European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0110OS00147.24P.0107.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Suchtgiftdelikte
Spruch:
* D* wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Gründe:
[1] Im Verfahren AZ 72 Hv 95/24b des Landesgerichts für Strafsachen Wien gab das Oberlandesgericht Wien mit dem angefochtenen Beschluss vom 28. November 2024, AZ 17 Bs 362/24w (ON 404.3), der Beschwerde des * D* gegen den in der schöffengerichtlichen Hauptverhandlung am 19. November 2024 gefassten Haftfortsetzungsbeschluss (ON 391.1 S 43 f, ON 394) nicht Folge und setzte die über den Genannten mit Beschluss vom 8. März 2024 (ON 21) verhängte Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO fort.
[2] Dabei ging das Beschwerdegericht vom dringenden Verdacht aus (ON 404.3 S 3 bis 7), * D* habe in W* und anderen Orten
A/ als Mitglied einer aus mindestens zehn Personen bestehenden, organisierten und auf längere Zeit, nämlich auf mehrere Jahre angelegten Verbindung, die auf die Begehung von Straftaten nach § 28a Abs 1 SMG ausgerichtet war, der neben ihm unter anderem 21 namentlich genannte Personen sowie zahlreiche weitere noch nicht ausgeforschte Täter angehörten,
I/ vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) vielfach übersteigenden Menge
1/ erzeugt bzw zu erzeugen versucht, und zwar
a/ in We* und anderen Orten im Zeitraum von April 2018 bis April 2023 in zumindest 15 Anbauzyklen insgesamt zumindest 1.050 kg Cannabiskraut (beinhaltend durchschnittlich 10,17 % THCA und 0,76 % Delta‑9‑THC), indem er in arbeitsteiliger Vorgehensweise in der Betriebsstätte der Mi* M* GmbH eine professionelle Cannabisplantage (mit‑)aufbaute und betrieb, wobei er die abgesondert verfolgten * R* und * I* beauftragte, die Elektroinstallationen für den Betrieb der Cannabisplantage (mit) zu errichten, Reparaturen der Anlage durchzuführen und während des Betriebs der Anlage bei elektronischen Problemen zur Verfügung zu stehen, die Setzlinge für die Plantage lieferte, bei der Ernte der Cannabispflanzen (mit‑)half, frische Erde für die folgenden Anbauzyklen brachte und die Abfälle nach den jeweiligen Ernten abtransportierte, wobei in der Cannabisplantage Cannabispflanzen bis zur Erntereife kultiviert und pro Erntezyklus jeweils durchschnittlich 70 kg Cannabiskraut gewonnen wurden;
b/ in Wei* und anderen Orten im Zeitraum von Jänner 2020 bis Februar 2023 in zumindest 12 Zyklen insgesamt zumindest 120 kg Cannabiskraut (beinhaltend durchschnittlich 10,41 % THCA und 0,79 % Delta‑9‑THC), indem er eine ca 50 m² große Cannabis‑Indoorplantage in einem nur dafür angemieteten ehemaligen Wirtshaus betrieb, das eine Kapazität für ca 500 Cannabispflanzen hatte;
c/ in T* und anderen Orten im Zeitraum von zumindest Anfang Dezember 2023 bis zu seiner Festnahme am 5. März 2024 in einem Zyklus ca 39 kg Cannabiskraut (beinhaltend zumindest 5.210 g THCA und 398 g Delta‑9‑THC), indem er mit den dazu bereits rechtskräftig verurteilten M* Du*, S* Du*, * J* und * L* an einer im Beschluss bezeichneten Adresse eine Cannabisplantage auf zwei Ebenen mit insgesamt 636 Pflanzen (mit‑)betrieb, wobei beim Einschreiten der Polizei am 14. März 2024 224 Pflanzen bereits abgeerntet waren und es hinsichtlich der restlichen Pflanzen, die in Vollblüte standen, beim Versuch blieb;
2/ anderen überlassen, und zwar in W* und anderen Orten im Zeitraum von April 2018 bis April 2023 in mehrfachen Angriffen insgesamt ca 189 kg Cannabiskraut (beinhaltend durchschnittlich 10,17 % THCA und 0,76 % Delta‑9‑THC), indem er das Cannabiskraut aus der Cannabisplantage in der Betriebsstätte der Mi* M* GmbH in We* übernahm und unbekannten Mittätern oder Großabnehmern zum Weiterverkauf überließ;
