OGH 11Os136/14f

OGH11Os136/14f9.12.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Dezember 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krampl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Markus R***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 2, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 6. Mai 2014, GZ 12 Hv 92/12b‑111, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0110OS00136.14F.1209.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Markus R***** gemäß § 259 Z 3 StPO vom Vorwurf freigesprochen, er habe „mit dem abgesondert verfolgten Mag. Hans L***** in W***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter, indem sie monatliche MPS‑Berichte („Monthly profit statements“) betreffend die M***** GmbH an deren Konzernmuttergesellschaften A***** W***** bzw H***** Ltd., *****, übermittelten, in welchen sie einzelne Buchhaltungskonten vorschriftswidrig nicht aufnahmen, sodass die Verluste bei der M***** GmbH geringer ausgewiesen wurden, als sie tatsächlich waren, und diese MPS‑Berichte in Besprechungen mit Konzernvertretern präsentierten, von Jänner 2006

A./ bis Dezember 2008 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung schwerer Betrügereien eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, durch Täuschung über Tatsachen unter Benützung falscher Beweismittel Verfügungsberechtigte der H***** Ltd., *****, zu Handlungen, nämlich zur Genehmigung der Auszahlung von jährlichen Bonuszahlungen, die auf Grundlage der vorgenannten MPS-Berichte berechnet wurden, an sie sowie an die vorgenannten Mitarbeiter, verleitet, die die M***** Austria GmbH in Höhe von insgesamt 202.682 Euro am Vermögen schädigten, und zwar durch nachstehende überhöhte Auszahlungen:

I./ an Markus R*****

1./ im Jahr 2006: 43.800 Euro;

2./ im Jahr 2007: 27.572 Euro;

3./ im Jahr 2008: 43.553 Euro;

II./ an Mag. Hans L*****:

1./ im Jahr 2006: 21.610 Euro;

2./ im Jahr 2007: 16.869 Euro;

3./ im Jahr 2008: 17.518 Euro;

III./ an Ursula B*****:

1./ im Jahr 2007: 5.836 Euro;

2./ im Jahr 2008: 3.984 Euro;

IV./ an Alain P*****;

1./ im Jahr 2007: 7.750 Euro;

2./ im Jahr 2008: 5.068 Euro;

V./ an Jörg Pr***** im Jahr 2008: 9.123 Euro.

B./ bis Dezember 2009 als Beauftragter der M***** GmbH in Darstellungen betreffend die M***** Austria GmbH, die an die Gesellschafter gerichtet sind, die Verhältnisse der Gesellschaft unrichtig wiedergegeben, nämlich einen um 34.518.000 Euro zu geringen kumulierten Verlust der M***** GmbH ausgewiesen, und zwar durch Angabe nachstehender Ergebniszahlen („Net Profit After Tax“) anstatt der tatsächlichen Ergebniszahlen:

I./ im Jahr 2006 einen Verlust von 7.230.000 Euro anstatt tatsächlich 14.223.000 Euro;

II./ im Jahr 2007 einen Verlust von 1.948.000 Euro anstatt tatsächlich 6.789.000 Euro;

III./ im Jahr 2008 einen Verlust von 16.647.000 Euro anstatt tatsächlich 26.888.000 Euro;

IV./ im Jahr 2009 einen Verlust von 2.148.000 Euro anstatt eines tatsächlichen Verlusts von 14.591.000 Euro.“

Rechtliche Beurteilung

Die Staatsanwaltschaft bekämpft diesen Freispruch mit einer auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Der Beantwortung der Mängelrüge (Z 5) ist voranzustellen, dass mit diesem Nichtigkeitsgrund grundsätzlich nur formelle Begründungsmängel hinsichtlich entscheidender Tatsachen geltend gemacht werden können. Tatsachen sind entscheidend, wenn die Feststellung ihres Vorliegens oder Nichtvorliegens in den Entscheidungsgründen (aus Sicht des Rechtsmittelgerichts) entweder die rechtliche Entscheidung über Schuld oder Freispruch oder ‑ im Fall gerichtlicher Strafbarkeit ‑ darüber beeinflusst, welche strafbare Handlung begründet wurde (RIS-Justiz RS0117264; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399 ff).

Davon zu unterscheiden sind erhebliche Tatsachen; das sind solche, die für die Feststellung über Vorliegen oder Nichtvorliegen einer entscheidenden Tatsache von Bedeutung sein können, mithin erörterungsbedürftig (im Sinn des zweiten Falls der Z 5) sind. Die in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen, welche erst in der Gesamtschau mit anderen zum Ausspruch über entscheidende Tatsachen führen, kann ‑ soweit sie keine notwendige Bedingung für die Feststellung einer entscheidenden Tatsache darstellt ‑ aus Z 5 nicht bekämpft werden (RIS-Justiz RS0116737).

Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ, wobei dem Rechtsmittelgericht nur die Kontrolle obliegt, ob alles aus seiner Sicht Erwägenswerte erwogen wurde, nicht aber die Würdigung des herangezogenen Beweismaterials, wie dies im bezirksgerichtlichen Verfahren und im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts die Schuldberufung ermöglicht (RIS-Justiz RS0118316; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 421).

