OGH 11Os153/18m

OGH11Os153/18m26.2.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Februar 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der FOI Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Najeeb I***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 3. September 2018, GZ 16 Hv 87/18b‑36, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0110OS00153.18M.0226.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Najeeb I***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (I) sowie des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er am 31. März 2018 in H***** dem Nelson Ig*****

I) „mit Gewalt gegen eine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89 StGB) eine fremde bewegliche Sache, nämlich Bargeld iHv ca 120 Euro mit dem Vorsatz weggenommen und abgenötigt, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er zunächst zufolge seiner Geldprobleme die Herausgabe von Bargeld zu erbetteln versuchte, was das Opfer jedoch verweigerte, sodann dem Opfer seine Geldtasche aus der Hand riss und, als es [jenes] diese zurückhaben wollte, ein Messer aus seiner Kleidung hervorzog, dem Opfer durch Versetzen von multiplen, nämlich zumindest 20 Messerstichen in das Gesicht bzw gegen den Kopf, zwei weiteren an die Außenseite des linken Schultergelenks und eine[s]r weiteren an die Hinterseite des linken Oberarms, dessen Geldtasche samt ca 20 Euro an Bargeld abrang, dem Opfer zwei weitere Messerstiche in den Rücken versetzte, als es sein Mobiltelefon zwecks Alarmierung der Kriminalpolizei suchte, danach das Opfer unter Vorhalt eines Messers zwang zur nächsten Bank zu fahren, um beim Bankomaten weitere 100 Euro zu beheben, wo er selbst das Messer weiterhin in Händen haltend in einiger Entfernung stand, weil der tatsächliche Beutewert nicht dem erhofften entsprach und dem Opfer schließlich das gesamte Bargeld abnahm, wobei er den Raub unter Verwendung einer Waffe, nämlich eines Küchenmessers mit einer Klingenlänge von 10 cm, welche beim Versetzen der Stichverletzungen abbrach, beging“;

II) durch die unter Punkt I) beschriebenen multiplen Stichverletzungen eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zuzufügen versucht.

 

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 4, 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

 

Der Rüge (nominell Z 4, der Sache nach Z 11 erster Fall iVm Z 4 – vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 666 f, 368/3, 369; RIS‑Justiz RS0118581) zuwider wurden durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags „auf Bestellung eines Sachverständigen aus dem Bereich der Radiologie und Zahnmedizin zum Beweis des Alters des Angeklagten, nämlich dass er noch junger Erwachsener bzw Jugendlicher sei“ (ON 35 S 11), Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt.

Gemäß § 127 Abs 3 erster Satz StPO ist ein weiterer Sachverständiger (außer dem hier nicht in Rede stehenden Fall erheblichen Abweichens der Angaben zweier Sachverständiger) zur Verhandlung nur dann beizuziehen, wenn der Befund unbestimmt oder das Gutachten widersprüchlich oder sonst mangelhaft ist und sich die Bedenken nicht durch Befragung des bestellten Sachverständigen beseitigen lassen. Ein Gutachten ist „sonst mangelhaft“, wenn es unschlüssig, unklar oder unbegründet ist, den Kriterien der Logik widerspricht oder nicht mit den gesicherten Erkenntnissen der Wissenschaft übereinstimmt (RIS‑Justiz RS0127942).

Erachtet das Gericht – wie vorliegend – die Voraussetzungen des § 127 Abs 3 erster Satz StPO als nicht gegeben, so muss in einem auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen gerichteten Antrag (§ 55 Abs 1 StPO) fundiert dargelegt werden, warum Befund oder Gutachten aus Sicht des Antragstellers dennoch im beschriebenen Sinn mangelhaft sein sollen.

Einen solchen Mangel behauptet der Antrag nicht. Vielmehr erschöpft er sich in der Behauptung, das (auf 16 Röntgenaufnahmen der Schulter‑, Ellbogen‑ und Hüftgelenke, der Hände und der Füße, des Beckens, der Brustwirbelsäule und des Schädels des Angeklagten basierende, anatomisch‑anthropologische) Gutachten des (gerichtlich bestellten – ON 29 S 5) Sachverständigen (vgl ON 37 in ON 6) entspräche den aktuellen medizinischen Erkenntnissen nicht, weil „zur Altersfeststellung [...] ein multifaktorielles Gutachten“ erforderlich, insbesondere „eine fachradiologische Begutachtung des Schlüsselbeins“ unterblieben wäre. Damit wird kein – nach Durchführung eines Verbesserungsverfahrens bestehen gebliebener – Mangel an Befund und Gutachten im Sinn des § 127 Abs 3 StPO aufgezeigt, sondern bloß eine Überprüfung der Beurteilung der Expertise in der nicht indizierten Erwartung eines für den Antragsteller günstigen Ergebnisses begehrt, womit der Antrag auf unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielte (RIS‑Justiz RS0117263 [T17]).

Die in der Beschwerde nachgetragenen Gründe als Versuch einer Fundierung des Antrags sind angesichts der auf Nachprüfung der erstgerichtlichen Vorgangsweise angelegten Konzeption dieses Nichtigkeitsgrundes unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618).

Im Übrigen wird die Berufung auf vom Vorsitzenden „dargetane“ (ON 35 S 6) Urkunden (eine für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [lediglich] an Hand einer Röntgenaufnahme der linken Hand vorgenommene Alterseinschätzung des Angeklagten [Beilage ./I zur ON 35] und eine am 16. Juli 2009 erstellte Stellungnahme des Bundesministeriums [damals] für Gesundheit zu Novellen des Asylgesetzes 2005 und des Fremdenpolizeigesetzes 2005 zur Ungenauigkeit der Altersfeststellung bei einer radiologischen Untersuchung [Beilage ./II zur ON 35]) den Anforderungen deutlicher und bestimmter Bezeichnung von Nichtigkeit bewirkenden Umständen nicht gerecht.

