Orten und Auswertung des Mobiltelefons) keine weiteren belastenden Ergebnisse erbracht hätten, erschöpfen sich bloß neuerlich in einem unbeachtlichen Angriff auf die Beweiswürdigung des Beschwerdegerichts.
[13] Die aus Z 5a erhobene Kritik weckt mit bloßer Wiederholung der auf Z 5 gestützten Beschwerdeargumentation keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Annahme des dringenden Tatverdachts durch das Oberlandesgericht.
[14] A* J* wurde demnach im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Beschwerde ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.
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