II/ dazu beigetragen, dass vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) vielfach übersteigenden Menge in arbeitsteiliger Vorgehensweise anderen überlassen wird, indem Cannabiskraut von Mittätern der Verbindung vereinbarungsgemäß von Indoorplantagen abgeholt und an weitere Mittäter oder Großabnehmer weitergegeben wird,
1/ dadurch, dass er in Kenntnis des Tatplans die zu I/1/a/ genannten Handlungen in We* und anderen Orten setzte, dass im Zeitraum von April 2018 bis April 2023 insgesamt ca 861 kg Cannabiskraut (beinhaltend durchschnittlich 10,17 % THCA und 0,76 % Delta‑9‑THC) von Mittätern aus der Cannabisplantage in der Betriebsstätte der Mi* M* GmbH abgeholt und anderen überlassen wird;
2/ dadurch, dass er in Kenntnis des Tatplans die zu I/1/b/ genannten Handlungen in Wei* und anderen Orten setzte, dass im Zeitraum von Jänner 2020 bis Februar 2023 insgesamt zumindest 120 kg Cannabiskraut (beinhaltend durchschnittlich 10,41 % THCA und 0,79 % Delta‑9‑THC Reinheitsgehalt) von Mittätern aus der Cannabisplantage in dem ehemaligen Wirtshaus abgeholt und anderen überlassen wird,
B/ als Mitglied einer kriminellen Vereinigung der neben ihm unter anderem 21 namentlich genannte Personen sowie zahlreiche weitere noch nicht ausgeforschte Täter angehörten
I/ Cannabispflanzen zum Zweck der Gewinnung einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz angebaut, dass es in Verkehr gesetzt werde, und zwar
1/ im Zeitraum ab Jänner 2024 bis zu seiner Festnahme am 5. März 2024, indem er an einer Adresse in W* eine Cannabisplantage mit 852 Cannabispflanzen (mit‑)betrieb, in welcher 23,04 kg Cannabiskraut (beinhaltend zumindest 3.530 g THCA und 270 g Delta‑9‑THC) erzeugt worden wären, zumal bei der Anordnung der Durchsuchung am 6. Mai 2024 die Pflanzen bereits in Vollblüte standen, wobei er das für den Betrieb erforderliche Equipment zur Verfügung stellte sowie an der Errichtung und der Inbetriebnahme der Plantage mitwirkte;
2/ im Zeitraum ab Jänner 2024 bis zu seiner Festnahme am 5. März 2024, indem er an einer Adresse in W* eine Cannabisplantage mit 850 Cannabispflanzen (mit‑)betrieb, in welcher zumindest ca 10 kg Cannabiskraut (beinhaltend zumindest 14,57 % THCA und 1,12 % Delta‑9‑THC) erzeugt worden wären, wobei er zumindest an der Errichtung und dem Betrieb der Plantage mitwirkte;
II/ zum Anbau von Cannabispflanzen zum Zweck der Gewinnung einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz beigetragen, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem er in Kenntnis des Tatplans dem abgesondert verurteilten * N* zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt im Herbst 2023 Cannabissetzlinge für eine Cannabisplantage in W* überließ, der im Zeitraum von Oktober 2023 bis April 2024, eine Cannabisplantage mit 363 Cannabispflanzen betrieb, in welcher 10,62 kg Cannabiskraut (beinhaltend zumindest 1.305 g THCA und 99,3 g Delta‑9‑THC) erzeugt worden wären, zumal beim Einschreiten der Polizei am 17. April 2024 die Pflanzen bereits in Vollblüte standen;
C/ mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, aus einer Anlage, die der Gewinnung, Umformung, Zuführung oder Speicherung von Energie dient, Energie in einem noch festzustellenden, 5.000 Euro jedenfalls übersteigenden Wert entzogen, indem er den für die unter seiner Mitwirkung betriebenen Cannabis-Indoorplantagen erforderlichen Strom durch Benützung einer den am Objekt angebrachten Stromzähler umgehenden Leitung bezog, und zwar
I/ im Zeitraum von Jänner 2020 bis Februar 2023 in Wei* Energie in einem noch festzustellenden, jedenfalls 5.000 Euro übersteigenden Wert betreffend die zu A/I/1/b/ angeführte Indoorplantage;
II/ im Zeitraum von zumindest Anfang Januar 2024 bis zu seiner Festnahme am 5. März 2024 in T* Energie im Umfang von zumindest 10.271,81 Euro betreffend die zu A/I/1/c/ angeführte Indoorplantage;
III/ im Zeitraum ab Jänner 2024 bis zu seiner Festnahme am 5. März 2024 in W* Energie in einem noch festzustellenden Wert betreffend die zu B/I/1/ angeführte Indoorplantage.
