OGH 11Os126/20v

OGH11Os126/20v1.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Februar 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Rene F***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Geschworenengericht vom 1. September 2020, GZ 13 Hv 115/19b‑218, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00126.20V.0201.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Rene F***** jeweils eines Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB (I) und des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (II) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 28. Mai 2019 in G***** Brigitte G*****

(I) vorsätzlich getötet, indem er sie attackierte, als sie nach der Arbeit zu ihrem Fahrzeug ging, sie am Hals erfasste und so lange würgte, bis sie bewusstlos war, ihr sodann mit einem Schneidwerkzeug eine tiefe Schnittwunde mit Durchtrennung der Ellenarterie am linken Handgelenk zufügte und sie anschließend in einem Gebüsch ablegte, sodass der Tod infolge komprimierender Gewalteinwirkung gegen den Hals, verbunden mit einem gewaltsamen Verschluss der Atemöffnungen, dem Einatmen von Erbrochenem und einer durch die Schnittverletzung entstandenen Luftembolie, eintrat und

(II) mit Gewalt gegen ihre Person unter Verwendung einer Waffe, nämlich durch das zu I beschriebene Verhalten, fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, indem er die Handtasche (enthaltend eine Geldbörse mit Bargeld und ein Mobiltelefon), einen Gürtel und eine Bauchtasche des Opfers in unmittelbarem Anschluss an die Tätlichkeiten an sich nahm.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen wendet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

 

[4] Vorangestellt sei, dass die Tatzeit im Verfahren auf 20:24 Uhr des 28. Mai 2019 (Scharfstellen der Alarmanlage des Geschäftslokals der von Brigitte G***** geleiteten N*****-Filiale durch das Opfer) als terminus a quo bis 20:33 Uhr desselben Tages (Beendigung der bis dahin laufenden Aufzeichnung der Standortdaten des Mobiltelefons der Brigitte G***** infolge dessen Abschaltung; vgl ON 113 S 165) als terminus ad quem eingegrenzt wurde (vgl ON 159 S 7, 9; der Angeklagte geriet in Verdacht, als das Mobiltelefon des Opfers am 12. Juli 2019 kurzzeitig reaktiviert wurde und darin eine auf ihn registrierte SIM‑Karte eingelegt war – ON 91).

[5] Der – seine Anwesenheit am Tatort in diesem Zeitraum leugnende – Angeklagte verantwortete sich (ua) dahin, zur Tatzeit sein (zum Zeitpunkt seiner Festnahme am 29. Juli 2019 nicht mehr in seinem Besitz befindliches) Mobiltelefon Apple iPhone SE (mit der IMEI‑Nummer 356605087428161) mit sich geführt zu haben. Nach dem Ergebnis der darauf bezogenen Rufdatenauswertung war dieses Mobiltelefon um 10:59 Uhr und um 21:03 Uhr des 28. Mai 2019 – als damit jeweils eine telefonische Textbotschaft versandt wurde – im Bereich jenes Mobilfunksenders eingeloggt, der den Tatort versorgt; weitere Standortdaten für den Tattag liegen insoweit nicht vor (ON 91 S 53; ON 211). Daneben waren auf einem Tablet, das im Pkw des Angeklagten sichergestellt wurde, Bild- und Videodateien vom Tattag gespeichert, nach deren Metadaten die zeitlich letzte dieser Aufnahmen um 16:40 Uhr auf dem Hochkar (im Gemeindegebiet Gö*****, rund zwei Autostunden von G***** entfernt) entstanden war (ON 154 S 9, 113 ff).

[6] Der Angeklagte gab an, sein erwähntes Mobiltelefon am 20. Juni 2019 verloren zu haben, indem er es beim Entenfüttern „in Gr*****, an der Uferpromenade“ aus Unachtsamkeit in den Hauptstrom der Donau habe fallen lassen; nähere Ortsangaben dazu machte er zunächst nicht (ON 91 S 27; ON 97 S 4; ON 149 S 5). In der Hauptverhandlung am 16. Juni 2020 behauptete er, es sei über einen Mauervorsprung bei der „dritte[n] oder vierte[n] Treppe zum Fußballplatz“ „direkt in die Donau runtergerutscht“; diesbezüglich habe er „bei der Polizei eine Skizze“ erstellt (ON 189 S 14; vgl jedoch den Amtsvermerk der LPD NÖ vom 31. August 2020, ON 215 S 3, wonach er in der polizeilichen Vernehmung keine solche Skizze, sondern lediglich eine [bei den Akten befindliche – ON 91 S 35] Lageskizze des Parkplatzes vor der N*****-Filiale G***** angefertigt habe). Erst in der Hauptverhandlung am 1. September 2020 fertigte der Angeklagte eine derartige Skizze an (ON 217 S 4 f), die als Beilage ./1 zum Protokoll genommen wurde.

