OGH 11Os168/11g

OGH11Os168/11g16.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Februar 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari, in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Krasa als Schriftführer, in der Strafsache gegen Muhammet S***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83 Abs 1, 85 Z 3 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des genannten Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 19. September 2011, GZ 20 Hv 60/11a-97, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Fürnkranz, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Brandtner zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird mit der Maßgabe nicht Folge gegeben, dass die verhängte Freiheitsstrafe (auch) eine Zusatzstrafe darstellt zu jener des Urteils des Amtsgerichts Sonthofen vom 25. Februar 2011, rechtskräftig seit 19. März 2011, AZ CS 213 JS 14145/10.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen jeweils unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Schuld- und Freispruch des Angeklagten Mehmet S***** enthält, wurde Muhammet S***** des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83 Abs 1, 85 Z 3 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 1. Jänner 2011 in R***** Oliver M***** dadurch, dass er ihn in den Halsklammer-Würgegriff („Schwitzkasten“) nahm und würgte, ihm mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzte und, nachdem Oliver M***** zu Boden gestürzt war, auf ihn fiel, eine schwere Körperverletzung, nämlich Herzrhythmusstörungen im Sinne des Herzkammerflimmerns, eine Hirnschwellung und eine damit verbundene gravierende Hirnschädigung zugefügt, wobei die Tat eine schwere Dauerfolge (schweres Leiden) in Form eines Wachkomas (apallisches Syndrom) und dauerhafte Hirnschäden nach sich zog.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte Muhammet S***** mit einer auf Z 5, 5a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) betrifft die Frage, ob Oliver M***** noch während der Anwendung des Würgegriffs durch den Angeklagten (US 4, 13) oder erst nach Beendigung dieses Angriffs im Stadium kurz darauf eingetretener Bewusstlosigkeit (US 10, vgl ON 35 S 13 f) erbrach, angesichts der weiteren Urteilskonstatierungen keine für den Schuldspruch oder die Subsumtion entscheidende und demnach auch keine begründungsbedürftige Tatsache (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399 und 453). Denn nach den Feststellungen nahm der Angeklagte das Opfer in den Halsklammer-Würgegriff („Schwitzkasten“), würgte es, während er ihm auch Faustschläge ins Gesicht versetzte, wodurch beide zu Boden fielen und der kräftig gebaute Angeklagte auf M***** zu liegen kam, woraufhin er sein Opfer weiterhin für einige Zeit im Halsklammer-Würgegriff festhielt (US 4, „starkes Würgen“ - US 13). Durch diese Gewalteinwirkung erlitt Oliver M***** eine Kompression der Halsweichteile, welche zu einem Kammerflimmern des Herzens mit folgendem Sauerstoffmangel im Gehirn führte, der eine gravierende und bleibende Hirnschädigung in Form einer hochgradigen Schädigung des zentralen Nervensystems mit monatelangem Wachkoma nach sich zog (US 5). Dem Angeklagten, der Oliver M***** - wenn auch nicht durch Zufügung einer schweren Dauerfolge - verletzen wollte (US 5 und 11), wäre erkennbar gewesen, dass Oliver M***** durch Anwendung dieses Würgegriffs das Atmen stark erschwert würde, dadurch Leiden wie etwa Herzkammerflimmern entstehen können und der damit verbundene Sauerstoffmangel eine Hirnschädigung hervorrufen könnte. Trotz dieser Erkenntnis wandte er den Würgegriff weiterhin an und verursachte dadurch bleibende Hirnschäden und das Wachkoma. Sowohl einem mit Durchschnittswissen ausgestatteten Menschen wie auch dem Angeklagten war klar, dass solche Würgegriffe derart schwere und ernste Schäden verursachen können (US 5 und 14).

