OGH 11Os146/86

OGH11Os146/8628.10.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.Oktober 1986 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bittmann als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ibrahim A*** wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 7. April 1986, GZ 20 w Vr 11.838/84-151, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Ersten Generalanwaltes Dr. Knob und des Verteidigers Dr. Rifaat, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten Ibrahim A*** auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch seine Ehefrau Dalia A*** (rechtskräftig) des Vergehens nach dem § 286 Abs. 1 StGB schuldig sprach, wurde der am 31.Juli 1958 geborene Ibrahim A*** aufgrund des einstimmigen Wahrspruchs der Geschwornen im zweiten Rechtsgang (11 Os 137/85) des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB schuldig erkannt, weil er am 30.April 1983 in Wien Herbert K*** vorsätzlich dadurch getötet hatte, daß er ihn mit einem Stoffgürtel würgte, wodurch das Tatopfer in unmittelbarer Folge verstarb. Ibrahim A*** bekämpft dieses Urteil mit einer auf den § 345 Abs. 1 Z 5, 6 und 8 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde und mit einer Berufung gegen das Strafausmaß. Der Beschwerdeführer meint, es seien Grundsätze des Strafverfahrens, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden Verfahrens geboten ist, dadurch hintangesetzt worden (Z 5), daß der Vorsitzende die Zweitangeklagte Dalia A*** ungeachtet der Verwahrung durch die Verteidiger der beiden Angeklagten über einen Fragenkomplex vernommen habe, bei dem zwar gleichfalls der Verdacht eines (auf der Flucht begangenen) Mordes vorliege, der aber nicht Gegenstand der Anklage sei. Insoweit mangelt es jedoch schon an den formellen Voraussetzungen für die Geltendmachung des erwähnten Nichtigkeitsgrundes. Der Angeklagte Ibrahim A*** und sein Verteidiger, der sich lediglich gegen eine Vernehmung der Zweitangeklagten in diesem Punkt aussprach (S 315/IV), unterließen es nämlich, in der Hauptverhandlung entsprechende Anträge zu stellen und hierüber ein Zwischenerkenntnis (§ 238 StPO) des Schwurgerichtshofes herbeizuführen.

Eine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) wird darin erblickt, daß den Geschwornen keine Fragen "in Richtung Notwehr und Notwehrüberschreitung, allenfalls Putativnotwehr" vorgelegt wurden. Die in der Beschwerde zitierten Verfahrensergebnisse beinhalten jedoch der vom Beschwerdeführer vertretenen Ansicht zuwider keineswegs Tatsachen, die - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben würden (§ 313 StPO). Weder die - überdies aus dem Zusammenhang gelösten - Angaben der Zweitangeklagten Dalia A*** im Sicherheitsbüro, wonach "Harry" (gemeint: Herbert K***) den Angeklagten Ibrahim A*** "gleichfalls am Hals erfaßt hatte" (S 442/II), oder in der Hauptverhandlung, wonach ..."sie sich gegenseitig am Hals gehalten" ... "wieder einander gewürgt und wieder weitergemacht" haben (S 309/IV), noch die Angaben des Beschwerdeführers vor dem Untersuchungsrichter, wonach ihm K*** während der Auseinandersetzung eine blutende Wunde am Auge zugefügt habe (S 319 b verso/II), zeigen Umstände auf, welche die Annahme, Ibrahim A*** könnte in Notwehr oder Putativnotwehr gehandelt haben, in den näheren Bereich der Möglichkeit rücken. Die Tatschilderungen in ihrer Gesamtheit lassen im Gegenteil keinen Zweifel daran, daß ausschließlich der Beschwerdeführer der Angreifer war und Herbert K*** sich nur wehrte (vgl. hiezu insbesondere die eigene Darstellung des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung S 333/IV). Von einem Tatsachenvorbringen, das die in der Beschwerde reklamierten Fragen indiziert hätte, kann daher keine Rede sein.

