Spruch:
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Beschwerdegericht vom 22. September 2010, AZ 10 Bs 295/10v (ON 37 der Akten AZ 31 Hv 227/09d des Landesgerichts Salzburg), verletzt § 210 Abs 2 iVm § 488 Abs 1 und § 114 Abs 2 StPO.
Der Beschluss wird aufgehoben und dem Oberlandesgericht Linz die neuerliche Entscheidung über die Beschwerde des Adel H***** (ON 34) aufgetragen.
Text
Gründe:
Im angefochtenen Beschluss (vgl RIS‑Justiz RS0122466, zuletzt 12 Os 10/11d) ging das Oberlandesgericht von folgendem Sachverhalt aus:
Am 16. November 2009 stellte die Kriminalpolizei in Linz den von Adel H***** besessenen, zuvor in T***** der F***** GmbH & Co KG („A*****“) gestohlenen Pkw Toyota Avensis gemäß § 110 Abs 3 Z 1 lit b StPO sicher. Eine gerichtliche Beschlagnahme unterblieb.
In der Hauptverhandlung vom 28. Jänner 2010 schloss sich das A***** mit 520 Euro dem Verfahren als Privatbeteiligter an. Der Angeklagte erklärte sich nur für den Fall des Ersatzes des von ihm seinerzeit entrichteten Kaufpreises von 5.200 Euro mit einer Ausfolgung des Pkws an die, dieses uneingeschränkt begehrende Privatbeteiligte einverstanden (ON 8 S 5).
Mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 28. Jänner 2010, GZ 31 Hv 227/09d-11, wurde Adel H***** anklagekonform des Vergehens der Hehlerei nach § 164 Abs 1 und Abs 2 Z 3 (richtig: Abs 1, Abs 2 und Abs 3) StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe sowie gemäß § 369 Abs 1 StPO zur Zahlung eines Schadenersatzbetrags von insgesamt 520 Euro und zur Herausgabe des Pkws Toyota Avensis an das A***** in T***** verurteilt. Dem Schuldspruch zufolge hat er am 30. Oktober 2009 in H***** den Täter einer mit Strafe bedrohten Handlung gegen fremdes Vermögen nach der Tat dabei unterstützt, eine Sache, die dieser durch sie erlangt hatte, zu verwerten, indem er den von unbekannten Tätern durch Einbruch gestohlenen Personenkraftwagen der Marke Toyota Avensis, schwarz, Baujahr 2004, im Wert von ca 10.000 Euro um den Betrag von 5.200 Euro von Marinko P***** kaufte, ohne sich von der Identität des Verkäufers zu überzeugen und Fahrzeugpapiere zu verlangen. Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte sogleich Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe an (ON 8 S 8).
Am 29. Jänner 2010 beantragte der Privatbeteiligtenvertreter fernmündlich die Ausfolgung des Pkws Toyota Avensis (ON 1 S 1e), worauf am 2. Februar 2010 der ‑ erst später schriftlich ausgefertigte, ursprünglich als bloße Note konzipierte ‑ Beschluss des Landesgerichts Salzburg auf Ausfolgung des Fahrzeugs an die Privatbeteiligte erging (ON 1 S 1f; ON 32).
Mit Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. Juni 2010, AZ 10 Bs 185/10t, wurde der Angeklagte in Stattgebung seiner Berufung wegen Schuld von dem wider ihn erhobenen Tatvorwurf gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen (zum verfehlten Freispruch von der rechtlichen Kategorie vgl Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 1) und die Privatbeteiligte F***** GmbH & Co KG gemäß § 366 Abs 1 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen (ON 24).
Mit Schriftsatz vom 23. Juni 2010 beantragte Adel H***** die Ausfolgung des Pkws an ihn (ON 28), was die Ausfertigung der bereits am 2. Februar 2010 ergangenen Ausfolgeanordnung zur Folge hatte (ON 32).
Mit Beschluss vom 22. September 2010, AZ 10 Bs 295/10v, hob das Oberlandesgericht Linz in Stattgebung der Beschwerde des Adel H***** (ON 34) den Ausfolgebeschluss des Landesgerichts Salzburg vom 2. Februar 2010 (ON 32) ersatzlos auf (ON 37).
Dabei ging es rechtlich davon aus, dass das Erstgericht für eine Entscheidung über die Ausfolgung des Pkws ‑ mangels dessen gerichtlicher Beschlagnahme ‑ nicht zuständig gewesen sei. Vielmehr „verbleibt bzw verblieb die alleinige Verantwortung für ein Vorgehen im Sinn des § 114 Abs 2 StPO der anordnenden Behörde bzw Staatsanwaltschaft“.
