OGH 10ObS88/23y

OGH10ObS88/23y24.7.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Elisabeth Schmied (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. (FH) G*, vertreten durch die Ganzert & Partner Rechtsanwälte OG in Wels, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, vertreten durch die Dr. Modelhart & Partner Rechtsanwälte GesbR in Linz, wegen Familienzeitbonus, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 31. Mai 2023, GZ 12 Rs 44/23 m‑15, womit das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 28. Februar 2023, GZ 14 Cgs 314/22s‑8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00088.23Y.0724.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Sozialrecht, Unionsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Ersturteil lautet:

1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei einen Familienzeitbonus anlässlich der Geburt des Kindes J* am 15. August 2022 für den Zeitraum von 1. September 2022 bis 30. September 2022 in der Höhe von 22,60 EUR täglich zu gewähren und die bereits fälligen Beträge binnen 14 Tagen zu zahlen.

2. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 560,95 EUR (darin 93,49 EUR USt) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 731,90 EUR (darin 121,89 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 502,70 EUR (darin 83,78 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Revisionsgegenständlich ist die Frage, ob der Umstand, dass das Dienstverhältnis des Klägers nach Ende der Familienzeit nicht mit dem bisherigen Dienstgeber fortgesetzt wurde, sondern ein neues Dienstverhältnis mit einem anderen Dienstgeber eingegangen wurde, dem Anspruch auf Familienzeitbonus entgegensteht.

[2] Der Kläger war ab 1.  Oktober 2021 bei der T* GmbH beschäftigt. Dieses Dienstverhältnis kündigte er mit Schreiben vom 1. August 2022 zum 30. September 2022. Am 11. August 2022 schloss er mit seiner damaligen Dienstgeberin eine „Vereinbarung über Familienzeit“, die 14 Tage nach dem tatsächlichen Geburtstermin in Anspruch genommen werden sollte, ausgehend vom voraussichtlichen Geburtstermin des Kindes am 17. August 2022 daher voraussichtlich im Zeitraum von 1. bis 30. September 2022. Nach der Geburt seines Sohnes J* am 15. August 2022 nahm der Kläger diese Familienzeit im vereinbarten Zeitraum in Anspruch.

[3] Seit 1. Oktober 2022 ist der Kläger bei der H* KG beschäftigt.

[4] Mit Bescheid vom 17. November 2022 wies die beklagte Österreichische Gesundheitskasse den Antrag des Klägers auf Zuerkennung des Familienzeitbonus für den Zeitraum von 1. September 2022 bis 30. September 2022 ab.

[5] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Gewährung von Familienzeitbonus im Zeitraum von 1. September 2022 bis 30. September 2022 „im gesetzlichen Ausmaß“. Es ging vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt aus. Dem Gesetzeswortlaut sei nicht zu entnehmen, dass der Dienstgeber unmittelbar vor der Familienzeit derselbe wie unmittelbar nach der Familienzeit sein müsse. Es schade daher nicht, dass der Kläger den Dienstgeber gewechselt habe.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Teil des Begriffs „unterbrechen“ sei, dass das, was vor der Unterbrechung ausgeführt worden sei, danach weitergeführt werde. Der Verweis des § 2 Abs 4 FamZeitbG auf § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG könne zwar durchaus in dem Sinn verstanden werden, dass damit die tatsächliche Ausübung (irgend‑)einer „in Österreich kranken‑ und pensionsversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit“ gemeint sei. Dagegen spreche allerdings das unmittelbar nachfolgende Definitionskriterium, wonach „keine andere Erwerbstätigkeit ausgeübt“ werde. Es könnte nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber den Begriff „Erwerbstätigkeit“ jeweils unterschiedliche Bedeutungen beimesse. Einen Regelungsinhalt habe der Ausschlussgrund einer „anderen Erwerbstätigkeit“ nur dann, wenn sich der Begriff der „Erwerbstätigkeit“ jeweils auf die konkret ausgeübte Erwerbstätigkeit bzw – wenn mehrere nebeneinander ausgeübt werden – auf die konkret ausgeübten Erwerbstätigkeiten beziehe. Hinter dieser Regelung stehe offenkundig die Intention des Gesetzgebers, als Familienzeit nur einen Zeitraum zu qualifizieren, in dem sich der Vater „ausschließlich seiner Familie widmet“, und eine intentionale Verknüpfung mit den vier weiters genannten Umständen zu fordern. Sei auch nur einer dieser Umstände nicht erfüllt, liege schon grundsätzlich nahe, dass sich der Vater nicht ausschließlich seiner Familie widme, sondern dem Einkommenserwerb, der (Vorbereitung der) Suche nach einer neuen Erwerbsmöglichkeit oder seiner Genesung. Insgesamt liege daher eine Familienzeit im Sinne des § 2 Abs 4 FamZeitbG nur dann vor, wenn die (konkret) zuvor ausgeübte Erwerbstätigkeit nach der Familienzeit wieder aufgenommen werde.

