OGH 11Os4/24h

OGH11Os4/24h13.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Februar 2024 durch dieVizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. De Rijk als Schriftführerin in der Strafsache gegen * G* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 48 Hv 19/22i des Landesgerichts Wiener Neustadt, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts als Schöffengericht vom 13. April 2023, GZ 48 Hv 19/22i‑40, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Oberstaatsanwalt Dr. Sprajc, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00004.24H.0213.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Im Verfahren AZ 48 Hv 19/22i des Landesgerichts Wiener Neustadt verletzt das Urteil vom 13. April 2023 (ON 40)

1. im Schuldspruch I/B/ § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG;

2. im Ausspruch der bedingten Nachsicht der „Rechtsfolge der Verurteilung des Führerscheinverlustes“ § 44 Abs 2 StGB.

Der zuletzt genannte Ausspruch wird beseitigt.

Gründe:

 

[1] Nachdem (ua) der zuvor mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt (als Schöffengericht) vom 30. Juni 2022, GZ 48 Hv 19/22i-26, ergangene (rechtskräftige) Schuldspruch zu I/ wegen eines Verbrechens „des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster und fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG“ aufgrund einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 15. November 2022 aufgehoben worden war (vgl 11 Os 108/22z, 109/22x), wurde * G* mit dem im zweiten Rechtsgang ergangenen Urteil vom 13. April 2023, (richtig:) GZ 48 Hv 19/22i-40, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall und Abs 2 Z 3 SMG (I/A/) sowie „neunfach“ [des] Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (I/B/) schuldig erkannt.

[2] Unter Einbeziehung des bereits im ersten Rechtsgang in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruchs wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG (II/A/), des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall und Abs 2 SMG (II/B/) sowie des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Satz SMG (III/) wurde er zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten verurteilt, wovon nach § 43a Abs 3 StGB ein Teil von 15 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

[3] Unter einem wurde „gemäß § 44 Abs 2 StGB […] die Rechtsfolge der Verurteilung des Führerscheinverlustes bedingt nachgesehen“.

[4] Zu I/B/ stellte das Schöffengericht fest, dass der Angeklagte in den Jahren 2020 bis 2022 in K* * M* in mehreren Angriffen (Tranchen zwischen 250 und 500 Gramm) insgesamt zumindest 2.500 Gramm Cannabiskraut, enthaltend 24,25 Gramm Delta-9-THC (das 1,21-Fache der Grenzmenge) und 316 Gramm THCA (das 7,9‑Fache der Grenzmenge) – sohin Suchtgift in einer das Neunfache der Grenzmenge übersteigenden Menge – überlassen und es hiebei für möglich gehalten und sich damit abgefunden hat, dass sich die betreffenden Suchtgiftmengen „durch das kontinuierliche Überlassen von für sich genommen nicht die Grenzmenge übersteigenden Suchtgiftmengen, aber auch die Grenzmenge überschreitenden Suchtgiftmengen an jemand anderen und den damit einhergehenden Additionseffekt, den er ebenso billigend vorhersah, […] im Verlauf der Zeit auf eine in Summe die Grenzmenge […] um ein Vielfaches überschreitende Suchtgiftmenge summierten und summieren werden“ (US 4 f).

[5] Bei der Strafbemessung wertete das erkennende Gericht (soweit hier relevant) „das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen“ als erschwerend (US 9); eine (explizite) Berücksichtigung der Anzahl der nach Ansicht des Erstgerichts zu I/B/ verwirklichten Verbrechen erfolgte dabei jedoch nicht.

[6] Mit Urteil vom 9. Oktober 2023, AZ 32 Bs 187/23v, gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht der vom Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe erhobenen Berufung (ON 41) dahingehend Folge, dass es die verhängte Freiheitsstrafe (zur Gänze) nach § 43 Abs 1 StGB unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah.

[7] In den Entscheidungsgründen führte das Berufungsgericht ua aus, dass der Angeklagte zu I/B/ „der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG“ schuldig erkannt wurde (US 2) und die Tatrichter bei der Strafbemessung (ua) „das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen“ als erschwerend gewertet hatten (US 4); weiters bezeichnete es die vom Erstgericht herangezogenen „besonderen“ Strafzumessungsgründe als „korrekt erfasst“ (US 5). Das Berufungsgericht ging aber weder auf die vom Erstgericht zu I/B/ angenommene (konkrete) Anzahl der Verbrechen näher ein noch wertete es diese eigenständig.

Rechtliche Beurteilung

[8] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, verletzt das erwähnte Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt das Gesetz in mehrfacher Hinsicht:

[9] 1. Seit der Entscheidung des verstärkten Senats des Obersten Gerichtshofs vom 15. November 2017, 12 Os 21/17f, kann das Verbrechen nach § 28a Abs 1 (hier: fünfter Fall) SMG bei – wie vorliegend – einheitlicher Motivationslage und einem auf Kumulierung der einzelnen Suchtgiftmengen und den damit verbundenen Additionseffekt gerichteten Vorsatz in der Regel (zu – hier nicht vorliegenden – Ausnahmen s RIS‑Justiz RS0133289) nicht mehrfach begründet werden (RIS‑Justiz RS0133289, RS0131856).

