OGH 11Os82/11k

OGH11Os82/11k14.7.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juli 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Einwagner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Stefan K***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 12. April 2011, GZ 613 Hv 1/11p-81, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Stefan K***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 21. August 2010 in Wien Lucia R***** durch Versetzen von 38 Stichen mit einem Fixiermesser, wobei das Opfer in Folge eines Herzstichs an Verbluten in den Herzbeutel und die Brusthöhle verstarb, vorsätzlich getötet.

Die Geschworenen hatten die Hauptfrage nach einem in Richtung Mord zu subsumierenden Tatverhalten bejaht; weitere Fragen waren nicht gestellt worden.

Gerade dagegen - nämlich die Unterlassung der Stellung einer Eventualfrage in Richtung Totschlag - wendet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 345 Abs 1 Z 6 StPO.

Die Interrogationsrüge bezieht sich lediglich auf die - eine abschließende Antwort auf diverse Fragen des Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs zum Vorliegen eines Affektzustands (ON 80 S 36 f) bildende - Spekulation des psychiatrischen Experten, es wäre „natürlich möglich“, dass aus psychiatrischer Sicht ein Mensch, der durchaus schon Kränkungen erfahren hat, auch ohne eine Persönlichkeitsstörung - bei der Zurückweisung durch eine Frau - in „so einen Affektzustand“ kommen könnte (ON 80 S 37).

Rechtliche Beurteilung

Damit orientiert sich die Beschwerde aber nicht an den Kriterien des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes:

Unabdingbare Voraussetzung für die Stellung einer Eventualfrage (§ 314 Abs 1 StPO) ist nämlich das Vorbringen von Tatsachen in der Hauptverhandlung, welche einem gegenüber der Anklage geänderten Sachverhalt und - im Fall dessen Bejahung - einen Schuldspruch wegen einer anklagedifformen gerichtlich strafbaren Handlung in den näheren Bereich der Möglichkeit rücken (Schindler, WK-StPO § 314 Rz 1). Bloß denkbare Möglichkeiten und Mutmaßungen können indes nicht zum Gegenstand einer Eventualfrage gemacht werden (RIS-Justiz RS0102724; RS0100871 [T12]).

Die Bezugnahme auf die abstrakte Hypothese des psychiatrischen Sachverständigen, auf welche in der Stellungnahme gemäß § 24 StPO neuerlich hingewiesen wird, legt keine in der Hauptverhandlung vorgekommenen konkreten Tatsachen dar, welche die Annahme nicht nur einer (im Tatzeitpunkt vorliegenden) heftigen, sondern auch allgemein begreiflichen Gemütsbewegung nach Art eines „Affektsturmes“ indiziert hätten. Der gesetzeskonforme Vergleich der in der Hauptverhandlung vorgebrachten Tatsachen mit der der Eventualfragestellung zu Grunde liegenden rechtlichen Kategorie ist überdies nicht auf der Grundlage einzelner, isoliert betrachteter Beweisergebnisse, sondern unter Berücksichtigung sämtlicher (für die in Rede stehende Subsumtionsfrage entscheidender) Verfahrensergebnisse in ihrer Gesamtheit zu führen (vgl RIS-Justiz RS0120766). Danach steht aber der begehrten Eventualfrage die Einlassung des Angeklagten entgegen, der das Opfer mit dem Messer zwingen wollte, ihm zuzuhören; er sei über die Weigerung der Frau, mit ihm eine nicht auf Prostitution beruhende Beziehung einzugehen, „verletzt und enttäuscht“ gewesen, es wäre ihm „einfach zu viel“ geworden und dann habe er zugestochen (ON 80 S 12).

Der Vollständigkeit halber sei daran erinnert, dass eine heftige Gemütsbewegung nur dann allgemein begreiflich ist, wenn das Verhältnis zwischen dem sie herbeiführenden Anlass und dem eingetretenen psychischen Ausnahmezustand verständlich ist, das heißt, wenn ein Mensch von durchschnittlicher Rechtstreue sich vorstellen kann, auch er wäre unter den gegebenen Umständen in eine solche Gemütsbewegung geraten. Einer bloß übersteigerten Reaktion fehlt das Moment der allgemeinen Begreiflichkeit (RIS-Justiz RS0092271, RS0092087, RS0092259).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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