[7] In der Hauptverhandlung stellte der Beschwerdeführer in Bezug auf das betreffende Mobiltelefon folgende – jeweils auf den Nachweis seiner Abwesenheit vom Tatort zur Tatzeit zielenden – Beweisanträge, und zwar

am 17. Juni 2020 den Antrag auf „Erstellung eines Bewegungsprofils“ „aus den Einloggungen der vorhandenen Daten“ und „anhand der vorhandenen Daten aus den Signalisierungsdaten der Mobilfunknetze“ unter Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Nachrichtentechnik und Übertragungstechnik (ON 190 S 58 ff) sowie,

„eine Anfrage an den verantwortlichen Mobilfunkbetreiber über die Verwendung“ dieses Mobiltelefons zu stellen, „ob im staatlich geführten Ermittlungsverfahren mittels der Kriminalpolizei eine Anfrage über Signalisierungsdaten der Mobilfunknetze zur Erstellung eines Bewegungsprofiles und Analyse der Bewegungsströme im relevanten Tatzeitraum […] gestellt wurde und solche Daten zur Verfügung gestellt wurden und sofern solche Aufzeichnungen vorhanden sind, dem verantwortlichen Mobilfunkbetreiber aufzutragen, diese dem Gericht vorzulegen“ (ON 190 S 61) und

am 1. September 2020 den Antrag auf „Bergung des nunmehr genau bezeichneten Standortes am Ufer der Donau befindlichen iPhone SE des Angeklagten, damit im zweiten Schritt ein Sachverständiger“ aus dem Fachgebiet der Nachrichtentechnik und Übertragungstechnik „mittels den auf der Festplatte/Speicherkarte“ dieses Mobiltelefons „vorhandenen Standortdaten zusammen mit den vorhandenen und bekannten IMG-Daten in der iCloud und Rufdaten ein dies bestätigendes lückenloses Bewegungsprofil erstellen kann“ (ON 217 S 5).

[8] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 5) wurden durch die Abweisung (ON 190 S 65 und ON 217 S 15) dieser Anträge Verteidigungsrechte nicht geschmälert.

[9] § 90 Abs 8 TKG 2003 beschränkt die Verpflichtung der Anbieter von Mobilfunknetzen zur Führung von Aufzeichnungen über den geographischen Standort der zum Betrieb ihres Dienstes eingesetzten Funkzellen auf einen – zum Zeitpunkt der Antragstellung seit dem Tattag bereits verstrichenen – sechs Monate zurückliegenden Zeitraum. Die kommunikationsunabhängige Speicherung von Standortdaten wiederum ist nach § 102 Abs 3 letzter Satz TKG 2003 grundsätzlich unzulässig (vgl 12 Os 93/14i, 94/14m; 12 Os 36/15h; 14 Os 40/17i). Dass der Angeklagte zur Verarbeitung von Standortdaten in nicht anonymisierter Form etwa seine Einwilligung erteilt gehabt hätte (§ 102 Abs 1 Z 2 und Abs 2 TKG 2003), wurde nicht behauptet. Im Hinblick darauf ging der Schwurgerichtshof zutreffend davon aus, dass der Antrag vom 17. Juni 2020 eine undurchführbare Beweisaufnahme anstrebte (§ 55 Abs 1 erster Satz StPO).

[10] Als – im Hauptverfahren unzulässig – auf Erkundungsbeweisführung gerichtet (RIS-Justiz RS0118444 [T1, T6]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330) erweist sich auch der Antrag vom 1. September 2020. Ließ er doch (bereits) offen, weshalb davon auszugehen sein sollte, dass ein Mobiltelefon, das mehr als ein Jahr zuvor an einer (nunmehr) vom Angeklagten bezeichneten Stelle im Donaustrom verloren gegangen sein soll, (überhaupt) wieder aufgefunden und geborgen werden könnte. Ebenso wenig legte er dar, weshalb – darüber hinaus – auf den Datenträgern dieses Mobiltelefons, das sich die gesamte Zeit hindurch auf dem Grund der Donau befunden hätte, noch auslesbare Daten erhalten sein sollten.

[11] Hinzugefügt sei, dass der Schwurgerichtshof einem in der Hauptverhandlung am 16. Juli 2020 – mit gleicher Zielrichtung – gestellten Antrag des Angeklagten, „dass eine SIM-Karte mit dieser Nummer [dessen seinerzeitigen Mobilfunkanschlusses] vom Mobilfunkbetreiber angefordert wird, diese Nummer dann verbunden wird mit der iCloud von Apple und danach die Auswertung des Bewegungsprofils erfolgt“ (ON 206 S 45), im Hinblick auf die zeugenschaftlichen Angaben des Daniel B*****, Forensiker im Bundeskriminalamt, stattgab (ON 206 S 47). Dieser hatte es als möglich bezeichnet, (ohne dazu des Mobiltelefons zu bedürfen) auf die beschriebene Weise – nach Zurücksetzen des Passworts – im sogenannten iCloud-Account (allenfalls) vorhandene Standortdaten zu erlangen, die in einem vom Gerät in der „iCloud“ gespeicherten „Back-up“ enthalten sein könnten (ON 206 S 39 f und 44 f). Dass solche (im Übrigen verschlüsselten) Daten für die Apple Inc. sonst nicht zugänglich sind, war vonseiten dieses Technologieunternehmens mit E-Mail vom 14. Juli 2020 mitgeteilt worden (ON 204). Die daraufhin vom Gericht veranlasste Überprüfung des Inhalts der betreffenden „iCloud“ nach Wiederherstellung deren „Accounts“ mittels einer vom Angeklagten beigebrachten SIM-Karte ergab jedoch, dass dort keine Standortdaten aus dem Tatzeitraum gespeichert sind (Bericht der LPD NÖ vom 7. August 2020, ON 211; ON 217 S 4).

[12] Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO zielt darauf, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) aufzuzeigen, die nahelegen, dass die Geschworenen das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO iVm § 302 Abs 1 StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben (RIS-Justiz RS0118780 [T13, T16, T17]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 470, 490).

[13] Diesen Anfechtungsrahmen verlässt die Beschwerde, indem sie eine Mehrzahl von Beweisergebnissen, nämlich

- das Gutachten der Sachverständigen aus dem Fachgebiet der forensischen Molekularbiologie (ON 189 S 59 ff iVm ON 126), wonach unter den Fingernägeln der Leiche des Opfers sichergestellte Hautpartikel sowie DNA‑Spuren, die auf dem Rücken des Opfers und im Inneren dessen Pkws sichergestellt wurden, dem DNA-Profil des Angeklagten zuzuordnen sind,

- das Gutachten des Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Gerichtsmedizin (ON 189 S 50 ff iVm ON 94) zur Todesursache sowie zur Art und Entstehungsweise der Verletzungen des Opfers,

- den Bericht über den Einsatz eines Personensuchhundes am 13. Juni 2019 (ON 30 S 599 ff) und die diesbezüglichen Zeugenaussagen zweier Polizeibeamter (ON 206 S 22 ff; ON 189 S 49), wonach eine Geruchsspur jener Person, der das unter den Fingernägeln des Opfers sichergestellte organische Material zuzuordnen ist, vom Fundort des Pkws des Opfers bis zum – mehrere hundert Meter davon entfernt gelegenen – Parkplatz vor der N*****-Filiale G***** verlief,

- das Ergebnis der Auswertung von Standortdaten des auf den Angeklagten zur Tatzeit registrierten Mobiltelefons (ON 154 [S 9 ff iVm] S 109, 111), wonach dieses bei Kommunikationsvorgängen in den Monaten Mai und Juni 2019 bis zum Tattag (28. Mai 2019) regelmäßig und oft mehrmals täglich, ab dem 29. Mai 2019 aber nicht mehr im Bereich jenes Mobilfunksenders eingeloggt war, der den Tatort (Parkplatz vor der N*****-Filiale G*****) versorgt, sowie

- das Ergebnis von Rufdatenauswertungen, wonach das um 20:33 Uhr des Tattags deaktivierte Mobiltelefon des Opfers (erstmals wieder) am 12. Juli 2019 kurzzeitig aktiviert wurde und darin eine auf den Angeklagten registrierte SIM-Karte eingelegt war, in dessen Besitz es am 29. Juli 2019 sichergestellt wurde (ON 91),

als je für sich allein nicht ausreichend erachtet, seine leugnende Verantwortung zu widerlegen, und daraus anhand eigenständig entwickelter Beweiswerterwägungen vom Wahrspruch der Geschworenen abweichende Schlüsse gezogen wissen will.

[14] Soweit auch die Tatsachenrüge (Z 10a) das Unterbleiben bestimmter (vom Beschwerdeführer erfolglos beantragter) Beweisaufnahmen beanstandet, ist sie auf ihre – unter dem Aspekt der Sachverhaltsermittlung bestehende – Subsidiarität gegenüber der Verfahrensrüge (Z 5) zu verweisen (RIS-Justiz RS0115823 [T2]).

 

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO).

[16] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 344, 285i StPO).

[17] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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