OGH 11Os117/98

OGH11Os117/9815.9.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. September 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker und Dr. Habl als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Urban als Schriftführer, in der Strafsache gegen Joseph T***** wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 6 E Vr 385/98 des Jugendgerichtshofes Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Joseph T***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 16. Juli 1998, AZ 21 Bs 259/98 (ON 29 des Vr-Aktes), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Joseph T***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Über Joseph T***** wurde mit Beschluß vom 12.Juni 1998 (ON 6) aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 StPO (§§ 484 StPO, 35 Abs 1 JGG) die Untersuchungshaft verhängt. In dem unter einem ausgehändigten (die Untersuchungshaft beantragenden) Strafantrag der Staatsanwaltschaft wurde ihm als Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB zur Last gelegt, am 10. Juni 1998 die im Strafantrag namentlich genannten Polizeibeamten, die im Begriff waren, ihn festzuhalten, durch Versetzen von Schlägen und Tritten mit Gewalt an der Amtshandlung zu hindern versucht zu haben.

Mit der Einbringung des Strafantrages war weiters die Erklärung verbunden, daß dessen Ausdehnung wegen des im Stadium des Versuchs verbliebenen Vergehens nach §§ 27 Abs 1 und Abs 2 Z 2 SMG, 15 StGB der Hauptverhandlung vorbehalten bleibe (S 1 des AV-Bogens).

Den in der Hauptverhandlung vom 2.Juli 1998 gestellten Enthaftungsantrag wies der Einzelrichter in der Verhandlung ab und ordnete - unter gleichzeitiger Vertagung der Hauptverhandlung auf den 23. Juli 1998 - die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 StPO (§ 35 JGG) an.

Mit (rechtskräftigem) Urteil vom 23.Juli 1998 wurde Joseph T***** der Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB, des Erwerbs, Besitzes und Verschaffung von Suchtgift nach § 27 Abs 1 SMG und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt, nach § 269 Abs 1 StGB unter Anwendung von §§ 5 Z 4 JGG, 28 StGB zu einer unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen zweimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt und enthaftet.

Mit Beschluß vom 16.Juli 1998 gab das Oberlandesgericht Wien der Beschwerde des Joseph T***** gegen die am 2.Juli 1998 vom Einzelrichter des Jugendgerichtshofes beschlossene Fortsetzung der Untersuchungshaft keine Folge und sprach aus, daß diese aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß §§ 180 Abs 2 Z 1 StPO, 35 Abs 1 JGG fortzusetzen sei.

Die dagegen rechtzeitig erhobene Grundrechtsbeschwerde behauptet Unverhältnismäßigkeit der Haft, da zum einen zu Unrecht der Gegenstand des vom Ausdehnungsvorbehalt umfaßten Anzeigeinhaltes zur prognostischen Beurteilung der erwarteten Unrechtsfolgen herangezogen worden sei, zum anderen im Hinblick auf die (bei einem jugendlichen Täter jedenfalls) bedingt auszusprechende Freiheitsstrafe in concreto das zu erwartende Strafmaß überschritten gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Meinung kann dem Gesetz nicht entnommen werden, daß Ausdehnungsvorbehalte auf Grund von Nachtragsanzeigen nur dann als Erkenntnisquellen für die Voraussetzung der Verhängung oder Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft dienen dürfen, wenn der Ankläger wegen der Anzeige die Einleitung der Voruntersuchung veranlaßt oder eine Anklage (einen Strafantrag) erhoben und somit die Bedingung für die Wertung des Antragsgegenstandes als Anlaßtat im Sinn des § 180 Abs 1 StPO geschaffen hat. Solche Anzeigen können vielmehr auch ohne Einbeziehung in ein Prozeßrechtsverhältnis ebenso wie irgendwelche andere Verfahrensumstände zusätzliche taugliche Mittel bei Beurteilung der (für die schon vorher in Voruntersuchung gezogenen oder bereits den Gegenstand einer Anklage bildenden strafbaren Handlungen) zu erwartenden Strafe sowie des Vorliegens oder Fehlens von Haftgründen sein. Die Prozeßordnung enthält keinerlei Regelung, wonach ein Beweismittel vom Gericht nur dann herangezogen werden darf, wenn der Ankläger damit bestimmte Anträge verbunden hat. Das Oberlandesgericht durfte zwar - wovon es ohnedies in der Entscheidung ausgegangen ist - bei Veranschlagung der zu erwartenden Strafe keinen über die bereits erhobene Anklage hinausgehenden Schuldspruch wegen erst der Verfolgung vorbehaltener Taten unterstellen, hat aber richtigerweise anhand des gesamten Akteninhaltes erwogen, ob der Inhalt der Nachtragsanzeigen allfällige Aufschlüsse über die Täterpersönlichkeit und eine eventuelle Wohlverhaltensprognose sowie über sonstige für die Sanktion bedeutsamen Umstände vermittelte, welche die Straferwartung beeinflussen könnten (vgl 14 Os 56/95).

Auch wenn man bei der Prognostizierung der zu erwartenden Strafe die Möglichkeit einer bedingten Strafnachsicht berücksichtigte (vgl 14 Os 30/94), hängt die Beantwortung dieser Frage doch neben der hier noch nicht gegebenen vollständigen Kenntnis allfälliger Tatumstände weitgehend von einer auf Grund der Aktenlage allein nicht zu beurteilenden Wohlverhaltensprognose ab, die nicht zuletzt mit dem persönlichen Eindruck im Zusammenhang steht, den der Angeklagte auf das mit der Straffindung befaßte Gericht hinterläßt (vgl 13 Os 162/96), sodaß das Oberlandesgericht zutreffend zum Ergebnis gelangt ist, daß fallbezogen die - vordringlich auf das Strafausmaß abstellende - Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Einbeziehung der - schwergewichtig prognostisch häufiger hypothetisch im Ermessensbereich liegenden - Möglichkeit der Anwendung der Bestimmungen über die bedingte Strafnachsicht, keinen Verstoß gegen Art 1 Abs 3 PersFRG darstellt.

Bei der im Fall verdachtskonformer Verurteilung zur Anwendung gelangenden Strafobergrenze des § 269 Abs 1 StGB, § 5 Z 4 JGG von eineinhalb Jahren Freiheitsstrafe kann aber von der Unverhältnismäßigkeit der (im Zeitpunkt des angefochtenen Beschlusses) rund fünf Wochen dauernden Untersuchungshaft keine Rede sein.

Die Beschwerde war sohin ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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