[10] Die zu I/B/ getroffenen Feststellungen des Schöffengerichts tragen den Schuldspruch wegen der „neunfachen“ Verwirklichung des Verbrechens nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG somit nicht.

[11] Die Feststellung dieser Gesetzesverletzung erfordert jedoch keine Verknüpfung mit konkreter Wirkung gemäß § 292 letzter Satz StPO, weil das Heranziehen des Zusammentreffens mehrerer Verbrechen und Vergehen – also im Ergebnis des Erschwerungsgrundes des Zusammentreffens von strafbaren Handlungen nach § 33 Abs 1 Z 1 StGB (vgl 12 Os 119/23a [Rz 11]) – bei der Strafzumessung im Hinblick auf den Schuldspruch I/A/ (auch bei richtiger Wertung des Schuldspruchs I/B/ als lediglich ein Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG) jedenfalls zutreffend erfolgte und eine erschwerende Wertung der neunfachen Verwirklichung des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG diesem Urteil (wie auch dem Berufungsurteil) gerade nicht entnommen werden kann, sodass sich dieser Rechtsfehler nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. Im Übrigen hätte bei richtiger Subsumtion das Neunfache Überschreiten der Grenzmenge als aggravierend berücksichtigt werden dürfen (11 Os 13/18y; vgl auch RIS‑Justiz RS0100061).

[12] 2. Ein nach § 44 Abs 2 StGB unabhängig von der Hauptstrafe zulässiger Ausspruch einer bedingten Nachsicht sonstiger Konsequenzen eines Schuldspruchs kann sich nur auf Nebenstrafen und Rechtsfolgen beziehen.

[13] Als „Rechtsfolgen“ im Sinn dieser Bestimmung sind dabei nicht sämtliche Nebenfolgen, sondern nur jene Folgen einer strafgerichtlichen Verurteilung zu verstehen, die insoweit unabhängig vom Willen des Gerichts unmittelbar kraft Gesetzes eintreten, als hiebei nur die Entscheidung über deren bedingte Nachsicht dem richterlichen Ermessen unterliegt (RIS-Justiz RS0091618; Jerabek/Ropper in WK² StGB § 44 Rz 5; Ratz in WK² StGB § 27 Rz 1).

[14] Demgegenüber beruht die (hier ersichtlich gemeinte) Entziehung der Lenkberechtigung nach § 24 Abs 1 Z 1 FSG nicht auf einer gesetzlichen Anordnung, sondern auf einer den Erfordernissen der Verkehrssicherheit entsprechenden förmlichen Entscheidung, bei der – soweit hier relevant – die „bestimmte Tatsache“ der Begehung einer strafbaren Handlung gemäß § 28a oder § 31a Abs 2 bis 4 SMG von der das Verfahren führenden Behörde unter Berücksichtigung der Verwerflichkeit der Tat, der Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurde, der seither verstrichenen Zeit und des Verhaltens während dieser Zeit im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu werten ist (§ 7 Abs 1, Abs 3 Z 11, Abs 4 und Abs 8 FSG). Dieser solcherart bloß mögliche Entzug der Lenkberechtigung stellt damit lediglich eine sonstige Nebenfolge der strafgerichtlichen Verurteilung dar, hinsichtlich der eine bedingte Nachsicht nach § 44 Abs 2 StGB ausscheidet (vgl Jesionek/Birklbauer, Nebenfolgen einer gerichtlichen Verurteilung, RZ 2005, 50 [5.1.] und Birklbauer/Hofer, Nebenfolgen einer strafgerichtlichen Verurteilung – Rechtslage zum 1. 1. 2021, JSt 2021, 115 [120 f]; aMGäbler/Häussler, Die bedingte Nachsicht gemäß § 44 Abs 2 StGB, AnwBl 2023, 185).

[15] Da das erkennende Gericht insoweit eine der Bezirksverwaltungsbehörde bzw der Landespolizeidirektion als Organ der Verwaltung zustehende Entscheidungskompetenz in Anspruch genommen hat (vgl § 35 Abs 1 FSG), entfaltet der Ausspruch der bedingten Nachsicht des (ersichtlich zudem gar nicht ausgesprochenen) Entzugs der Lenkberechtigung keine Rechtswirksamkeit und ist solcherart als nicht getroffen anzusehen. Dieser Ausspruch wurde im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit (deklarativ) zur Klarstellung beseitigt (RIS-Justiz RS0116267, RS0116270; Ratz, WK-StPO § 292 Rz 45).

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