European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0110OS00050.16M.0510.000
Spruch:
In der Strafsache AZ 31 Hv 43/15s des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt das Urteil vom 22. Jänner 2016 (ON 77) § 220b Abs 1 StGB.
Dieses Urteil, das sonst unberührt bleibt, wird im Ausspruch der Verhängung eines Tätigkeitsverbots aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Robert W***** ‑ soweit hier von Bedeutung ‑ jeweils mehrerer Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (A I), des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (A II) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 2 (teils iVm § 15) StGB (B) sowie Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 (zu ergänzen: teils iVm § 15) StGB (C) und der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren gemäß § 208 Abs 1 StGB (D) schuldig erkannt.
Gestützt auf § 220b Abs 1 StGB wurde über den Angeklagten ein „fünfjähriges Tätigkeitsverbot“ verhängt.
Über die gegen das Urteil ‑ ausschließlich zum Nachteil des Angeklagten ‑ erhobene Berufung der Staatsanwaltschaft (ON 79, 81), die (nur) eine Erhöhung der damit verhängten Freiheitsstrafe anstrebt, hat das hiefür zuständige Oberlandesgericht bislang nicht entschieden (zur auf die der Berufung unterzogenen Punkte beschränkten Kognitionsbefugnis des Oberlandesgerichts Ratz, WK-StPO § 295 Rz 14). Die übrigen Aussprüche ‑ einschließlich jenes nach § 220b Abs 1 StGB ‑ erwuchsen unbekämpft in Rechtskraft.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde überwiegend zutreffend aufzeigt, steht das Urteil im Ausspruch der Verhängung eines Tätigkeitsverbots mit dem Gesetz nicht im Einklang:
§ 220b StGB wurde mit BGBl I 2009/40 (Inkrafttreten am 1. Juni 2009) neu geschaffen und steht seither ‑ im hier bedeutsamen Umfang ‑ unverändert in Geltung. Das in seinem Abs 1 normierte Tätigkeitsverbot stellt eine personenbezogene vorbeugende Maßnahme dar (Philipp in WK 2 StGB § 220b Rz 2), die zunächst voraussetzt, dass der Angeklagte eine nach dem zehnten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB strafbare Handlung zum Nachteil einer minderjährigen Person begangen und (soweit hier relevant) im Tatzeitpunkt eine Tätigkeit in einem Verein oder einer sonstigen Einrichtung ausgeübt hat, welche die Erziehung, Ausbildung oder Beaufsichtigung Minderjähriger einschließt (Anlasstat). Besteht darüber hinaus die Gefahr (im Sinne eines hohen Maßes an Wahrscheinlichkeit ‑ 14 Os 107/12k; 15 Os 103/13f), dass er sonst unter Ausnützung einer ihm durch eine solche Tätigkeit gebotenen Gelegenheit eine weitere strafbare Handlung der genannten Art mit nicht bloß leichten Folgen ( Ratz in WK 2 StGB § 22 Rz 15; Kirchbacher/Rami , WK‑StPO § 173 Rz 46) begehen werde (Prognosetat), ist für die Dauer von mindestens einem und höchstens fünf Jahren ein Tätigkeitsverbot auszusprechen. Der Umfang des Verbots, das über die Untersagung des Ausübens „dieser“ (nämlich der [hier:] zur Tatzeit ausgeübten, der gesetzlichen Beschreibung entsprechenden Tätigkeit) und „vergleichbarer“ Tätigkeiten nicht hinaus gehen darf (§ 220b Abs 1 StGB), ist dabei deutlich und bestimmt zu bezeichnen ( Philipp in WK 2 StGB § 220b Rz 6).
Die Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen zwar die (rechtliche) Annahme, dass der Angeklagte im zeitlichen Geltungsbereich des § 220b StGB (vgl § 1 Abs 2 zweiter Satz StGB) strafbare Handlungen der im Abs 1 leg cit umschriebenen Art (vgl Schuldsprüche B, C II und D) begangen hat und zur jeweiligen Tatzeit ‑ als „Betreuer“ und „Erzieher bei den Pfadfindern“ (US 5, 9) ‑ eine Tätigkeit im Sinn dieser Bestimmung ausübte.
Dem Urteil sind aber weder Annahmen zur Prognosetat noch zum Grad der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung zu entnehmen (§ 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO: RIS‑Justiz RS0118581 [T15], RS0113980 [T16]; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 261/1, 674, 721).
Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
Auf dem kassierten Urteilsausspruch beruhende Anordnungen und Verfügungen gelten gleichfalls als beseitigt, ohne dass es ihrer förmlichen Aufhebung bedürfte (RIS‑Justiz RS0100444; Ratz , WK-StPO § 292 Rz 28).
Nur aus den Urteilsgründen (§ 270 Abs 1 Z 5 StPO) geht im Übrigen (deutlich genug) hervor, dass sich das im aufgehobenen Ausspruch selbst nicht näher konkretisierte „fünfjährige Tätigkeitsverbot“ (nur) auf die zur Tatzeit ausgeübte Tätigkeit des Angeklagten als „Erzieher“ (von Minderjährigen) erstreckte (US 9). Daher wurde zwar nicht (auch noch) die Strafbefugnis (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) überschritten. Im Fall eines neuerlichen Ausspruchs nach § 220b Abs 1 StGB im zweiten Rechtsgang wird aber ‑ zur Vermeidung von Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 3 StPO ( Lendl , WK‑StPO § 260 Rz 34; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 269 f) ‑ das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 3 StPO) so klar und bestimmt zu fassen sein, dass über den Vollzug kein Zweifel entstehen kann.
Bleibt überdies anzumerken, dassbei der nach dem zweiten Satz des § 61 StGB vorzunehmenden Prüfung, ob die Gesetze, die im Tatzeitpunkt gegolten haben, für den Täter in ihrer Gesamtauswirkung nicht günstiger waren als die jeweils aktuellen, eine Kombination aus den in Rede stehenden Rechtsschichten unzulässig ist. Daher ist im Fall der Idealkonkurrenz der zu beurteilende Lebenssachverhalt nach Maßgabe des § 61 zweiter Satz StGB in seiner Gesamtheit entweder dem Urteilszeit‑ oder dem Tatzeitrecht zu unterstellen (RIS‑Justiz RS0119085 [insbesondere T5, T6]). Die von den Schuldsprüchen A und C erfassten Taten, soweit sie vor dem 1. Oktober 1998 (Inkrafttreten der Neufassung des § 206 Abs 1 StGB mit BGBl I 1998/153) begangen wurden, wären demnach - angesichts ihrer zutreffenden Subsumtion nach der gegenüber dem Urteilszeitrecht günstigeren Bestimmung des § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (Schuldspruch A I) ‑ jeweils § 212 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (und nicht der geltenden Fassung dieser Bestimmung) zu subsumieren gewesen. Mangels eines konkreten Nachteils für den Angeklagten bot dies jedoch keinen Anlass für ein Vorgehen nach §§ 290 Abs 1 zweiter Satz, 292 StPO.
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