OGH 10ObS92/13x

OGH10ObS92/13x23.7.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter KR Hermann Furtner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Mayer & Herrmann, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist‑Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. März 2013, GZ 7 Rs 168/12w‑21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 5. September 2012, GZ 20 Cgs 40/12m‑18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 10. 10. 1967 geborene Kläger hat den Beruf des Tischlers erlernt. Innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (1. 10. 2011) erwarb er zunächst bis 30. 6. 2001 Beitragsmonate der Pflichtversicherung ‑ Erwerbstätigkeit nach dem GSVG und anschließend aufgrund seiner Tätigkeit als Tischler insgesamt 70 Beitragsmonate der Pflichtversicherung ‑ Erwerbstätigkeit nach dem ASVG. Dem Kläger ist aufgrund seines näher festgestellten medizinischen Leistungskalküls eine Tätigkeit als Tischler oder eine verwandte Tätigkeit nicht mehr zumutbar. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kann er unter anderem noch die Tätigkeiten einer Etikettierungskraft in pharmazeutischen Betrieben oder eines Wächters im Rahmen von Standwachdiensten in Industriebetrieben, Bürohäusern usw verrichten.

Das Erstgericht wies das auf Gewährung einer Invaliditätspension ab 1. 10. 2011 gerichtete Klagebegehren ab. Es ging bei seiner rechtlichen Beurteilung davon aus, dass der Kläger keinen Berufsschutz als gelernter Tischler iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 (BGBl I 2010/111) in Anspruch nehmen könne, weil er diese Tätigkeit innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag nicht in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten ausgeübt habe. In Fragen des Berufsschutzes könnten Zeiten einer selbständigen Tätigkeit nach dem GSVG nicht als Zeiten einer überwiegenden Berufsausübung iSd § 255 Abs 2 zweiter Satz ASVG angesehen werden, weil nach der eindeutigen Gesetzeslage nur Beitragsmonate zu berücksichtigen seien, die nach dem ASVG erworben worden seien. Mangels Berufsschutzes sei das Verweisungsfeld des Klägers nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen. Das festgestellte Leistungskalkül ermögliche dem Kläger eine weitere Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, wonach auch nach der Bestimmung des § 255 Abs 2 zweiter Satz ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 (BGBl I 2010/111) in Fragen des Berufsschutzes Zeiten selbständiger Tätigkeiten nicht als solche einer überwiegenden Berufsausübung im Sinne der genannten Gesetzesstelle angesehen werden könnten. Der Kläger habe in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag insgesamt 70 Beitragsmonate in der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit (Tischler) als Arbeiter und Angestellter nach dem ASVG erworben. Damit erfülle er nicht die Voraussetzungen für den von ihm nach § 255 Abs 2 ASVG geltend gemachten Berufsschutz.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 10 ObS 156/11f die Frage, ob sich aus der Neufassung des § 255 Abs 2 ASVG durch das BudgetbegleitG 2011 Anhaltspunkte dafür ableiten lassen, ob nunmehr auch nach dem GSVG erworbene Versicherungszeiten für die Erlangung des Berufsschutzes zu berücksichtigen seien, ausdrücklich offen gelassen habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Revisionswerber macht geltend, nach dem Gesetzeswortlaut des § 255 Abs 2 ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 sei nicht ausgeschlossen, dass auch Zeiten einer selbständigen Tätigkeit nach dem GSVG als Zeiten einer überwiegenden Berufsausübung im Sinne der genannten Gesetzesstelle angesehen werden können. Er habe vorgebracht, dass seine Gewerbeberechtigung auf Kleintransporte und Möbelmontage gelautet habe und er im Auftrag von Küchenstudios Küchen transportiert und montiert habe und es sich dabei um Tätigkeiten in seinem erlernten Beruf als Tischler gehandelt habe. Er habe daher im maßgebenden Zeitraum der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag neben den 70 Beitragsmonaten in der Pflichtversicherung nach dem ASVG weitere 66 Pflichtversicherungsmonate als Selbständiger nach dem GSVG erworben und genieße daher Berufsschutz nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Rechtslage vor dem BugetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111, konnten in Fragen des Berufsschutzes Zeiten einer selbständigen Tätigkeit nach dem GSVG nicht als Zeiten einer überwiegenden Berufsausübung iSd § 255 Abs 2 zweiter Satz ASVG (idF vor dem BugetbegleitG 2011) angesehen werden, weil in dieser Gesetzesstelle ‑ anders als in § 255 Abs 4 ASVG ‑ ausdrücklich nur auf erlernte (angelernte) Berufstätigkeiten abgestellt wurde, wenn sie in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz (also nach dem ASVG) ausgeübt wurden (10 ObS 156/11f, SSV‑NF 25/109; 10 ObS 156/07z, SSV‑NF 21/90 jeweils mwN). Nach der damaligen Gesetzeslage zählten demnach für die Frage des Berufsschutzes nur Beitragsmonate, die nach dem ASVG erworben wurden.