Rechtliche Beurteilung

Es liegt aber auch eine unrichtige Rechtsbelehrung zu den gestellten Fragen nicht vor (Z 8). In der den Geschwornen zur Eventualfrage 1 (nach dem Verbrechen nach § 76 StGB) erteilten schriftlichen Rechtsbelehrung wird zur allgemeinen Begreiflichkeit einer (tatauslösenden) Gemütsbewegung darauf verwiesen, daß dieser Zustand in äußeren Umständen begründet sein muß und nur dann (strafrechtlich) relevant ist, wenn dem Täter kein sittlicher Vorwurf gemacht werden kann. Die vom Beschwerdeführer behauptete Ursache für seine Affektentladung war nun die angebliche Bemerkung des von ihm gedungenen Unzuchtspartners seiner Ehefrau über deren sexuelles Verhalten. Eine derartige, durch das vorangegangene unsittliche Verhalten des Täters selbst ausgelöste Äußerung des Opfers kann aber die daraus resultierende Gemütsbewegung nicht allgemein verständlich erscheinen lassen: Der reklamierte, in der Rechtsbelehrung fehlende Hinweis auf die vom Obersten Gerichtshof zu 12 Os 123/81 abgelehnte, in der Literatur vertretene Rechtsmeinung (Mayerhofer-Rieder 2 , Anm. 3 und Moos im WK Rz 36, jeweils zu § 76 StGB), bei der Prüfung der allgemeinen Begreiflichkeit einer Gemütsbewegung sei auch auf die Mentalität von Personen aus dem Kultur- und Lebenskreis des Täters Bedacht zu nehmen, vermochte die Geschwornen jedenfalls in diesem Straffall nicht irrezuleiten (SSt. 43/3 uva).

Im übrigen aber behauptet der Beschwerdeführer selbst nicht eine - allein mit Nichtigkeit bedrohte - Unrichtigkeit, sondern lediglich eine Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung, die darin gelegen sein soll, daß die Erläuterungen zu den Eventualfragen 3 und 4 "äußerst kompliziert gestaltet" seien und daß die Begriffe der Erfolgsqualifikation und der unbewußten Fahrlässigkeit nicht erklärt würden. Entgegen der dabei vom Beschwerdeführer vertretenen Ansicht ist die bezügliche - in der Beschwerde unvollständig wiedergegebene - Passage der Rechtsbelehrung jedoch für zum Richteramt ausgewählte Laien durchaus verständlich. Im (in der Beschwerde nicht zitierten) vorletzten Absatz der zu den Eventualfragen 3 und 4 erteilten Rechtsbelehrung wird ausdrücklich betont, daß die Qualifikation nur dann zum Tragen kommt, "wenn der Tod eines Menschen durch die Körperverletzung fahrlässig herbeigeführt wurde". Der darauffolgende, den Begriff der unbewußten Fahrlässigkeit erwähnende Absatz der Rechtsbelehrung verweist auf die Ausführungen zur Eventualfrage 2, wo erörtert wird, was unter Fahrlässigkeit zu verstehen ist, wobei (der Sache nach) auch die Voraussetzungen unbewußter Fahrlässigkeit (im Sinn des § 6 Abs. 1 StGB) erklärt werden. Es war daher auch in diesem Zusammenhang für allfällige Mißverständnisse der Geschwornen kein Raum.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ibrahim A*** war zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte Ibrahim A*** nach dem § 75 StGB unter Bedachtnahme gemäß § 28 StGB auf den schon im ersten Rechtsgang in Rechtskraft erwachsenen (weiteren) Schuldspruch nach den §§ 127 Abs. 1 und 2 Z 1, 128 Z 4 StGB zu einer zwanzigjährigen Freiheitsstrafe und wertete die einschlägige Vorstrafe und das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen als erschwerend. Als mildernd wurden dem Angeklagten eine heftige Gemütsbewegung, sowie ein reumütiges Geständnis (zur Tötungshandlung als solcher) und der dadurch geleistete Beitrag zur Wahrheitsfindung zugutegehalten. Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine "wesentliche" Strafherabsetzung an.

Die von der Berufung hervorgekehrte persönliche Lage des Angeklagten wurde vom Geschwornengericht ausreichend berücksichtigt, wenn es anstatt der (alternativ angedrohten) lebenslänglichen nur die höchste zulässige zeitliche Freiheitsstrafe verhängte. Der begehrten Herabsetzung steht nämlich die spezifisch einschlägige, in der Bundesrepublik Deutschland erlittene Vorstrafe wegen Totschlags nach dem § 212 Abs. 1 dStGB (6 1/2 Jahre Jugendstrafe) entgegen. Diese Straftat entsprang auch nicht - wie die Berufung meint - einem spontanen Entschluß des Angeklagten, seiner damaligen Verlobten gegen den gewalttätigen Vater zu Hilfe zu kommen, sondern war vielmehr eine von den Familienmitgliedern vorberatene Maßnahme zur Beseitigung des Mannes, die dann im Rahmen einer emotionsgeladenen Auseinandersetzung dadurch zur Ausführung gelangte, daß Ibrahim A*** das ausersehene Tatopfer durch Abgabe zweier Schüsse aus einem schon vorsorglich beschafften Gewehr niederstreckte (vgl. Urteilsausfertigung, ON 114 im IV. Band des Strafaktes). Der Berufung war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte