European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0110OS00006.17T.0117.000
Spruch:
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird bewilligt.
Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. Mai 2016, GZ 42 Hv 43/15x‑55, wird zur Klarstellung beseitigt.
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 9. März 2016, GZ 42 Hv 43/15x‑58, wurde Midhat C***** mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt sowie zur Zahlung von 5.000 Euro an die Privatbeteiligte verpflichtet.
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung am 9. März 2016 keine Rechtsmittelerklärung abgegeben. Der letzte Tag der dreitägigen Frist für die Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung (§§ 284 Abs 1, 294 Abs 1 StPO) war der 14. März 2016.
Mit am selben Tag zur Post gegebenen Antrag vom 15. März 2016 begehrte der Verteidiger des Genannten– unter gleichzeitiger Vornahme der Prozesshandlung – die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung (ON 53).
Nach dem Antragsvorbringen wurde die Rechtsmittelanmeldung am letzten Tag der Frist verfasst und dem Sekretariat zur Postaufgabe am selben Tag übergeben. Das fertig kuvertierte, frankierte und bereits mit einem Einschreibeetikett versehene Schreiben sei unter die Mappe mit den Briefmarken gerutscht und übersehen worden. Einen derartigen Fehler habe es im Sekretariat des Verteidigers noch nie gegeben. Dieser sei am 15. März 2016 von einer Kanzleimitarbeiterin entdeckt worden.
Dem Antrag kommt – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – Berechtigung zu.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 364 Abs 1 StPO ist die innerhalb von vierzehn Tagen nach Aufhören des Hindernisses beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die versäumte schriftliche Verfahrenshandlung mit dem Antrag nachgeholt und nachgewiesen wird, dass es den Beteiligten des Verfahrens aufgrund eines unvorhersehbaren oder unabwendbaren Ereignisses unmöglich war, die Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.
Vorliegend steht das (dem Verteidiger zuzurechnende) Verschulden der Kanzleiangestellten der Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht entgegen, weil es sich um ein erstmaliges Versehen handelte, das angesichts der bisherigen Verlässlichkeit und Bewährung der Kanzleikraft nicht zu erwarten war. Der Verteidiger durfte darauf vertrauen, dass der von ihm fristgerecht angeordnete, bloß manipulative Vorgang der Abfertigung durchgeführt wird (RIS-Justiz RS0122717). Da ihm auch keine Verletzung von Sorgfalts-, Organisations- oder Kontrollpflichten vorzuwerfen ist (RIS-Justiz RS0101310, RS0101329 [T15]) und auch sonst alle Voraussetzungen des § 364 Abs 1 StPO vorliegen, war die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.
Bezieht sich ein Wiedereinsetzungsantrag – wie hier – (auch) auf eine Nichtigkeitsbeschwerde, kommt dem Obersten Gerichtshof die Entscheidung darüber zu, weil § 364 Abs 2 Z 3 StPO auf die Kompetenz zu meritorischer Erledigung des Rechtsmittels in abstracto abstellt (Ratz, WK‑StPO § 285a Rz 2; 13 Os 165/08a).
Die Entscheidung des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. Mai 2016 über den gegenständlichen Antrag (ON 55) ist daher unbeachtlich (Lewisch, WK-StPO § 364 Rz 56); deren Beseitigung dient der Klarstellung.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)