[3] In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Oberlandesgericht (ON 404.3 S 7 f) dieses Verhalten als jeweils ein Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 2 und Z 3 SMG (A/I/1/) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 2 und Z 3 SMG, teils iVm § 12 dritter Fall StGB (A/I/2/ und A/II/), als ein Verbrechen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Satz, Abs 2 und Abs 3 SMG, teils iVm § 12 dritter Fall StGB (B/) und als ein Vergehen der Entziehung von Energie nach § 132 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (C/).
Rechtliche Beurteilung
[4] Gegen diesen Beschluss des Beschwerdegerichts richtet sich die rechtzeitig erhobene Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten * D* (ON 406), die sich (erneut; vgl zu früheren Grundrechtsbeschwerden 11 Os 85/24w und 11 Os 129/24s) gegen die Annahmen zum dringenden Tatverdacht wendet, weil das Oberlandesgericht diese (ua) auf (aus Beschwerdesicht) einem innerstaatlichen Beweisverbot unterliegende Verfahrensergebnisse (SKY ECC‑Chats) gestützt habe.
[5] Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers haben die (erkennbar gemeint: für eine Unterrichtung iSd § 55d Abs 7 EU‑JZG zuständigen) französischen Behörden die Staatsanwaltschaft Wien (erkennbar gemeint: als für den Empfang einer solchen Unterrichtung zuständige Behörde) über die Überwachung der über den Krypto-Messenger-Dienst SKY ECC abgewickelten Kommunikation durch „Verwendung eines Bundestrojaners“ informiert. Die Staatsanwaltschaft hätte daher gemäß § 55d Abs 7 iVm § 55a Abs 1 Z 13 EU‑JZG die Überwachung und Verwendung untersagen müssen. Aus diesem Grund dürften die gewonnenen Überwachungsergebnisse (umso mehr) auchimgegenständlichen Verfahren nicht verwendet werden, weil eine derartige Ermittlungsmaßnahme (Einsatz eines Bundestrojaners) in Österreich nicht zulässig sei. Die Staatsanwaltschaft Wien habe deshalb Kenntnis „über die Vorgangsweise der französischen Behörden“ gehabt, weil die „ON 140 inklusive der ON 140, 98–112 von der Staatsanwaltschaft Wien in den hier gegenständlichen Akt eingeflossen sind“ und Staatsanwalt S* (nationaler Experte bei EUROJUST) diese „SIENA“, die „von Europol für die Übermittlung von Daten an nationale Europolbüros verwendet“ wird, an Staatsanwalt Sa* (Staatsanwaltschaft Wien) übermittelt habe.