Entgegen der gegen den Schuldspruch I gerichteten Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) hat der Schöffensenat die Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht ausschließlich unter Berufung auf das objektive Tatgeschehen begründet, was im Übrigen rechtsstaatlich vertretbar wäre (RIS‑Justiz RS0116882, RS0098671). Vielmehr haben die Tatrichter die – eine Körperverletzung einräumende – Verantwortung des Angeklagten miteinbezogen (US 21) und zusätzlich zufolge der „von vorne herein erfolgte Mitnahme der Tatwaffe“ (US 22) darauf geschlossen, dass es I***** „während des gesamten Tatgeschehens“ darauf ankam, mit „Gewalt gegen die Person des Nelson Ig***** und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben desselben, nämlich dem […] dauernden Vorhalten des Messers nach Ausübung der Gewalt mit diesem, und unter Verwendung einer Waffe, nämlich des von vornherein mitgebrachten […] Küchenmessers, eine fremde bewegliche Sache, nämlich Bargeld in Höhe von ca 120 Euro, auf das er keinen wie auch immer gearteten Rechtsanspruch hatte, wegzunehmen und abzunötigen, um sich durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern“ (US 8 f).

Dem Einwand von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben sich die Tatrichter mit den unterschiedlichen Angaben des Angeklagten und auch mit dessen Behauptung, er habe zu seiner Verteidigung stets ein Messer bei sich, auseinandergesetzt (US 14).

Soweit die Rüge den Urteilsannahmen mit den Behauptungen widersprüchlicher Angaben des vorbestraften Opfers und einer Übergabe von Bargeld durch den Angeklagten an eine dritte Person „noch in der Tatnacht“ eigene Auffassungen und Erwägungen gegenüberstellt, greift sie bloß unzulässig das Beweiswürdigungsermessen des Schöffengerichts an ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 451).

Gegenstand von Rechts‑ und Subsumtionsrüge ist der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts, einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen, mit dem festgestellten Sachverhalt. Den tatsächlichen Bezugspunkt bildet dabei die Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen, zu deren Verdeutlichung das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) herangezogen werden kann. Von diesem Gesamtzusammenhang ausgehend ist zur Geltendmachung eines aus Z 9 oder Z 10 gerügten Fehlers klarzustellen, aus welchen ausdrücklich zu bezeichnenden Tatsachen (einschließlich der Nichtfeststellung von Tatsachen) welche rechtliche Konsequenz (§§ 259, 260 Abs 1 Z 2 StPO) hätte abgeleitet werden sollen (RIS‑Justiz RS0099810; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 581, 584).

Mit dem Vorbringen, die Tat wäre zufolge der Wegnahme der Geldtasche ohne Gewalt „im Bereich des Diebstahls“ geblieben, die überraschende Gewaltanwendung hätte zur Sicherung der Beute gedient, womit räuberischer Diebstahl vollendet wäre, wohingegen die anschließende, aufgrund der Forderung nach „mehr Geld“ erfolgte Bargeldbehebung als Erpressung zu beurteilen wäre, wird die Rüge diesen Anforderungen nicht gerecht.

Sie missinterpretiert bloß die insgesamt ein einheitliches Tatgeschehen beschreibenden Urteilskonstatierungen (US 5 ff), und zwar insbesondere jene, wonach der Angeklagte – bei von vornherein auf die Anwendung räuberischer Mittel zum Zweck der Sachwegnahme gerichtetem Vorsatz – die der Wegnahme von Bargeld unmittelbar nachfolgende Gewalt (US 5 – vgl im Übrigen zum Gewahrsamsbruch RIS‑Justiz RS0093767) ebenso einkalkuliert hatte wie die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben gegen Nelson Ig***** (US 7) unter Verwendung des eigens mitgeführten Küchenmessers (vgl zum funktionalen Waffenbegriff Eder-Rieder in WK 2 StGB § 143 Rz 18; Leukauf/Steininger/Flora , StGB 4 § 143 Rz 10 ff; RIS‑Justiz RS0093928, RS0093880) gegen den erwarteten Widerstand des Opfers schon beim Wegnahmevorgang (US 4, 8 f – vgl Eder-Rieder in WK 2 StGB § 142 Rz 65; Leukauf/Steininger/Flora , StGB 4 § 142 Rz 22; RIS‑Justiz RS0093704).

Solcherart geht die Behauptung, die Klinge des Messers sei „beim Einstechen auf den Schädelknochen des Nelson Ig*****“ „bei der Verwirklichung des Tatbildes des räuberischen Diebstahls“ abgebrochen, weshalb beim späteren Einstechen in den Rücken des Opfers „der Waffenbegriff im Sinne des § 143 Abs 1 zweiter Fall StGB nicht mehr erfüllt ist“, vom Ansatz her ins Leere.

Soweit der Rechtsmittelantrag auf gänzliche Urteilsaufhebung abzielt, das Urteil jedoch nur im aufgezeigten Sinn angefochten wurde, blieb die Nichtigkeitsbeschwerde im darüber hinausgehenden Umfang (Schuldspruch II) mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung von angeblich Nichtigkeit bewirkenden Umständen unausgeführt (§§ 285d Abs 1, 285a Z 2 StPO).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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