OGH 11Os137/85

OGH11Os137/8513.9.1985

Der Oberste Gerichtshof hat am 13.September 1985 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller, Dr. Kießwetter, Dr. Walenta und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Gitschthaler als Schriftführer in der Strafsache gegen Ibrahim A und eine andere wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Ibrahim A und Dalia A gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 12.Juni 1985, GZ 20 x Vr 11838/84-112, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Den Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen hinsichtlich der Hauptfrage 1 (betreffend Ibrahim A) und der Eventualfrage 2 (betreffend Dalia A) und das Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, soweit es sich im Schuldspruch auf diese Teile des Wahrspruchs gründet, und im Strafausspruch einschließlich des Ausspruches über die Vorhaftanrechnungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die beiden Angeklagten auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde das ägyptische, infolge verwandtschaftlicher Beziehungen aber zur Tatzeit in Wien wohnhafte Ehepaar Ibrahim A, geboren 31.Juli 1958, und Dalia A, geboren 18.August 1966, im Zusammenhang mit der Tötung des österreichischen Staatsbürgers Herbert B am 30.April 1983 wie folgt verurteilt: Ibrahim A wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB (1.), Dalia A wegen des Vergehens der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung (nämlich des Mordes) nach dem § 286 Abs. 1 StGB (3.) und beide wegen des (unmittelbar nach der Tötung begangenen) Vergehens des Diebstahls nach den §§ 127 Abs. 1 und 2 Z 1, 128 Abs. 1 Z 4 StGB (2.). Darnach tötete Ibrahim A den Herbert B durch

Drosselung mit einem Stoffgürtel vorsätzlich (1.); Dalia A wurde (abweichend vom Anklagevorwurf) nur angelastet, nichts dagegen unternommen zu haben, daß Ibrahim A vorsätzlich eine mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Handlung, nämlich das Verbrechen des Mordes an Herbert B durch Drosselung mit einem Stoffgürtel begehe, und es auch unterließ, die schon beginnende Ausführung zu verhindern, wobei die strafbare Handlung vollbracht wurde (3.). Unmittelbar nach der Tat nahmen die Angeklagten in Gesellschaft als Beteiligte mit Bereicherungsvorsatz Bargeld und andere im Eigentum des Opfers gestandene Gegenstände im Wert von über 5.000 S an sich (2.).

Die Geschwornen bejahten die im Sinn der Anklage gestellte Hauptfrage (nach Mord durch Ibrahim A) und die Hauptfragen 3 und 4 (nach Gesellschaftsdiebstahl, verübt von beiden Angeklagten) einstimmig und ließen demgemäß die Eventualfrage 1 (nach Totschlag durch Ibrahim A) unbeantwortet. Hingegen verneinten sie hinsichtlich Dalia A einstimmig die Hauptfrage 2 (nach Beihilfe zum Mord) und bejahten ebenso einstimmig die Eventualfrage 2 (nach dem Vergehen nach § 286 Abs. 1 StGB).

Nur gegen die auf die Bejahung der Hauptfrage 1 und der Eventualfrage 2 beruhenden Schuldsprüche 1 und 3 wenden sich die Angeklagten mit getrennt ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden. Beide Rechtsmittelwerber machen die Nichtigkeitsgründe nach dem § 345 Abs. 1 Z 6 und 8 StPO, Dalia A auch jenen nach der Z 7 geltend; überdies bekämpfen sie die Strafaussprüche mit Berufung.

Zur Beschwerde des Ibrahim A:

Der Angeklagte sieht die Vorschriften über die Fragestellung an die Geschwornen (Z 6) insoweit verletzt, als trotz seiner den Tötungsvorsatz leugnenden Verantwortung nur eine Eventualfrage nach dem (ebenfalls Tötungsvorsatz voraussetzenden) Verbrechen des Totschlages nach dem § 76 StGB, nicht aber eine solche nach dem Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach den §§ 83, 86 StGB gestellt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Beschwerdeeinwand ist begründet.

Gemäß dem § 314 Abs. 1 StPO ist an die Geschwornen unter anderem dann eine entsprechende Schuldfrage (Eventualfrage) zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, nach denen - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte. Ein Vorbringen im Sinn dieser Gesetzesstelle liegt dann vor, wenn in der Hauptverhandlung, obschon nur im Rahmen der Verantwortung des Angeklagten, Umstände hervorkamen, welche die Annahme eines von der Anklagebegründung abweichenden, rechtlich relevanten Tatsachensubstrats in den Bereich der Möglichkeit rücken. Diese Beweisergebnisse müssen allerdings so weit konkretisiert sein, daß sie - läge die Zuständigkeit eines Schöffengerichts vor - der Begründungspflicht des § 270 Abs. 2 Z 5 StPO unterlägen (SSt 44/29, 9 Os 19/84 u.v.a.).

