European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0110OS00045.18D.0719.000
Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, es werden der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht Innsbruck verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Daniel K***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB angeordnet.
Danach hat er am 20. April 2017 in H***** den Stefan T***** zu töten versucht, indem er diesem mit einem sogenannten „Tomahawk“, einer axtähnlichen Waffe, dessen stählerner Axtkopf auf der einen Seite als Spitze und auf der anderen Seite als scharfe Klinge ausgebildet ist, einen von oben herab geführten wuchtigen Schlag gegen dessen Kopf-/Oberkörperbereich zu versetzen versuchte, wobei die Tat nur deshalb beim Versuch blieb, weil T***** seine linke Hand schützend vor seinen Kopfbereich hielt, wodurch er eine Haut- und Weichteildurchtrennung, eine Gelenkseröffnung des Handgelenks, einen Mehrfragmentbruch eines Handwurzelknochens samt Durchtrennungen von Gefäßen und Nerven, sohin eine an sich schwere Körperverletzung verbunden mit einer länger als vierundzwanzig Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit erlitt.
Die Geschworenen hatten die anklagekonform gestellte Hauptfrage in Richtung Mordversuch bejaht, weshalb die Beantwortung von Eventualfragen in Richtung absichtlicher schwerer Körperverletzung, schwerer Körperverletzung und fahrlässiger Körperverletzung entfiel.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen das Urteil gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten stützt sich auf § 345 Abs 1 Z 5, 6 und 13 StPO.
Zu Recht kritisiert die Verfahrensrüge (Z 5) die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Ausforschung und Vernehmung des Zeugen Robin J*****, welcher ua zum Beweis dafür begehrt wurde, dass Stefan T***** (unmittelbar vor der Tat) die Wohnungstür gewaltsam geöffnet und eine Vorwärtsbewegung auf den Angeklagten hin gemacht habe (ON 57 S 89 iVm ON 70). Denn in der Hauptverhandlung hatte sich der Angeklagte dahin verantwortet, T***** habe im Zuge seines [des Angeklagten] Streits mit Tatjana W***** in der Wohnung des Robin J***** die Tür „aufgeknallt“, sei „aggressiv“ gewesen und „mit den Händen“ auf ihn zugegangen. Er [der Angeklagte] habe gedacht, dass T***** ihn zusammenschlagen wolle. Letzterer habe nämlich bereits am Tag zuvor via Facebook an W***** geschrieben, dass er den Angeklagten am liebsten schlagen würde. Er [der Angeklagte] habe Angst gehabt, dass T*****, der schon ein paar Schlägereien hinter sich habe, auf ihn „losgeht“, und dem Genannten daher mit der Axt „Angst einjagen“ wollen (ON 57 S 12 ff, 33, 34 f). Vor diesem Hintergrund betraf das Beweisbegehren – erkennbar – eine für die Beurteilung der tatsächlichen Voraussetzungen allfälliger Notwehr (§ 3 Abs 1 StGB; RIS‑Justiz RS0088776), Putativnotwehr (§ 8 StGB) und einer damit allenfalls einhergehenden Notwehrüberschreitung (§ 3 Abs 2 StGB; vgl RIS‑Justiz RS0089309, RS0088842) erhebliche Tatsache (vgl § 55 Abs 2 Z 1 StPO; RIS‑Justiz RS0116877; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 29 f). Da das Beweisthema angesichts der Aussagen der in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen (vgl ON 57 S 47, 51, 68 f, 75 ff) auch keineswegs als erwiesen gelten konnte (vgl § 55 Abs 2 Z 3 StPO) und die Vernehmung eines unmittelbaren Tatzeugen grundsätzlich ein geeignetes Beweismittel (vgl § 55 Abs 2 Z 2 StPO) für den angestrebten Beweis darstellt, hätte der Antrag – soweit hier relevant – nur im Fall der Unmöglichkeit der Beweisaufnahme (vgl § 55 Abs 2 erster Satz StPO) abgewiesen werden dürfen. Eine solche stand im Zeitpunkt der Antragstellung jedoch nicht ausreichend fest: Zwar konnte der Genannte, ein deutscher Staatsbürger, an seiner damaligen Meldeadresse in Österreich nicht geladen werden und soll er an dieser auch nicht mehr aufhältig sein; ob er aber Österreich (dauerhaft) mit gänzlich unbekanntem Aufenthalt verlassen hat, ist durch eine (ausschließlich) in Deutschland bestehende Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung, die einige Zeit vor der Hauptverhandlung einen einzigen „Aufgriff“ an einem Ort unweit der österreichischen Grenze ergeben hatte (ON 55; ON 57 S 60 f, 88), ohne weitere Ausforschungsversuche (vgl § 168 Abs 1 StPO) nicht ausreichend geklärt (vgl auch RIS‑Justiz RS0108361, RS0101349). Konkrete Anhaltspunkte für eine (in absehbarer Zeit) mögliche Erreichbarkeit des Zeugen boten im Übrigen auch eine bei dessen Vernehmung vor der Polizei im April 2017 bekannte (österreichische) Mobiltelefonnummer und ein namentlich genannter Stiefvater, der in der Nähe gewohnt haben dürfte (ON 9 S 83 ff).
Mit Blick auf die bereits dargelegte Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung kann auch der Forderung der Fragenrüge (Z 6) nach einer – auch in der Hauptverhandlung beantragten (ON 57 S 94) – Zusatzfrage in Richtung Putativnotwehr Berechtigung nicht abgesprochen werden (RIS‑Justiz RS0100678, RS0100477).
Schon aufgrund der aufgezeigten Vorgänge waren der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil bei nichtöffentlicher Beratung aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht Innsbruck zu verweisen (§§ 285e, 344, 349 Abs 1 StPO).
Ein Eingehen auf das weitere Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde erübrigt sich daher.
Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)