Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen nach § 28 Abs 2 SMG, § 15 StGB zu den Urteilsfakten I B und C sowie im Ausspruch der gewerbsmäßigen Begehungsweise nach § 28 Abs 3 erster Fall SMG, demgemäß auch im Strafausspruch und im Widerrufserkenntnis aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte, letzterer auch mit seiner Beschwerde, auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen die durch den erfolglos gebliebenen Teil der Nichtigkeitsbeschwerde verursachten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Jaikson F***** des teils vollendeten, teils im Versuchsstadium verbliebenen, teils als Bestimmungstäter (§ 12 zweiter Fall StGB) begangenen Verbrechens nach § 28 Abs 2 (zu ergänzen: vierter Fall) und Abs 3 erster Fall SMG und § 15 StGB (I A - D des Urteilssatzes) sowie des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 1, 224 StGB als Beteiligter nach § 12 (zu ergänzen: dritter Fall) StGB (II) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Unter einem wurde das sichergestellte Suchtgift eingezogen und eine bedingte Strafnachsicht widerrufen.
Nach dem Inhalt des Schuldspruches hat der Angeklagte in Wien (zu I) gewerbsmäßig den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgifte in einer großen Menge in Verkehr gesetzt sowie in Verkehr zu setzen versucht, indem er
A) von Juni bis September 1999 zumindest 250 Gramm Heroin und Kokain
unbekannten Abnehmern sowie zumindest drei Gramm Heroin dem gesondert verfolgten Hans Rainer L***** verkaufte,
B) im Sommer 1999 dem gesondert verfolgten Allien J***** je 25 Gramm
Heroin und Kokain übergab,
C) am 29. September 1999 rund 46 Gramm Heroin und 52 Gramm Kokain zum Zweck des Verkaufs bereithielt und
D) den gesondert verfolgten Lansana T***** alias N. F***** im August 1999 dazu bestimmte, 25 Gramm Heroin und 25 Gramm Kokain nach Österreich einzuführen sowie
(zu II) Mitte September 1999 einen anderen dazu bestimmt, eine falsche ausländische öffentliche Urkunde zum Beweis einer Tatsache, nämlich einen mit seinem Paßbild versehenen portugiesischen Reisepaß lautend auf Paulo Eduardo D***** herzustellen, indem er diesen Reisepaß bei einem Unbekannten bestellte und ihm zu diesem Zweck sein Lichtbild übergab.
Gegen diese Schuldsprüche richtet sich die auf die Gründe der Z 3, 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der auch den Strafausspruch mit Berufung und den Widerrufsbeschluss mit Beschwerde anficht.
Rechtliche Beurteilung
Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt teilweise Berechtigung zu:
Verfehlt ist zunächst allerdings das Vorbringen zum Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 3 StPO. Zwar trifft es zu, dass der selbst im Verdacht der Begehung von Suchtgiftdelikten stehende "anonyme" Zeuge AZ 4 in der Hauptverhandlung vom 16. März 2000 nicht nach § 152 Abs 1 Z 1 StPO belehrt wurde, obgleich der Vorsitzende des Schöffensenates zu einer solchen Belehrung ungeachtet dessen verpflichtet gewesen wäre, dass der Zeuge - was die Beschwerde unerwähnt lässt - im Vorverfahren durch den Untersuchungsrichter vernommen und iSd § 152 Abs 1 Z 1 StPO belehrt worden war (S 35/II). Denn weil dieser Zeuge im Rahmen dieser Vernehmung nur ganz allgemein den Verkauf von Drogen ab 1998 zugestand (S 39/II), ohne aber eine Beteiligung an den deliktischen Handlungen des Angeklagten einzubekennen, welchen er indes in einer eine solche Beteiligung nahelegenden Weise belastete (S 47/II), war die Gefahr einer (zusätzlichen) Selbstbelastung (vgl 14 Os 82/94 ua), welche durch das aufgrund der vagen Erstangaben nicht einmal annähernd konkretisierte Geständnis nicht gebannt war, offenkundig. Die ohne ausdrücklichen Verzicht auf das ihm darnach zustehende Entschlagungsrecht deponierte Aussage in der Hauptverhandlung vom 16. März 2000 (S 353/II) war damit in der Tat nichtig (§ 152 Abs 5 StPO).
