OGH 14Os40/17i

OGH14Os40/17i4.7.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Juli 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Limberger, LL.M., als Schriftführer in der Strafsache gegen Sergio V***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 8. März 2017, GZ 37 Hv 1/17t‑13, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0140OS00040.17I.0704.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Sergio V***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 2 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 28. August 2016 in S***** die zufolge ihrer starken Alkoholisierung wehrlose Theresa S***** unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er an ihr eine geschlechtliche Handlung vornahm, indem er sie unter ihrer Kleidung intensiv an ihren nackten Brüsten berührte, ihren Unterleib entkleidete, mit seinen Fingern ihre Scheide streichelte und sie mit seiner Zunge im Scheidenbereich leckte.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 3, 4 und 5 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Die das Ausmaß des bedingt nachgesehenen Teils der verhängten Freiheitsstrafe betreffende Divergenz zwischen dem Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 3 StPO; US 2: zwölf Monate) und den Urteilsausführungen zur Strafbemessung (US 12: zehn Monate) begründet – entgegen dem Beschwerdestandpunkt – keine Nichtigkeit aus Z 3. Während in Hinsicht auf den Sanktionsausspruch ein aus Z 5 relevanter Widerspruch zu den Entscheidungsgründen nicht in Betracht kommt, dient die Nichtigkeitssanktion insoweit nur einer Klarstellung der verhängten Strafe. Ob diese von den Entscheidungsgründen, die nur eine sehr beschränkte Begründungspflicht vorsehen, getragen wird, ist aus Z 3 ohne Bedeutung. Schon weil § 270 Abs 2 Z 5 StPO deren Anführung in den Entscheidungsgründen nicht verlangt, gilt allein die im Erkenntnis genannte Sanktion. Zwar können davon abweichende Angaben der Entscheidungsgründe das Erkenntnis aus der – insoweit relevanten – Sicht des Rechtsmittelgerichts unter Umständen undeutlich machen (RIS‑Justiz RS0099014; Lendl , WK‑StPO § 260 Rz 39). Solches ist aber hier schon aufgrund der im unmittelbaren Anschluss an die kritisierte – ersichtlich auf einem Irrtum beruhende – Urteilsannahme erfolgten Klarstellung, nach der der unbedingte Teil der Freiheitsstrafe (von insgesamt achtzehn Monaten) „daher … sechs Monate“ beträgt (US 12), nicht der Fall.

Der weiteren Verfahrensrüge (Z 4) zuwider erfolgte die Abweisung der in der Hauptverhandlung am 8. März 2017 gestellten Beweisanträge (ON 12 S 25) ohne Verletzung von Verteidigungsrechten des Beschwerdeführers.

Jenem auf „Durchführung einer Rufdatenrückerfassung der Mobiltelefone des Angeklagten … sowie des Zeugen H***** … und gleichzeitig auch der Standortpeilung dieser Mobiltelefone zum Tatzeitpunkt 27. bzw 28. August 2016“ wurde schon deshalb mit Recht nicht entsprochen, weil nicht dargelegt wurde, aus welchem Grund das Beweisthema, dass der Angeklagte „tatsächlich nur eine sehr kurze Zeit alleine im Zimmer mit Theresa S***** war und daraufhin den Weg in die Stadt angetreten hat und dort wiederum den Zeugen H***** getroffen hat“, mit Blick auf die (auch innerhalb „kurzer Zeit“ durchführbaren) inkriminierten Tathandlungen für die Klärung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage relevant sein sollte (vgl dazu auch US 10; ON 12 S 25 f).

Darüber hinaus beschränkt § 90 Abs 8 TKG 2003

die Verpflichtung der Anbieter von Mobilfunknetzen zur Führung von Aufzeichnungen über den geographischen Standort der zum Betrieb ihres Dienstes eingesetzten Funkzellen auf einen – hier bereits abgelaufenen – sechs Monate zurückliegenden Zeitraum (vgl zur Unzulässigkeit einer kommunikationsunabhängigen Speicherung von Standortdaten § 102 Abs 3 letzter Satz TKG 2003), womit die Tatrichter auch zutreffend davon ausgingen, dass der Antrag auf eine undurchführbare Beweisaufnahme gerichtet war (§ 55 Abs 2 erster Satz StPO), zumal Anhaltspunkte für gegenteilige Annahmen nicht aufgezeigt wurden (vgl dazu auch