Der Vorwurf unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellung, zu den Verletzungsfolgen bei Oliver M***** (US 5), vernachlässigt die mehrfachen und expliziten Hinweise der Tatrichter (US 9 f und US 12) auf das diese Version stützende Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen (ON 59 S 5 f). Im Zusammenhang mit der Erörterung der Aussagen der Tatzeugen gab diese Expertise aufgrund medizinischer Nachvollziehbarkeit den Ausschlag für die Annahme eines - nur von der Zeugin Lisa M***** (ON 45 S 15 f; ON 96 S 29 ff) berichteten - Würgegriffs (US 9 f). Unter Einbeziehung der (übrigen) aus medizinischer Sicht denkbaren Kausalverläufe (US 10 f; vgl ON 35 S 15 ff, insbes S 17) war - wie aus der Gesamtheit der Entscheidungsgründe hinreichend deutlich hervorgeht (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 394; RIS-Justiz RS0119370) - die Version des Würgegriffs in weiterer Folge auch maßgeblich für die Feststellung einer Kompression der Halsweichteile als Ursache für die eingetretene Schädigung des Gehirns (US 10 und 12).

Undeutlichkeit iSd § 281 Abs 1 Z 5 erster Fall StPO ist nur dann gegeben, wenn aus objektiver Sicht nicht für sämtliche unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeitsgründe relevanten Urteilsadressaten unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache festgestellt wurde oder aus welchen konkreten Gründen eine derartige Feststellung erfolgte (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 419). Aus dem Urteil geht - gestützt auf die Ausführungen des gerichtsmedizinischen Experten - unzweifelhaft hervor, dass durch den angenommenen Würgegriff und die damit einhergehenden Einwirkungen auf den Hals - zwar selten im Sinne einer statistischen Wahrscheinlichkeit von einem in 500 oder 1000 Fällen - reflektorische kardiale Probleme bis hin zum Exitus auftreten können, jedoch der Eintritt solcher Folgen eines Würgens am Hals nicht gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt (US 12 f). Ob die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der aktuellen Komplikation bereits bei 1:500 oder erst bei 1:1000 anzusetzen ist, ist der Rüge zuwider für die Frage der Erfolgszurechnung nicht entscheidend, weil die konkreten Folgen der mit Würgen einhergehenden Attacke des Angeklagten auf M***** jedenfalls im Rahmen des eingegangenen Gefahrenrisikos und keinesfalls völlig außerhalb der gewöhnlichen Erfahrung lagen (vgl RIS-Justiz RS0088955; 10 Os 11/87; Burgstaller in WK2 § 6 Rz 63; Burgstaller/Fabrizy in WK2 § 85 Rz 28; Kienapfel/Schroll, StudB BT I2 § 85 RN 14 ff und § 80 RN 48 ff; vgl auch Fuchs, AT I7 Rz 13/24 ff und Kienapfel/Höpfel AT13 Z 25 RN 28 ff).

Die in der Tatsachenrüge (Z 5a) vorgetragene Kritik an der Feststellung, M***** habe bereits während des Angriffs des Angeklagten erbrochen (US 4), betrifft - wie bereits in Erledigung der Mängelrüge dargelegt - keine entscheidende Tatsache. Die vom Erstgericht getroffene, für die Beurteilung der Schuld- und Subsumtionsfrage wesentliche Feststellung, wonach für den Angeklagten wie für jedermann erkennbar war, dass bei starkem Würgen die Sauerstoffzufuhr abgeschnitten wird und aus solchem Vorgehen Sauerstoffmangel, Bewusstlosigkeit und in weiterer Folge auch Hirnschäden resultieren können (US 5, 11 und 13 f), legt auch angesichts der im Rechtsmittel aufgezeigten - im Kern ohnehin im Urteil berücksichtigten (US 10) - Ausführungen des gerichtsmedizinischen Sachverständigen zum hier nicht entscheidungswesentlichen Zusammenhang zwischen Bewusstlosigkeit und der Aspiration von Erbrochenem (vgl ON 35 S 13 f) keinen grob unvernünftigen oder gar unerträglichen Gebrauch des den Tatrichtern nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO gesetzlich zustehenden Beweiswürdigungsermessens nahe (RIS-Justiz RS0116733).