[6] Vorangestellt sei, dass in Österreich das Überwachen verschlüsselt gesendeter, übermittelter oder empfangener Nachrichten und Informationen, die von einer natürlichen Person über ein Kommunikationsnetz oder einen Dienst der Informationsgesellschaft gesendet, übermittelt oder empfangen werden, nicht per se unzulässig ist (vgl die technologieneutrale Formulierung von § 134 Z 3 StPO idgF; EBRV 17 BlgNR 26. GP 2, 8 ff, 12 f; Reindl‑Krauskopf, WK‑StPO § 134 Rz 20/1).
[7] Vielmehr wurde vom Verfassungsgerichtshof (bloß) jene (letztlich nie in Kraft getretene) Rechtsgrundlage aufgehoben, die das Überwachen verschlüsselt gesendeter, übermittelter oder empfangener Nachrichten und Informationen durch Installation eines Progamms in einem Computersystem (§ 74 Abs 1 Z 8 StGB) ermöglichen sollte, um eine Verschlüsselung beim Senden, Übermitteln oder Empfangen der Nachrichten und Informationen zu überwinden (vgl § 134 Z 3a und § 135a StPO idF BGBl I 2018/27; VfGH G 72–74/2019‑48, G 181–182/2019‑18 vom 11. Dezember 2019).
[8] Diese Bestimmung sollte nach allgemeinem Verständnis ermöglichen, die Verschlüsselung am Ursprung des Kommunikationsflusses zu überwinden, also die Kommunikationsinhalte im noch (oder wieder) unverschlüsselten Zustand abzufangen oder zu protokollieren und diese dadurch den Strafverfolgungsbehörden in lesbarer Form verfügbar zu machen (vgl Reindl‑Krauskopf, WK‑StPO § 134 Rz 20/1, 20/2, 20/3). Es fehlt eine gesetzliche Basis für die (remote oder physikalische) Installation eines Programms (zB einer Spionagesoftware) auf dem zu überwachenden Computersystem (zB Desktop-PC, Notebook, Smartphone, Tablet), welches von einer natürlichen Person gesendete, übermittelte oder empfangene Nachrichten und Informationen entweder vor der Verschlüsselung oder nach der Entschlüsselung an die Strafverfolgungsbehörden (unverschlüsselt) ausleitet (sogenannte „Quellen‑TKÜ“).
[9] Die Ergebnisse einer nicht durch österreichische Strafverfolgungsbehörden veranlassten Überwachung verschlüsselter Kommunikation im Sinn einer „Quellen‑TKÜ“ durch ausländische Behörden unterläge allerdings nicht schon allein deshalb einem Verwendungsverbot, weil die Anordnung einer solchen Maßnahme nach österreichischem Recht nicht zulässig gewesen wäre (vgl 14 Os 14/24a [Rz 8 f, Rz 45 je mwN]).
[10] Eine Unterbindung von – ohne Veranlassung österreichischer Behörden – im Ausland gesetzten, nach österreichischem Recht nicht zulässigen Überwachungsmaßnahmen in Österreich mit der Konsequenz eines Verwendungsverbots dadurch erlangter Überwachungsergebnisse ist allerdings im Anwendungsbereich der Europäischen Ermittlungsanordnung (vgl die der Umsetzung der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen [RL‑EEA] dienenden §§ 55 ff EU‑JZG) vorgesehen (vgl 14 Os 14/24a [Rz 45] mwN, 14 Os 107/24b [Rz 10], 11 Os 129/24s [Rz 11]).