12 Os 36/15h mwN).

Dem Begehren auf Einholung

eines gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachtens „zur Feststellung des Alkoholisierungsgrades des Opfers, insbesonders im Hinblick auf deren kurzfristige Schlafphasen, die sie selbst angibt, zumal der Gerichtsmediziner angeben möge, dass es nicht möglich ist, dass man innerhalb weniger Minuten einschlafen und wieder aufwachen kann, dort erhebliche Wahrnehmungen, insbesonders Tatwahrnehmungen machen kann“,

ließ sich nicht entnehmen, welche im Verfahren hervorgekommenen tatsächlichen Umstände (insbesonders zu den konkreten Trinkmengen; vgl ON 12 S 25; US 10; vgl auch ON 5 S 2 f) es dem erkennenden Schöffengericht erlaubt hätten, mit Hilfe des besonderen Fachwissens eines Sachverständigen zu den für die Verneinung der Wahrnehmungsfähigkeit der Theresa S***** zum Tatzeitpunkt erforderlichen Sachverhaltsannahmen zu gelangen (RIS‑Justiz RS0119248; Ratz , WK‑StPO § 281

Rz 347). Aus welchen Gründen zur Beurteilung der generellen Wahrnehmungsfähigkeit von (wenn auch stark alkoholisierten) Personen zwischen kurzen Schlafphasen ein besonderes Fachwissen erforderlich sein sollte, über das das erkennende Gericht nicht verfügte (§ 126 Abs 1 StPO), wurde gleichfalls nicht dargetan. Auf den Nachweis fehlender Wehrlosigkeit des Opfers war der Antrag – entgegen der Beschwerdeprämisse – seinem Wortlaut nach nicht gerichtet. Er wäre aber auch unter diesem Aspekt aus den selben Gründen nicht berechtigt, zumal es – vom Erstgericht zutreffend erkannt – zur Lösung dieser Frage nicht auf die exakte Blutalkoholkonzentration ankommt.

Der Antrag auf Einholung eines „aussagepsychologischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass die Aussagen des Opfers im Hinblick auf ihre beiden teilweise voneinander abweichenden Einvernahmen teilweise nicht unbedingt der Realität entsprechen, sondern auch Fantasieanteile in diesen Aussagen enthalten sind“, enthielt weder Anhaltspunkte für eine insoweit erforderliche Bereitschaft des Opfers zur Mitwirkung an der Begutachtung (RIS‑Justiz RS0118956), noch Hinweise auf das Vorliegen eines von der ständigen Rechtsprechung verlangten Ausnahmefalls, in welchem die Tatrichter für die Glaubwürdigkeitsprüfung der Beiziehung eines Experten bedürfen (RIS‑Justiz RS0097733). Dies gilt auch für die ergänzenden Ausführungen, nach denen die Zeugin anlässlich ihrer kontradiktorischen Vernehmung „ständig von sogenannten Bildern“ sprach, welche „nicht unbedingt auf eine tatsächliche Erfahrung …, sondern eher darauf zurückzuführen seien, dass Fantasieanteile in dieser Aussage mitschwingen“ (ON 12 S 26).

Das zur Fundierung der Anträge nachgetragene Beschwerdevorbringen unterliegt dem

Neuerungsverbot und ist daher unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618).

Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen hat das Erstgericht aus einer Reihe von Verfahrensergebnissen, insbesonders aus den (unter Berücksichtigung ihrer Alkoholisierung und der damit typischerweise verbundenen Erinnerungslücken) für schlüssig und nachvollziehbar erachteten Angaben der Theresa S***** abgeleitet (US 6 ff).

Indem die Mängelrüge bloß die – für sich keine

notwendige Bedingung der Feststellung entscheidender Tatsachen bildende – sachverhaltsmäßige Bejahung eines auf Initiative des Angeklagten geführten Gesprächs, in welchem er Lisa Z***** „unvermutet“ mitteilte, „es sei nichts mit Theresa gewesen“ und zudem angab, er habe „keinen hochbekommen“ und sich gefragt „was er hier tut“, als unvollständig begründet (Z 5 zweiter Fall) kritisiert, verfehlt sie den Bezugspunkt zulässiger Anfechtung (RIS‑Justiz RS0116737). Im Übrigen hat der Beschwerdeführer selbst eingeräumt, der Genannten Entsprechendes von sich aus gesagt zu haben (ON 12 S 5), was von Lisa Z***** anlässlich ihrer Vernehmung durch die Kriminalpolizei bestätigt wurde (ON 2 S 43). Mit diesbezüglichen Unsicherheiten der Zeugin in der Hauptverhandlung musste sich das Erstgericht mit Blick auf die eingangs der Beweiswürdigung angestellten grundsätzlichen Überlegungen zu Divergenzen zwischen im Ermittlungs‑ und im Hauptverfahren getätigten Zeugenaussagen (US 6 f) unter dem Aspekt von Unvollständigkeit nicht gesondert auseinandersetzen (RIS‑Justiz RS0098778).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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