OGH 9Os137/84

OGH9Os137/8425.9.1984

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. September 1984 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Reisenleitner und Dr. Felzmann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Schiller als Schriftführerin in der Strafsache gegen Zoltan A wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft Wien gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 4. April 1984, GZ 20 w Vr 5706/83-77, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde der seit dem Jahre 1972 mit Unterbrechung (Militärdienst in Jugoslawien) in Österreich lebende, am 21. Juni 1954 geborene Zoltan A des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 23. Juni 1983

in Schwechat seinen Vater Pal A durch mindestens zwanzg Hammerschläge gegen den Kopf und zahlreiche Schläge gegen den Körper, an deren Folgen dieser am 26. Juni 1983 verstarb, vorsätzlich getötet.

Den Geschwornen lag insgesamt folgendes Fragenschema vor:

1. Hauptfrage 1 nach Mord (§ 75 StGB) 2. Eventualfrage 1 nach Totschlag (§ 76 StGB) 3. Eventualfrage 2 nach absichtlicher schwerer Körper verletzung mit Todesfolge (§ 87 Abs. 1 und 2, letzter Fall, StGB) 4. Eventualfrage 3 nach schwerer Körperverletzung mit Todesfolge (§§ 83 Abs. 1, 86 StGB) 5. Zusatzfrage 1 nach Notwehrüberschreitung aus asthe nischem Affekt oder wegen unangemessener Verteidi gung (§ 3 Abs. 2 StGB) 6. Eventualfrage 4 nach fahrlässiger Körperverletzung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 81 Z 1 StGB in Verbindung mit § 3 Abs. 2 StGB). Die Geschwornen bejahten einstimmig die an sie im Sinne der Anklage gestellte Hauptfrage 1, verneinten die in Richtung einer Notwehrüberschreitung gestellte Zusatzfrage 1 ebenso einhellig und ließen die übrigen Fragen unbeantwortet.

Gegen diesen Schuldspruch wendet sich der Angeklagte mit seiner nur auf § 345 Abs. 1 Z 6 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde; den Strafausspruch bekämpft er mit Berufung.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Dem Vorbringen, durch die Nichtaufnahme einer Eventualfrage in Richtung §§ 83 Abs. 2, 86 StGB in das Fragenschema sei die Vorschrift des § 314 Abs. 1 StPO verletzt worden, kann zwar nicht gefolgt werden, weil - abgesehen davon, daß ein Vorbringen das nur auf Mißhandlungsvorsatz hindeutet, gar nicht vorliegt - im Hinblick auf die rechtliche Gleichwertigkeit der beiden Begehungsweisen des Abs. 1 und Abs. 2 des § 83 StGB (LSK 1975/171, EvBl 1979/146), was auch in der Rechtsbelehrung erläutert wird (S 10 der Beilage B zum Hauptverhandlungsprotokoll), die Unterlassung einer derartigen Fragestellung auf die Entscheidung keinen nachteiligen Einfluß üben konnte (§ 345 Abs. 3 StPO).

Zu Recht wird allerdings die im Hinblick auf die entsprechende Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung indizierte Fragestellung nach dem Vorliegen einer Notwehrsituation und eines allfälligen Notwehrexzesses gerügt. Der Schwurgerichtshof stellte zu diesem Fragenkomplex die für den Fall der Bejahung der Hauptfrage 1 oder einer der Eventualfragen 1 bis 3 zu beantwortende Zusatzfrage nachfolgenden Inhalts:

'Hat Zoltan A am 23. Juni 1983 in Wien bei der Verübung der zur Hauptfrage 1, Eventualfrage 1, 2 oder 3 geschilderten Tat lediglich aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschritten oder sich einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung bedient, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf sein Leben, seine Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder sein Vermögen von sich abzuwehren?' Für den Fall der Bejahung dieser Zusatzfrage wurde die Eventualfrage 4 in Richtung § 81 Z 1 StGB gestellt. In dieser Fragestellung ist - wie die Beschwerde richtig aufzeigt - ein logischer Bruch insoferne zu erkennen, als den Geschwornen bei Beantwortung der Zusatzfrage mit Nein oder Ja nur die Wahl offengelassen wurde, den Angeklagten entweder im Sinne der Hauptfrage oder der Eventualfragen 1 bis 3 schuldig zu erkennen (bei Verneinung der Frage), oder ihn (bei Bejahung der Zusatzfrage 1 und der Eventualfrage 4) nach § 81 Z 1 StGB zu verurteilen. Mangels gesonderter Fragestellung nach den Tatbestandsmerkmalen des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr (§ 3 Abs. 1 StGB) waren die Geschwornen der Möglichkeit beraubt, die im Rahmen des Subsumtionsvorganges logische Vorfrage zu entscheiden, ob der Angeklagte überhaupt in Notwehr gehandelt hat, was im Falle der Bejahung auch zu einem Freispruch hätte führen können. Andererseits hätte erst die Bejahung dieser Frage die Voraussetzung für die Beantwortung der Frage in Richtung schuldhafter Notwehrüberschreitung gebildet. Diese unlogische Fragestellung wird auch dadurch nicht ausgeglichen, daß die Voraussetzungen gerechtfertigter Notwehr in der Rechtsbelehrung (siehe deren Seiten 12 bis 15) dargelegt werden, weil - und insoweit irrt der Schwurgerichtshof - den Geschwornen bei Beantwortung der Zusatzfrage 1 keine Möglichkeit eingeräumt war, durch teilweise oder einschränkende Beantwortung zum Ausdruck zu bringen, ob Notwehr im Sinn des § 3 Abs. 1 angenommen wurde oder nicht. Sie hatten nur die Wahl zwischen Bejahung oder Verneinung einer Notwehrüberschreitung, sei es wegen überschreitens des Maßes der gerechtfertigten Verteidigung sei es wegen offensichtlich unangemessener Verteidigung. Sie konnten eine alternative Antwort also nur auf die rechtlich gleichwertigen beiden Fälle des § 3 Abs. 2 StGB abstellen (vgl Leukauf-Steininger 2 , RN 90 ff zu § 3 StGB). Daß den Geschwornen die Beantwortung der Zusatzfrage 1 tatsächlich Schwierigkeiten bereitete, zeigt der aktenkundige Umstand, daß die Frage zunächst bejaht und dann erst - beurkundet durch die Unterschrift des Obmannes der Geschwornen - das Votum auf 'Nein' korrigiert wurde. Diese verfehlte Fragestellung stellt sich als Verstoß gegen die Vorschrift des § 313 StGB dar, der Nichtigkeit des Wahrspruchs nach § 345 Abs. 1 Z 6 StPO bewirkt, da nicht auszuschließen ist, daß diese fehlerhafte Fragestellung doch einen nachteiligen Einfluß auf das Verdikt hatte (vgl Melnitzky in JBl 1973, S 348 ff, 13 Os 42/74, 12 Os 59/83).

Dieser Beurteilung steht auch nicht der Passus der Niederschrift der Geschwornen (§ 331 Abs. 1 StPO) entgegen, der lautet: 'Es lag keine Notwehrsituation vor. Nur die vom Angeklagten behauptete Angst kann die Tat nicht rechtfertigen.' Zum einen ist aus dieser Formulierung eine Vermengung der Vorauskennen, zum anderen dient die Niederschrift nicht als Ergänzung oder gar Ersatz des Wahrspruchs, darf daher auch im Urteil gar nicht verwertet werden (§ 342 StPO) und ist somit auch kein relevantes Indiz für die Beurteilung, ob im konkreten Fall ein nachteiliger Einfluß für den Angeklagten anzunehmen ist (RiZ 1972/S 165, 166).

Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher Folge zu geben, der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil zur Gänze aufzuheben und die Verfahrenserneuerung anzuordnen (§§ 344, 285 e StPO).

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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