[11] So hat nach § 55d Abs 7 EU‑JZG die (österreichische) Staatsanwaltschaft (vgl § 55c Abs 2 EU‑JZG), bei der eine „Unterrichtung“ (vgl Anhang XIX zum EU‑JZG bzw Art 31 Abs 2 RL‑EEA iVm Anhang C) durch eine „ausstellende Behörde“ (§ 2 Abs 1 Z 4a EU‑JZG) eines „Ausstellungsstaats“ (§ 2 Abs 1 Z 3 lit a EU‑JZG) darüber einlangt, dass eine Überwachung des Telekommunikationsverkehrs in Österreich ohne technische Unterstützung durch österreichische Behörden und/oder Unternehmen bereits durchgeführt wurde, gegenwärtig durchgeführt wird oder in Zukunft durchgeführt werden soll (vgl Art 31 Abs 1 RL‑EEA), der ausstellenden (unterrichtenden) Behörde im Fall des Vorliegens der in § 55a Abs 1 Z 1 bis 5, 8 und 13 EU‑JZG genannten Gründe binnen 96 Stunden mitzuteilen, dass die Überwachung von Nachrichten nicht durchgeführt werden kann oder zu beenden ist, sowie bereits gewonnene Überwachungsergebnisse nicht verwendet werden dürfen (vgl Art 31 Abs 3 RL‑EEA; vgl Herrnfeld in Göth‑Flemmich/Herrnfeld/Kmetic/Martetschläger, Internationales Strafrecht § 55d EU‑JZG Rz 9; 14 Os 107/24b [Rz 6 ff]; 11 Os 129/24s [Rz 7 ff]).
[12] Das Vollstreckungshindernis des § 55a Abs 1 Z 13 EU‑JZG erfasst den Fall, dass eine Überwachung von Nachrichten in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt werden würde.
[13] Eine Europäische Ermittlungsanordnung eines anderen Mitgliedstaats, die auf die Überwachung verschlüsselter Kommunikation durch Installation einer Trojaner-Software im oben beschriebenen Sinn („Quellen‑TKÜ“) auf in Österreich verwendeten Mobiltelefonen ohne Kenntnis deren Nutzer gerichtet ist, dürfte von österreichischen Behörden gemäß § 55a Abs 1 Z 13 EU‑JZG nicht vollstreckt werden. Wäre also eine österreichische Staatsanwaltschaft über eine solche (wenngleich bereits abgeschlossene, ohne Einbindung österreichischer Behörden vorgenommene) Ermittlungsmaßnahme von einer ausstellenden Behörde (§ 2 Abs 1 Z 4a EU‑JZG) unterrichtet worden, so hätte sie die in § 55d Abs 7 EU‑JZG normierte Verpflichtung getroffen und unterlägen die Überwachungsergebnisse einem Verwendungsverbot.
[14] Selbst ein bestimmte Beweisergebnisse betreffendes Beweisverbot hinderte allerdings nicht, andere Beweisergebnisse zu verwerten, die aus weiteren, aus Anlass der vom Beweisverbot betroffenen Ergebnisse durchgeführten Beweiserhebungen gewonnen wurden (RIS‑Justiz RS0130052; Kirchbacher/Sadoghi, WK‑StPO § 246 Rz 58).
[15] Im Grundrechtsbeschwerdeverfahren kann die Verletzung eines Beweisverwertungsverbots unter dem Aspekt des § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO geltend gemacht werden, weil Subsidiarität dieses Nichtigkeitsgrundes gegenüber den im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nicht anwendbaren Z 2 bis 4 des § 281 Abs 1 StPO ausscheidet (vgl 14 Os 107/24b [Rz 5], 11 Os 129/24s [Rz 6] je mwN).
[16] Der angefochtene Beschluss hält zu den für die Begründung des dringenden Tatverdachts herangezogenen (vgl BS 8 ff) SKY ECC‑Chats fest, dass die Chat-Auswertungen „auf Basis einer französischen Genehmigung durch eine gemeinsame Ermittlungsaktion niederländischer, französischer und belgischer Behörden gewonnen“ wurden (BS 10), wobei kein „Trojaner“ auf den Mobiltelefonen installiert wurde (BS 11), und verweist (vgl RIS‑Justiz RS0124017) im Übrigen zur Vorgangsweise der ausländischen Strafverfolgungsbehörden bei der Gewinnung der Kommunikationsdaten und -inhalte auf den erstgerichtlichen Haftfortsetzungsbeschluss vom 19. November 2024, GZ 72 Hv 95/24b-394 (BS 10 ff). Weiters ging es davon aus, dass die österreichischen Behörden, insbesondere die Staatsanwaltschaft, im Zeitpunkt der Gewinnung dieser Daten in keiner Weise eingebunden waren, sondern erst nach deren Abschluss davon „erfuhren“, als die Beweisergebnisse bereits vorlagen (ON 404.3 S 11).
