Spruch:
Der Beschluß des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 14. November 1997, GZ 40 E Vr 768/97-7, mit dem vom Widerruf der mit Urteil des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 12. April 1994, GZ 5 U 751/93-7, gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert wurde, obwohl die Strafe gemäß § 43 Abs 2 StGB bereits endgültig nachgesehen worden war, verletzt das Gesetz in dem im XX.Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft.
Der Beschluß wird aufgehoben.
Text
Gründe:
Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 12. April 1994, GZ 5 U 751/93-7, wurde Willibald H***** wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt.
Nachdem die Probezeit (am 12.April 1997) abgelaufen war, sprach das Bezirksgericht mit rechtskräftigem Beschluß vom 1.September 1997 gemäß § 43 Abs 2 StGB die endgültige Strafnachsicht aus (ON 9).
Im Verfahren AZ 40 E Vr 768/97 des Landesgerichtes Wiener Neustadt, welches am 24.Juni 1997 mit Beschluß des Untersuchungsrichters auf Durchführung von Vorerhebungen eingeleitet worden ist, wurde Willibald H***** mit Urteil vom 14.November 1997 (ON 7) wegen des am 28. Jänner 1997 (sohin innerhalb der obangeführten Probezeit) begangenen Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 2, 84 Abs 1 StGB zu einer ebenfalls bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich wurde gemäß § 494 a Abs 1 Z 2 StPO vom Widerruf der mit dem erstbezeichneten Urteil gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und gemäß Abs 6 leg cit die - bereits endgültig nachgesehene - Probezeit auf fünf Jahre verlängert.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschluß des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 14.November 1997, GZ 40 E Vr 768/97-7, auf Absehen vom Widerruf und Verlängerung der Probezeit steht, wie der Generalprokurator in seiner deshalb erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Zum Zeitpunkt der Urteilsfällung und der zugleich damit angeordneten Verlängerung der Probezeit durch das Landesgericht Wiener Neustadt war die im Verfahren AZ 5 U 751/93 des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt gewährte bedingte Strafnachsicht bereits (rechtskräftig) endgültig nachgesehen, weshalb eine Verlängerung der Probezeit nicht mehr in Betracht kam. Das Landesgericht Wiener Neustadt hat daher durch seine Beschlußfassung vom 14.November 1997 eine ihm nicht (mehr) zustehende Entscheidungskompetenz in Anspruch genommen. Sein Beschluß konnte somit die vom Bezirksgericht ausgesprochene endgültige Strafnachsicht weder beseitigen noch sonst für den Verurteilten irgendwelche Rechtsfolgen nach sich ziehen; er ist daher (aus Gründen der Rechtssicherheit) durch Aufhebung (im Wege des letzten Satzes des § 292 StPO) zu beseitigen (s EvBl 1989/64; SSt 56/18; 11 Os 197/97, 11 Os 70/98 ua).
Die verfahrensgegenständliche Entscheidung ist aber auch deshalb verfehlt, weil zum Zeitpunkt der Beschlußfassung die dafür gemäß § 56 StGB vorgesehene Frist bereits verstrichen war. Die in den §§ 53 bis 55 StGB genannten Verfügungen, damit auch das Absehen vom Widerruf unter gleichzeitiger Verlängerung der Probezeit (§ 53 Abs 2 StGB) können zwar auch außerhalb der Probezeit, jedoch nur innerhalb von sechs Monaten nach deren Ablauf oder nach Beendigung eines bei deren Ablauf gegen den Rechtsbrecher anhängigen Strafverfahrens getroffen werden. Das zur neuerlichen Verurteilung des Willibald H***** durch das Landesgericht Wiener Neustadt wegen eines innerhalb der Probezeit begangenen Vergehens führende Strafverfahren wurde jedoch erst mit Beschluß des Untersuchungsrichters vom 24.Juni 1997 durch Einleitung von Vorerhebungen, somit nach Ablauf der dreijährigen Probezeit gerichtsanhängig, weshalb der inkriminierte Beschluß nach der demnach nur in Betracht kommenden zweiten Fallkonstellation des § 56 StGB bis zum 12.Oktober 1997 hätte gefällt werden müssen. Auch aus diesem Grund erweist sich der nach diesem Zeitpunkt gefaßte Verlängerungsbeschluß als rechtsirrig.
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