Der Beschwerdeführer übersieht jedoch, dass die Hauptverhandlung in der Folge wegen geänderter Senatsbesetzung gemäß § 276a StPO (am 25. Mai und 9. Juni 2000) neu durchgeführt wurde und in der Verhandlung vom 9. Juni "gemäß § 252 Abs 1 Z 4 und Abs 2 StPO die verfahrenswesentlichen Verlesungen" vorgenommen wurden (S 127/III). Dass damit auch die in der Verhandlung vom 16. März 2000 protokollierte Aussage des Zeugen AZ 4, welche ungeachtet des ihr anhaftenden Verfahrensmangels keinem Verwertungsverbot unterlag, verlesen wurde, ergibt sich schlüssig daraus, dass das Schöffengericht diese Aussage im Urteil verwertete, also als wesentlich ansah, und die Beschwerde Gegenteiliges nicht behauptet. Mit der gemäß § 252 Abs 1 Z 4 StPO einverständlich vorgenommenen Verlesung wurde aber die anläßlich der Vernehmung bewirkte Nichtigkeit obsolet. Die demgemäß rite in die der Entscheidung über die Schuldfrage vorausgehende Hauptverhandlung eingeführte Aussage konnte somit vom Gericht ohne Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Urteilsfindung herangezogen werden.
Auch die Verfahrensrüge (Z 4), mit welcher sich der Beschwerdeführer gegen die Ablehnung der in der Hauptverhandlung vom 16. März 2000 gestellten Anträge auf Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens aus dem Bereich der Jugendpsychiatrie sowie Ausforschung und Beischaffung von Standesdokumenten in Guinea/Afrika und die Vernehmung seines (dort lebenden) Vaters zum Beweis dafür wendet, dass er am 20. Oktober 1982 geboren wurde und daher zur Tatzeit siebzehn Jahre alt war - womit sich das Beweisthema im Hinblick auf die damit relevierte Frage der gehörigen Gerichtsbesetzung (§ 28 Abs 1 und Abs 2 JGG iVm § 281 Abs 1 Z 1 StPO) als wesentlich erweist-, ist unbegründet.
Der Verteidiger hatte zwar im Anschluss an die der Verhandlung vom 9. Juni 2000 erfolgte Erstattung des Gutachtens durch den Sachverständigen Dr. Gaber seinen vorerwähnten Beweisantrag vom 16. März (S 379/II) aufrechterhalten (S 125/III). Angesichts der ausführlichen (schriftlichen: ON 101, und mündlichen) Expertise dieses Sachverständigen, wonach das Alter des Angeklagten zweifelsfrei (auch) über einundzwanzig Jahren anzunehmen sei (S 105, 107/III), hätte es einer Begründung bedurft, inwieweit die Einholung eines jugendpsychiatrischen Gutachtens überhaupt geeignet wäre, die Ergebnisse des vorliegenden Gutachtens in Zweifel zu ziehen, zumal selbst nach dem der Nichtigkeitsbeschwerde angeschlossenen Gutachten des in einem anderen Verfahren bestellten Sachverständigen Dr. Lischka die Bestimmung des psychologischen Alters zur Beantwortung der Frage des Alters über neunzehn Jahren nicht als zuverlässig angesehen werden kann. Mit Rücksicht darauf kommt auch dem Antrag auf Ausforschung und Beischaffung von Standesdokumenten des Angeklagten, deren Existenz zudem nicht nur deshalb, weil sein Name und seine Herkunft ungesichert sind, zweifelhaft ist, und somit auch dem Antrag auf Vernehmung seines Vaters bloß der Charakter eines Erkundungsbeweises zu, dessen Unterbleiben keine Nichtigkeit begründet (vgl Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 19d, r und 77). Nicht im Recht ist der Beschwerdeführer auch mit dem gegen die Quantifizierung des in Verkehr gesetzten Suchtgiftes erhobenen Einwand der Unvollständigkeit (Z 5). Mit der Aussage des Zeugen AZ 1, derzufolge sich der Angeklagte ständig (S 475/II), jedenfalls aber vorwiegend außerhalb Österreichs aufgehalten habe (S 475 f/II), musste sich das Erstgericht schon deshalb nicht auseinandersetzen, weil der Angeklagte selbst niemals behauptet hatte, sich nach seiner Entlassung aus der Schubhaft (22. Juni 1999) bis zu seiner Ende September 1999 erfolgten Verhaftung im Ausland aufgehalten zu haben. Bedenken gegen die auf die Angaben des Zeugen AZ 4, der den Angeklagten während der Monate Juli bis September 1999 nahezu täglich beim Suchtgiftverkauf gesehen haben will (US 5; S 355/III), gestützte Feststellung der Gesamtmenge (Faktum I A) können demnach auch unter dem Gesichtspunkt der Tatsachenrüge nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO nicht erweckt werden. Die dagegen vorgebrachte Kritik (Z 5) der Doppel- bis Mehrfachberücksichtigung von Teilmengen übersieht, dass die Annahme der Suchtgiftmenge von (brutto) 250 Gramm bereits in den Angaben des Zeugen AZ 4 über den von ihm beobachteten Verkauf von Suchtgift durch den Angeklagten Deckung findet (S 355 f/II: während etwa drei Monate nahezu täglich, manchmal auch zweimal, zehn bis fünfzehn Kugeln a 0,2 Gramm) und diese Feststellung mit den Angaben desselben Zeugen über seine die Vorbereitung des Verkaufs von insgesamt rund 150 Gramm Suchtgift betreffenden Wahrnehmungen weder im Widerspruch steht noch davon die Rede sein kann, dass das Erstgericht diese Menge mit der ersteren zusammengerechnet hat. Davon abgesehen würde auch die (Brutto-)Menge von nur 150 Gramm Heroin/Kokain angesichts der konstatierten Konzentration (US 11: Heroin 10 %, Kokain 50 %) die Überschreitung der für die Tatbestände nach § 28 Abs 2 und Abs 3 SMG erforderlichen großen Menge begründen, sodass der geltend gemachte Begründungsmangel von vorneherein keine entscheidende Tatsache betrifft.