[17] Das Erstgericht ging unter Bezugnahme auf die Entscheidung 14 Os 14/24a und die – mittlerweile übersetzte (ON 383.2) – Darstellung des Ablaufs der Überwachung (ON 140 S 98–112 = ON 380) sowie die weiteren in ON 140 und ON 141 enthaltenen Unterlagen von folgendem Sachverhalt aus (ON 394 S 7 ff):
[18] Der Kommunikationsanbieter SKY ECC stellte seinen Kunden Mobiltelefone mit einer Verschlüsselungssoftware zur Verfügung, mit denen Text-, Sprach- und Bildnachrichten verschickt werden konnten und die eine Ende-zu-Ende‑Verschlüsselung aufwiesen. Jedem Mobiltelefon war eine unveränderbare Identifikationsnummer (PIN) zugeordnet. Im Zuge von gegen das Unternehmen SKY ECC im Jahr 2019 von den französischen Behörden eingeleiteten Ermittlungen wurde im Datenzentrum des Unternehmens O* in Frankreich auf zwei von SKY ECC verwendeten Servern ein „IP‑Tap“ installiert, der den (aus dem Gesamtkontext erkennbar: nach wie vor verschlüsselten) Datenverkehr zwischen den Servern überwachte. Im Zuge einer im Datenzentrum von O* in Frankreich mit französischen Genehmigungen durchgeführten Durchsuchung wurden Kopien der Arbeitsspeicher der von SKY ECC verwendeten Server erstellt, wodurch ein „Verschlüsselungszertifikat“ erlangt wurde. Mit diesem „Verschlüsselungszertifikat“ entwickelten französische, belgische und niederländische Behörden eine Methode zur Entschlüsselung der verschlüsselten Nachrichten: Bei dieser sogenannten Man-in-the-Middle (MITM‑)Methode wurde mit Genehmigung des dafür zuständigen französischen Beirats vom 12. November 2020 (gültig bis 30. November 2026) im Datenzentrum von O* ein Server installiert (MITM‑Server), der den gesamten über die Server von SKY ECC abgewickelten (erkennbar: verschlüsselten) Datenverkehr empfing und eine für das konkrete Empfängertelefon unsichtbare „Push-Nachricht“ an dieses versendete, mit dem Zweck, dieses zur Reaktion und so zur Freigabe der für die Entschlüsselung der empfangenen Nachrichten notwendigen Verschlüsselungselemente zu veranlassen (vgl ON 383.2 S 12 und ON 394 S 8). Dadurch konnte die über SKY ECC abgewickelte Kommunikation – nach Verbindung dieses Systems im O*-Datenzentrum am 18. Dezember 2020 – gespeichert und entschlüsselt werden. Auf den SKY ECC‑Mobiltelefonen der Nutzer wurde keine Software, insbesondere kein (Entschlüsselungs‑)Programm und kein „Bundestrojaner“ installiert; die ermittelnden ausländischen Behörden hatten keinen Zugriff auf die Mobiltelefone. Die Staatsanwaltschaft Wien wurde demnach auch nicht über eine von ausländischen Behörden durchgeführte Überwachung verschlüsselter Nachrichten nach vorheriger Installation eines (Entschlüsselungs‑)Programms auf den Mobiltelefonen der Nutzer ohne deren Kenntnis unterrichtet. Im März 2021 wurden von französischen, belgischen und niederländischen Strafverfolgungsbehörden zudem in Frankreich die von SKY ECC genutzten Server sichergestellt, womit die über diese abgewickelten Kommunikationen „zugänglich“ wurden. Die erlangten, entschlüsselten Kommunikationsdaten wurden anderen europäischen Ermittlungsbehörden, ua dem österreichischen Bundeskriminalamt und schließlich im Rechtshilfeweg (vgl ON 140 S 4 ff, ON 141 S 6 ff, S 51 ff) der Staatsanwaltschaft Wien zur Verfügung gestellt. Im Zuge der Datenauswertung konnte auch der Angeklagte * D* als Inhaber und Nutzer eines SKY ECC‑Mobiltelefons ermittelt werden. Ob die den Angeklagten betreffenden Überwachungsergebnisse (vgl ON 31, ON 338) durch Verwendung des „IP‑Taps“ oder durch Sicherstellung der Server gewonnen wurden, steht nicht fest.