Soweit die gegen die Annahme der Qualifikation nach § 85 Z 3 StGB gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) zunächst behauptet, aus dem Umstand, dass beim Opfer kaum äußerliche Verletzungen (wie Würgemale oder Stauungsblutungen) festgestellt werden konnten (US 5), sei abzuleiten, dass der Halsklammer-Würgegriff des Angeklagten „nicht von besonderer Intensität“ und die eingetretenen Folgen für ihn nicht vorhersehbar waren, bringt sie den herangezogenen materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrund nicht prozessordnungskonform zur Darstellung (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581 und 593 sowie § 285d Rz 18), bekämpft sie doch nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld die vom Erstgericht getroffenen, eine Tatfrage (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 572; vgl 14 Os 102/91) betreffenden entscheidenden Urteilsannahmen zur Ursächlichkeit des Würgegriffs für die aufgetretenen Komplikationen und deren Vorhersehbarkeit für den Angeklagten (US 5, 10 und 12 f).

Entgegen dem weiteren Vorbringen ging das Erstgericht auch nicht von einer Schädigung des Gehirns durch Sauerstoffmangel in der Lunge (anstatt des Gehirns) aus, sondern von einer Kompression der Halsweichteile, die zu einem Kammerflimmern des Herzens mit folgendem Sauerstoffmangel im Gehirn und in weiterer Folge zu gravierenden und bleibenden Hirnschädigungen führte (US 5, 10 und 12 f).

Dass der für die Hirnschädigung kausale Sauerstoffmangel des am Hals gewürgten Opfers nicht durch Ersticken, sondern infolge eines durch Druck auf einen Hirnnerv (Würgen) ausgelösten reflektorischen kardialen Problems eintrat, ist für die Erfolgszurechnung unerheblich, weil es im Rahmen des vom Täter eingegangenen Gefahrenrisikos und keinesfalls außerhalb jeder Lebenserfahrung lag, dass das Würgen eines Menschen am Hals, - wegen welcher physiologischer Abläufe auch immer - zu gravierendem Sauerstoffmangel und in dessen Folge sogar zum Tod führen kann (vgl RIS-Justiz RS0089534 = 10 Os 11/87). Die objektive und subjektive Sorgfaltswidrigkeit als Fahrlässigkeitskriterien sind bei den erfolgsqualifizierten Vorsatzdelikten in der Regel schon durch die Erfüllung des Grundtatbestands - der sich als Verstoß gegen die zur Vermeidung der besonderen Folge objektiv gebotene Sorgfalt darstellt - indiziert. Ausnahmen gibt es bloß bei atypischer Ungefährlichkeit der Begehungsweise des Grunddelikts in Bezug auf die qualifizierte Tatfolge (RIS-Justiz RS0089151). Davon kann fallbezogen angesichts der festgestellten Tatmodalitäten jedoch keine Rede sein. Dass das Opfer nach der Gewalteinwirkung auf den Hals bis zu den dadurch bewirkten kardialen Problemen für kurze Zeit ansprechbar und bei Bewusstsein war, wurde mit einer durch den Angriff bewirkten reflektorisch erhöhten und unrhythmischen Herztätigkeit (Tachyarrhythmie) erklärt (US 4 f und 13) und widerspricht keinesfalls der Annahme eines nicht gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung gelegenen Kausalverlaufs.

Die vermissten Feststellungen zu den vorhersehbaren konkreten Auswirkungen der Tathandlungen des Angeklagten finden sich - wie bereits dargelegt - auf US 5.

Im Zusammenhang mit der Behauptung fehlender „eindeutiger Feststellungen zur Häufigkeit der aufgetretenen Komplikationen“ unterlässt der Rechtsmittelwerber bereits die konkrete Benennung der vermissten Feststellungen und er legt nicht dar, welche rechtliche Relevanz diese - angesichts der aus der Gesamtheit der Entscheidungsgründe deutlich erkennbaren Urteilsannahmen, wonach die statistische Wahrscheinlichkeit für derartige Komplikationen bei Einwirkung von Gewalt gegen den Hals bei 1:500 bis 1:1000 liegt (US 13), die Anwendung eines Würgegriffs zu Sauerstoffmangel und daraus resultierenden Hirnschäden führen kann und dies für den Angeklagten wie für jedermann vorhersehbar war (US 5, 11 ff) - hätten.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war somit - wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte - zu verwerfen. Soweit in der Äußerung zum Croquis zusätzliche Urkunden vorgelegt wurden, verstieß der Beschwerdeführer gegen das Neuerungsverbot im Verfahren über Nichtigkeitsbeschwerden.