In Ansehung des vom allgemeinen Aufhebungsantrag miterfassten Schuldspruches zu II (Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden als Beteiligter nach §§ 223 Abs 1, 224, 12 dritter Fall StGB) schließlich verfehlt die Nichtigkeitsbeschwerde mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung Nichtigkeit begründender Umstände eine gesetzeskonforme Ausführung (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO) und war insoweit zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 1 StPO).
Zutreffend zeigt der Beschwerdeführer hingegen eine den Schuldspruch zum Faktum I B betreffende Aktenwidrigkeit (Z 5) auf. Den inkriminierten Vorwurf der Übergabe von je 25 Gramm Heroin und Kokain durch den Angeklagten an den gesondert verfolgten Allien J***** im Sommer 1999 stützte das Schöffengericht ausschließlich auf die Aussage des Zeugen "AZ 1" (US 10), der in der Hauptverhandlung vom 30. März 2000 indes angegeben hatte, dass nicht der Angeklagte dem Allien J*****, sondern dieser dem Angeklagten das in Rede stehende Suchtgift übergeben hatte (S 473/II und 481/II). Dieser Teil des Schuldspruchs war daher aufzuheben und insoweit eine Verfahrenserneuerung anzuordnen.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde konnte sich der Oberste Gerichtshof davon überzeugen, dass dem Urteil materielle Nichtigkeiten iSd § 281 Abs 1 Z 10 StPO anhaften, welche von der Beschwerde nicht releviert wurden und daher von Amts wegen wahrzunehmen waren:
So lässt der Schuldspruch zum Faktum I C wegen des Verbrechens des im Versuchsstadium verbliebenen Inverkehrsetzens von Suchtgift in großen Mengen nach § 15 StGB, § 28 Abs 2 vierter Fall SMG die für die Annahme des versuchten Verbrechens erforderlichen spezifischen Feststellungen zur Ausführungsnähe vermissen (Leukauf/Steininger Komm3 § 15 RN 8, 9; 15 Os 168/97), wird doch durch das bloße "Bereithalten von Suchtgift (in einer großen Menge) zum Zweck des Verkaufs" nur der Tatbestand des Vergehens nach § 28 Abs 1 SMG verwirklicht (11 Os 89/00).
Gewerbsmäßigkeit iSd § 28 Abs 3 erster Fall SMG hinwieder ist nur dann gegeben, wenn der Täter die die Grenzmenge erreichenden Teilakte in der Absicht setzt, die Tat durch weitere Teilakte, die jeweils zur Summierung des Suchtgiftes zur großen Menge führen sollten, zu wiederholen, um sich daraus eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (11 Os 91/00). Dem Urteils sind derartige, die Annahme der Gewerbsmäßigkeit tragende Feststellungen jedoch nicht zu entnehmen; durch die Rechtsausführungen (US 11 und 12) können die notwendigen Konstatierungen nicht ersetzt werden.
Das angefochtene Urteil war somit in den Schuldspruchsfakten I B und C sowie im Qualifikationsausspruch der gewerbsmäßigen Begehungsweise nach § 28 Abs 3 erster Fall SMG, demgemäß auch im Strafausspruch und im Widerrufserkenntnis aufzuheben und dem Erstgericht die Verfahrenserneuerung im Umfang der Aufhebung aufzutragen. Mit ihren Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte, letzterer auch mit seiner Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss, auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung ist in § 390a StPO begründet.
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