Rechtliche Beurteilung
Dieser Beschluss des Oberlandesgerichts Linz steht ‑ wie die Generalprokuratur gemäß § 23 Abs 1 StPO zutreffend aufzeigt ‑ mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Die Staatsanwaltschaft leitet das Ermittlungsverfahren (§§ 20 Abs 1, 101 Abs 1 StPO) und ist demgemäß (ab dem im § 113 Abs 2 StPO genannten Zeitpunkt) in diesem Abschnitt des Strafprozesses ua für die Verwahrung sichergestellter Gegenstände (§ 109 Z 1 lit a StPO) verantwortlich (§ 114 Abs 2 StPO; ErläutRV StPRefG 159 [zu § 114]).
Gemäß dem auch im einzelrichterlichen Verfahren geltenden (§ 488 Abs 1 StPO) § 210 Abs 2 erster Satz StPO beginnt durch das Einbringen der Anklage das Hauptverfahren, dessen Leitung dem Gericht obliegt. Die Staatsanwaltschaft hingegen verliert ihre bisherige Rolle als verfahrensführende Behörde und wird zur Verfahrensbeteiligten (vgl Fabrizy, StPO10 § 210 Rz 7).
Für die Anordnung der Ausfolgung sichergestellter Gegenstände ist daher im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft (§ 114 Abs 1 StPO), im Hauptverfahren jedoch das Gericht zuständig (vgl Fabrizy, StPO10 § 114 Rz 1; Bauer, ÖJZ 2008, 757; JABl 2008/3 Punkt 17 zweiter Absatz und JABl 2010/8 Punkt D). Wenngleich ein derartiger Kompetenzübergang bei (bloß) sichergestellten Gegenständen im Gesetz (vgl weiters § 69 Abs 3 StPO) nicht ausdrücklich geregelt ist und der Blick auf § 115 Abs 6 StPO (Zuständigkeit zur Aufhebung der Beschlagnahme) dies als planwidrige Lücke erweist, ist das Regelungsdefizit mittels eben der zuletzt genannten Norm (iVm § 210 Abs 2 StPO), die bei beschlagnahmten Gegenständen den genannten Zuständigkeitswechsel nach Einbringen der Anklage ausdrücklich anordnet, per analogiam zu schließen, wofür überdies die idente Differenzierung in § 367 Abs 2 StPO spricht. Auch auf § 115 Abs 2 StPO lässt sich die gerichtliche Entscheidungskompetenz stützen, kommt doch der an das Gericht gerichtete Ausfolgeantrag einem Antrag auf Unterlassung der Beschlagnahme gleich (vgl RV BBG 2009 113 BlgNR 24. GP 38: der gerichtliche Rechtsschutz soll auf jene Fälle reduziert werden, in denen die von einer Sicherstellung betroffene Person ausdrücklich eine gerichtliche Entscheidung über die Aufhebung oder Fortsetzung einer Sicherstellung begehrt).
Die Argumentation der Rechtsmittelrichter, die Befugnis für die Ausfolgung des sichergestellten Pkws sei deshalb bei der Staatsanwaltschaft verblieben, weil diese keine Beschlagnahme beantragt habe, überzeugt nicht, weil die Zuständigkeit ausschließlich durch das Einbringen der Anklage (§ 210 Abs 2 erster Satz StPO) verändert wird und das Unterbleiben einer staatsanwaltschaftlichen Antragstellung auf Beschlagnahme dafür ohne Relevanz ist.
Die vom Oberlandesgericht in der Beschwerdeentscheidung vertretene Rechtsansicht, dem Erstgericht sei keine Kompetenz zur Ausfolgung des in Rede stehenden sichergestellten Gegenstands zugekommen, entspricht somit nicht dem Gesetz. Das Unterlassen einer meritorischen Entscheidung verletzt das Rechtsschutzinteresse des (seinerzeit) Angeklagten im Sinn des letzten Satzes des § 292 StPO. Es war daher der Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Beschwerdegericht vom 22. September 2010, AZ 10 Bs 295/10v (ON 37 der Hv‑Akten), aufzuheben und dem Oberlandesgericht Linz die neuerliche Entscheidung über die Beschwerde des Adel H***** (ON 34) aufzutragen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)