Mit sich selbst im Widerspruch (Z 5 dritter Fall) ist der Ausspruch des Gerichts über entscheidende Tatsachen, wenn zwischen Feststellungen und deren zusammenfassender Wiedergabe im Urteilsspruch oder zwischen zwei oder mehreren Feststellungen oder zwischen Feststellungen und den dazu in der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen ein Widerspruch besteht (RIS-Justiz RS0119089; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 437).

Keine oder eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) liegt vor, wenn für den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache entweder überhaupt keine oder nur solche Gründe angegeben sind, aus denen sich nach den Denkgesetzen und nach allgemeiner Lebenserfahrung ein Schluss auf die zu begründende Tatsache entweder überhaupt nicht ziehen lässt oder der logische Zusammenhang kaum noch erkennbar ist. Eine darauf gestützte Rüge darf sich jedoch nicht auf einzelne beweiswürdigende Erwägungen betreffend eine entscheidende Tatsache beschränken, sondern muss alle einbeziehen (RIS‑Justiz RS0099413; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 444 und 455).

Ob der Angeklagte die der Muttergesellschaft S***** W***** übermittelten Monatsberichte (MPS) tatsächlich „angesehen“ hat, betrifft keine entscheidende Tatsache. Entscheidend ist vielmehr, ob er die Unrichtigkeit der darin im Deliktszeitraum genannten Zahlen zumindest ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden hat.

Der Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) in Ansehung der vom Angeklagten zugestandenen Sichtung und Prüfung der MPS scheitert daher schon im Ansatz.

Dem Beschwerdestandpunkt zuwider besteht zwischen dem freisprechenden Erkenntnis und der Feststellung, dass „eine bislang nicht feststellbare Person“ den gegenständlichen Tatentschluss gefasst und umgesetzt hat, kein den Angeklagten betreffender Widerspruch im oben dargelegten Sinn. Denn das Gericht hat unmissverständlich ausgesprochen, dass R***** mangels Vorsatzes nicht als Täter zur Verantwortung zu ziehen ist. Dass sich die Tatrichter im Hinblick auf die von der Verteidigung verlangte, aber noch ausständige ergänzende Befassung des Sachverständigen sichtlich mit Blick auf Art 6 Abs 2 MRK noch nicht festlegen wollten, ob der gegen den Angeklagten Mag. L***** erhobene Vorwurf tatsächlich zu Recht besteht, berührt den gegenständlichen Freispruch nicht.

Das Erstgericht hat im Rahmen der Beweiswürdigung logisch und empirisch einwandfrei dargelegt, dass im Beweisverfahren keine überzeugenden Umstände für die Annahme, der Angeklagte R***** hätte die Unrichtigkeit der der Muttergesellschaft gemeldeten Zahlen „auch nur geahnt“ (US 37, 41, 43), hervorgekommen sind. Es hat sich dabei mit den verschiedenen, diesen Angeklagten teils entlastenden, teils belastenden Aussagen, insbesondere auch mit jener des abgesondert verfolgten Angeklagten Mag. L***** auseinandergesetzt und schließlich die Verantwortung des Angeklagten R*****, von jenem erst im Jänner 2012 über die „Fehlbuchungen“ informiert worden zu sein, für nicht widerlegbar erachtet (US 36 ff).

Indem die Beschwerde einzelne Passagen der Beweiswürdigung herausgreift, diese als „Feststellungen“ bezeichnet und eine insoweit fehlende Erörterung von Beweisergebnissen bemängelt, beschränkt sie sich der Sache nach auf eine im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässige Bekämpfung der Lösung der Tatfrage nach Art einer Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld. Das gilt insbesondere für den Umstand, dass nach der Überzeugung des Gerichts der Schwerpunkt der Tätigkeit des Angeklagten in der Führung und Leitung des Unternehmens lag, eine Einflussnahme auf die Verbuchung einzelner Geschäftsfälle durch ihn aber nicht festgestellt werden konnte (US 37).

Auch der Einwand „unvollständiger Würdigung“ der Aussage des Zeugen K*****, der das Gericht die Eignung, die Einlassung des Angeklagten R***** zu widerlegen, absprach (US 37), geht über die Ausführung einer Schuldberufung nicht hinaus.

Gegenstand einer Zeugenaussage können nur Wahrnehmungen über tatsächliche Umstände sein, nicht aber subjektive Meinungen, Ansichten oder Wertungen. Der persönliche Eindruck der Zeugin B*****, wonach eigentlich beide ‑ gemeint: die Angeklagten R***** und Mag. L***** ‑ gleich gut Bescheid wussten, ist demnach kein der Begründungspflicht unterliegendes Zeugnis (RIS-Justiz RS0097540).

Die Tatrichter haben sich ‑ wie bereits erwähnt ‑ mit der Aussage des abgesondert verfolgten Angeklagten Mag. L*****, die Abrechnungen „auf Druck“ des Angeklagten R***** gefälscht zu haben, eingehend auseinandergesetzt, ihr aber keinen Glauben geschenkt (US 37 f).

Dass Mag. L***** dies auch unternehmensintern geäußert hatte, nämlich gegenüber der Zeugin Ro*****, deren Aussage im Übrigen in der Beweiswürdigung durchaus Berücksichtigung fand (US 37, 42), verändert die Entscheidungsgrundlage nicht und bedurfte daher keiner ausdrücklichen beweiswürdigenden Behandlung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher ‑ wie bereits in der Stellungnahme der Generalprokuratur ausgeführt ‑ bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

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