Das Schöffengericht verhängte über den am 24. Jänner 1990 geborenen Muhammet S***** in Anwendung des § 36 (letzter Fall) StGB nach § 85 StGB unter Bedachtnahme auf das seit 16. Mai 2011 rechtskräftige Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 8. Februar 2011, GZ 51 Hv 1/11w-8 (ein Monat Freiheitsstrafe wegen Vergehen der Nötigung und der gefährlichen Drohung nach §§ 105 Abs 1, 107 Abs 1 StGB begangen am 14. Dezember 2010) gemäß §§ 31, 40 StGB eine vierjährige Zusatz-Freiheitsstrafe. Bei der Strafbemessung werteten die Tatrichter explizit mildernd ein teilweises Geständnis, die verminderte Zurechnungsfähigkeit durch Genuss von Alkohol und das Alter unter 21 Jahren, als erschwerend drei einschlägige Vorstrafen.

Die auf Herabsetzung der Sanktionsdauer abzielende Berufung führt das Alter des Angeklagten unter 21 Jahren sowie seine Betroffenheit über den „tragischen Vorfall“ ins Treffen.

Ersteres wurde im angefochtenen Urteil ohnedies sogar doppelt berücksichtigt (vgl RIS-Justiz RS0091277 und Ebner in WK² § 36 Rz 5 und § 34 Rz 2 sowie Schroll in WK² JGG § 5 Rz 14), zweiteres strafrechtlich als mildernd werten zu wollen, würde die Täter-Opfer-Relation ins Gegenteil verkehren.

Die von den Erstrichtern geschöpfte Unrechtsfolge entspricht vielmehr dem Schuldgehalt einer Tat, die sich als trauriger Höhepunkt eines zwar noch jungen, aber seit Jahren von konstanter und bislang unbeeindruckbarer (etwa Vernehmung als Beschuldigter im Bedachtnahmeverfahren vier Tage vor der nunmehrigen Tat sowie Raufhandel während der Haft am 6. Mai 2011, was zu einer achtmonatigen Freiheitsstrafe wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB führte [Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 19. Oktober 2011, GZ 21 Hv 74/11z-11]) Aggressivität geprägten Lebens darstellt.

Der Berufung war somit ein Erfolg zu versagen.

Von Amts wegen war zu berücksichtigen (Ratz in WK² § 31a Rz 11, § 31 Rz 15 f), dass zusätzlich auf das aus dem Spruch ersichtliche Urteil des Amtsgerichts Sonthofen (180 Tagessätze Geldstrafe, im Nichteinbringungsfall 180 Tage Ersatzfreiheitsstrafe wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung nach §§ 223, 230, 185, 194 d StGB - Tatzeit 10. August 2010) gemäß § 31 StGB Bedacht zu nehmen war.

Der laut Mitteilung des Privatbeteiligtenvertreters (ON 98) mittlerweile eingetretene Tod des Opfers muss mangels einer Berufung zum Nachteil des Angeklagten sowie wegen § 356 StPO auf sich beruhen.

Die bloß auf das Anfechtungsziel der Nichtigkeitsbeschwerde verweisende Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche (Zuspruch von 50.000 Euro Schmerzengeld an das Opfer, von 1.000 Euro an dessen Gattin aus dem selben Titel und von 50.000 Euro an die Vorarlberger Gebietskrankenkasse für die Spitalsbehandlung) erweist sich aus den bereits vom Erstgericht angeführten Argumenten (US 14) als nicht berechtigt.

Die Kostenentscheidung ist § 390 Abs 1 StPO begründet.

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