Die den Geschwornen vorliegenden Ergebnisse der Hauptverhandlung wurden jedoch entgegen dieser gesetzlichen Vorschrift durch die gestellten Fragen nicht in ihrem gesamten Umfang erfaßt. Ibrahim A verantwortete sich seit seiner überstellung aus den Vereinigten Staaten von Amerika, wohin er mit seiner Ehefrau nach einer abenteuerlichen Flucht gelangt war, im wesentlichen damit, daß er zwar am 30.April 1983 zunächst dem Ansinnen seines Unzuchtspartners Herbert B, den er durch eine Annonce in einem einschlägigen Blatt kennengelernt hatte, allein mit seiner Frau gegen entsprechendes Entgelt geschlechtlich verkehren zu wollen, zugestimmt und deshalb auch die Wohnung (des Partners) verlassen habe. Er sei von Gewissensbissen geplagt zurückgekehrt und habe B nur mit einer Unterhose und einem Bademantel bekleidet, seine Ehefrau aber nackt vorgefunden. Er sei dann wegen einer Bemerkung des Mannes über das sexuelle Verhalten seiner Ehefrau dermaßen in Zorn geraten, daß er ihn vorerst mit den Händen, dann aber auch unter Zuhilfenahme des Gürtels seines Bademantels erdrosselte. Er bestritt aber, worauf auch die Anklage verweist (ON 87), den Tötungsvorsatz (S 327, 428, 429/II und S 319 b verso/II). Auch in der Hauptverhandlung, in der die wiedergegebenen Aussagen verlesen wurden (S 160/IV), behielt er diese Verteidigungslinie bei, indem er angab, das Verhalten des Herbert B bei seiner Rückkehr in die Wohnung habe ihn so in Rage gebracht, daß er durchgedreht habe, er habe in dieser Situation nicht daran gedacht, daß er den Mann töten könnte (S 143, 147/IV).

Mit dieser Verantwortung lagen den Geschwornen Tatsachen vor, vermöge derer - ihre Richtigkeit vorausgesetzt - die dem Angeklagten angelastete Tat unter ein milderes, nicht Tötungsvorsatz verlangendes Strafgesetz fiele, worunter auch das in der Beschwerde angeführte, nur Verletzungs- oder Mißhandlungsvorsatz erfordernde Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach den §§ 83, 86 StGB zu zählen ist.

Der Schwurgerichtshof wäre somit gemäß § 314 StPO jedenfalls verpflichtet gewesen, neben der im Sinn der Anklage gestellten Hauptfrage 1 und der Eventualfrage 1 in Richtung des Verbrechens nach § 76 StGB auch die der durchgehenden Verantwortung des Angeklagten Ibrahim A entsprechende Eventualfrage in Richtung des Verbrechens nach den §§ 83 (Abs. 1 und 2), 86 StGB zu stellen, weil die Geschwornen nur hiedurch in die Lage versetzt werden konnten, die Tat auch nach diesem vom Angeklagten hervorgekehrten und auch vom Sachverständigen erörterten (S 160/IV) Gesichtspunkt unter Abwägung der für die eine und die andere Vorsatzform sprechenden Beweisergebnisse zu prüfen. Dieser Beurteilung steht auch der Umstand nicht entgegen, daß die Geschwornen in ihrer gemäß § 331 Abs. 3 StPO verfaßten Niederschrift (Beilage ./D zum Hauptverhandlungsprotokoll) ausdrücklich und lebensnah begründeten, weshalb sie den Tötungsvorsatz als erwiesen annahmen: Denn zum einen ist diese Niederschrift weder eine Ergänzung noch ein Ersatz des Wahrspruchs und darf daher im Urteil auch gar nicht verwertet werden (§ 342 StPO), zum anderen hätten die Geschwornen (mangels einer entsprechenden Eventualfrage) bei Verneinung des Tötungsvorsatzes nur die Alternative des Freispruches gehabt, was ihnen schon deshalb völlig unverständlich erscheinen mußte, weil der Angeklagte die (von ihm verschuldete) Tötung des Herbert B ja nie bestritten hatte. Die Niederschrift gibt somit kein relevantes Indiz für die Beantwortung der Frage ab, ob diese mangelnde Fragestellung im konkreten Fall einen für den Angeklagten Ibrahim A nachteiligen Einfluß übte (RiZ 1972/S 165, 166, 9 Os 137/84 u.v.a.).

Zur Beschwerde der Dalia A:

Bei der geschilderten Sach- und Rechtslage erübrigte sich ein Eingehen auf das umfangreiche Beschwerdevorbringen, das im wesentlichen darauf hinausläuft, daß eine Zusatzfrage im Sinn der Bestimmung des § 286 Abs. 2 Z 1 StGB zu stellen und eine entsprechende Rechtsbelehrung (die überhaupt unvollständig sei) zu geben gewesen wäre. Es trifft nämlich der ebenfalls erhobene Beschwerdeeinwand zu, daß eine Verurteilung der Dalia A davon abhänge, ob ihr Ehemann auch im zweiten Rechtsgang wegen einer mit Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedrohten Vorsatztat verurteilt werden wird, wobei die Tötungshandlung des Ibrahim A in subjektiver Richtung wieder im engen Konnex mit dem als erwiesen angenommenen Verhalten seiner Mitangeklagten (wie weit versuchte sie, ihn von der Tat abzuhalten?) geprüft werden mußte. Es ist daher der Wahrspruch der Geschwornen zur Frage der strafrechtlichen Verantwortung der beiden Angeklagten im Zusammenhang mit der Tötung des Herbert B sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht nicht zu trennen, weshalb gemäß §§ 344, 289 StPO den Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten Folge zu geben war. Dementsprechend waren die Schuldspruchsfakten 1 und 3, der diesen Teilen des Schuldspruchs zugrundeliegende Wahrspruch der Geschwornen sowie der Strafausspruch einschließlich des Ausspruchs über die Anrechnung der Vorhaften (LSK 1977/277) aufzuheben und die Verfahrenserneuerung vor einem anderen Geschwornengericht anzuordnen (§§ 344, 285 e StPO). Mit ihren Berufungen waren beide Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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