2. Nach § 255 Abs 2 zweiter Satz ASVG idF des BugetbegleitG 2011 liegt eine überwiegende Tätigkeit im Sinne des Abs 1 vor, wenn innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine Erwerbstätigkeit nach Abs 1 oder als Angestellte/r ausgeübt wurde.

2.1 Nach den Gesetzesmaterialien (RV 981 BlgNR 24. GP 205) besteht Übereinstimmung darin, dass künftig nur eine längere tatsächliche Ausübung des erlernten (angelernten) Berufs geschützt werden und daher zur Erlangung des Berufsschutzes erforderlich sein soll. Als Erfordernis für das Bestehen eines Berufsschutzes muss daher (für Stichtage ab 1. 1. 2011) die Ausübung von mindestens 7,5 Jahren einer solchen qualifizierten Tätigkeit innerhalb von 15 Jahren vor dem Stichtag vorliegen. Diese Regelung soll künftig auch für Angestellte gelten, wobei zur Erhaltung des Berufsschutzes alle „geschützten“ ArbeiterInnentätigkeiten bei ArbeiterInnen und alle Angestelltentätigkeiten zusammengerechnet werden, sodass beispielsweise mit 5 Jahren Tätigkeit als Schlosser und 3 Jahren Tätigkeit als Einzelhandelskaufmann der Berufsschutz in jeder dieser Tätigkeiten erhalten bleibt, aber auch auf das Verweisungsfeld für beide Tätigkeiten verwiesen werden kann.

2.2 Durch das BugetbegleitG 2011 wurden die neuen Voraussetzungen für den Berufsschutz auch für selbständig Erwerbstätige eingeführt, sodass als erwerbsunfähig iSd § 133 Abs 2 GSVG nunmehr nur die versicherte Person gilt, wenn ‑ neben den in § 133 Abs 2 Z 1 bis 3 GSVG genannten Voraussetzungen ‑ innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine selbständige Erwerbstätigkeit nach Z 3 oder eine Erwerbstätigkeit als Angestellte/r oder nach § 255 Abs 1 ASVG ausgeübt wurde.

3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung 10 ObS 165/12f die Frage, ob bei der Beurteilung des in gleicher Weise geregelten Berufsschutzes nach § 273 Abs 1 ASVG idF des BugetbegleitG 2011 neben Beitragsmonaten einer unselbständigen Erwerbstätigkeit (als gelernter oder angelernter Arbeiter oder als Angestellter) zusätzlich ‑ obwohl sie im Gesetzestext nicht genannt sind ‑ auch Zeiten der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit nach dem GSVG zu berücksichtigen sind, mit der Begründung verneint, dass eine durch Analogie zu schließende Gesetzeslücke nicht vorliegt. Gegen eine planwidrige Unvollständigkeit des § 273 Abs 1 ASVG sprechen bereits die Gesetzesmaterialien zum BudegtbegleitG 2011. Nach diesen bestand Übereinstimmung darin, dass künftig nur eine längere tatsächliche Ausübung des erlernten (angelernten) Berufs geschützt werden und daher zur Erlangung des Berufsschutzes erforderlich sein soll. Sollten die Voraussetzungen für die Erlangung des Berufsschutzes im Vergleich zur bisher geltenden Gesetzeslage, die keine Berücksichtigung von Beitragsmonaten nach dem GSVG zuließ, also erschwert werden, liefe deren nunmehrige Berücksichtigung der Intention des Gesetzgebers zuwider. Wurden die neuen (erschwerten) Voraussetzungen zugleich für den Bereich des GSVG eingeführt, kann dem Gesetzgeber auch nicht unterstellt werden, dass er bei Normierung der neuen Voraussetzungen für die Erlangung des Berufsschutzes das etwaige Vorliegen von Beitragsmonaten nach dem GSVG nicht Bedacht hätte. Eine Ergänzung des § 273 Abs 1 ASVG um Beitragsmonate nach dem GSVG widerspräche demnach der vom Gesetz gewollten Beschränkung (10 ObS 165/12f).

4. Diese dargelegten Grundsätze müssen in gleicher Weise für die gleichlautende Bestimmung des § 255 Abs 2 zweiter Satz ASVG gelten. Es sind daher auch für die Erlangung des Berufsschutzes nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG nur qualifizierte Tätigkeiten als gelernte oder angelernte Arbeiter sowie Angestelltentätigkeiten zu berücksichtigen, während Zeiten einer selbständigen Tätigkeit nach dem GSVG für die Frage des Berufsschutzes nach dieser Gesetzesstelle weiterhin außer Betracht zu bleiben haben.

5. Ausgehend von dieser Rechtsansicht haben die Vorinstanzen den vom Kläger iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG geltend gemachten Berufsschutz zutreffend verneint. Das Verweisungsfeld des Klägers ist daher nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen. Dass der Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung der begehrten Pensionsleistung nach dieser Gesetzestelle nicht erfüllt, wird auch in der Revision nicht in Zweifel gezogen.

Der Revision musste somit ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse des Klägers, welche einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und sind auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

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