[19] Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Angeklagte die Mobiltelefone mit der Technologie SKY ECC nicht freiwillig benützt hat, dass dem Inhalt der aufgezeichneten Kommunikation ein von behördlicher Seite veranlasster Zwang oder ein sonstiges (etwa listiges) Einwirken staatlicher Behörden auf den Angeklagten zugrunde liegt, dass im Zuge der Ermittlungsmaßnahmen durch in- oder ausländische Behörden auf die Freiheit der Willensentschließung oder -betätigung des Angeklagten eingewirkt worden wäre, oder dass der Angeklagte durch Strafverfolgungsorgane (oder durch von diesen beauftragte Dritte) zur Begehung von Straftaten verleitet worden wäre (ON 394 S 9).
[20] Soweit der Beschwerdeführer auf Basis eigenständigerÜberlegungenaus den im Akt befindlichen Unterlagen (ON 140 S 98 bis 112) und aus Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs zur Aufhebung von § 134 Z 3a und § 135a StPO idF BGBl I 2018/27 ableitet, die verschlüsselte Kommunikation sei unter Einsatz eines in Österreich nicht zulässigen „Bundestrojaners“ überwacht und die Staatsanwaltschaft Wien hierüber (von der zuständigen Behörde iSd § 55d Abs 7 EU‑JZG) „unterrichtet“ worden, stellt er die (hier: prozessualen) Sachverhaltsgrundlagen des Beschwerdegerichts zur Frage der Verwertbarkeit der Chat-Inhalte (ON 404.3 S 11 f iVm ON 394 S 8) nicht nach Maßgabe der Kriterien des § 281 Abs 1 Z 5 oder 5a StPO in Frage.
[21] Dem angefochtenen Beschluss sind auch keine Konstatierungen dahin zu entnehmen, dass die von einem in Frankreich zwischengeschalteten MITM‑Server an in Österreich befindliche Endgeräte (Mobiltelefone) versandten „Push‑Nachrichten“ als solche eine Überwachung von verschlüsselten Nachrichteninhalten beim Senden, Übermitteln oder Empfangen durch deren Ausleitungan die Strafverfolgungsbehördenvor der Verschlüsselung oder nach der Entschlüsselung ermöglicht hätten.
[22] Auf Basis der vom Beschwerdegericht angenommenen Tatsachen zeigt die Grundrechtsbeschwerde somit das Vorliegen eines Beweisverbots nicht auf.
[23] Wegen des im Grundrechtsbeschwerdeverfahren geltenden Grundsatzes der Einmaligkeit des Rechtsmittels sind allfällige spätere Ergänzungen der Beschwerde in den Äußerungen zur Stellungnahme der Generalprokuratur unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0061430 [T6], RS0097055 [T3]; Kier in WK² GRBG § 3 Rz 26).
[24] Mit der Behauptung einer durch die „Verwertung und Verwendung der SKY ECC Chats durch das OLG Wien“ erfolgten Verletzung (auch) des Grundrechts auf ein faires Verfahren (Art 6 Abs 1 MRK) und des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens (Art 8 Abs 1 MRK) wird keine Garantie des Grundrechts auf persönliche Freiheit (Art 5 MRK) oder eine der über Art 5 Abs 2 bis 5 MRK angesprochenen Garantien des Art 6 Abs 1 MRK thematisiert und solcherart der Anfechtungsrahmen einer Grundrechtsbeschwerde verlassen (11 Os 129/24s [Rz 15]; vgl Kirchbacher/Rami, WK‑StPO Vor §§ 170–189 Rz 1 f).
[25] * D* wurde demnach – im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)