[7] Das Berufungsgericht ließ die Revision mangels Vorliegens höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu dieser Frage zu.

[8] In der Revision beantragt der Kläger die Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts im Sinn der Gewährung des Familienzeitbonus im Zeitraum 1. September 2022 bis 30. September 2022 in Höhe von 23,91 EUR täglich; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] In der Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte,der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und im Sinne eines Zuspruchs des Familienzeitbonus in Höhe von 22,60 EUR täglich auch berechtigt.

[11] 1.1. Voraussetzungen für einen Anspruch auf den Familienzeitbonus sind unter anderem, dass sich der Vater im gesamten Anspruchszeitraum in Familienzeit befindet (§ 2 Abs 1 Z 3 FamZeitbG) und er in den letzten 182 Tagen unmittelbar vor Bezugsbeginn durchgehend eine in Österreich kranken‑ und pensionsversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit tatsächlich ausgeübt sowie in diesem Zeitraum keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten hat, wobei sich Unterbrechungen von insgesamt nicht mehr als 14 Tagen nicht anspruchsschädigend auswirken (§ 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG).

[12] 1.2. Als Familienzeit definiert das Gesetz den Zeitraum zwischen 28 und 31 Tagen, in dem sich ein Vater aufgrund der kürzlich erfolgten Geburt seines Kindes ausschließlich seiner Familie widmet und dazu die Erwerbstätigkeit (Abs 1 Z 5) unterbricht, keine andere Erwerbstätigkeit ausübt, keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sowie keine Entgeltfortzahlung aufgrund von oder Leistungen bei Krankheit erhält (§ 2 Abs 4 FamZeitbG).

[13] 2. Nach dem Gesetz kommt im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit somit zwei Zeiträumen Bedeutung zu, und zwar einerseits der Zeit (von in der Regel 182 Tagen) unmittelbar vor (beabsichtigtem) Bezugsbeginn und andererseits der Zeit danach, nämlich dem Anspruchszeitraum, in dem sich der Vater in Familienzeit befinden muss.

[14] 2.1. Der Anspruch auf Familienzeitbonus hängt zunächst davon ab, dass im erstgenannten Zeitraum eine „Erwerbstätigkeit“ ausgeübt wurde, wobei nach § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG nur eine in Österreich kranken‑ und pensionsversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ausreicht. Der Begriff der „Erwerbstätigkeit“ ist nach den Gesetzesmaterialien im Sinn des § 24 Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 erster Satz KBGG zu verstehen (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP  2). Nach der Rechtsprechung muss daher erstens eine – selbständige oder unselbständige – Erwerbstätigkeit ausgeübt und durch diese Erwerbstätigkeit zweitens die Pflichtversicherung in der Kranken‑ und Pensionsversicherung begründet worden sein (RS0128183 [T6]). Dass diese Erwerbstätigkeit durchgehend bei demselben Dienstgeber ausgeübt worden sein musste, lässt sich der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs allerdings nicht entnehmen. Auch in der Literatur wird vielmehr die Ansicht vertreten, es sei irrelevant, ob es sich um „ein und dieselbe Erwerbstätigkeit“ handle oder ob man in mehreren „Jobs“ (hintereinander) erwerbstätig gewesen sei (Holzmann‑Windhofer in Holzmann‑Windhofer/Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz2 [2022] § 24 KBGG 185; der dort enthaltene Hinweis, wonach sich aus der Entscheidung 10 ObS 76/13v ergebe, dass es sich um eine einzige, durchgehende Erwerbstätigkeit handeln müsse, ist insofern missverständlich, als es dort nicht um den Wechsel eines Dienstgebers ging).

[15] 2.2. Zusätzlich muss sich der Vater im Anspruchszeitraum in „Familienzeit“ befinden. Aufgrund ihrer Definition in § 2 Abs 4 FamZeitbG muss der Vater während dieser Zeit – neben den weiteren im Gesetz genannten, für den Begriff der Erwerbstätigkeit nicht relevanten Tatbestandsvoraussetzungen – „die Erwerbstätigkeit“ unterbrechen und er darf auch keine „andere Erwerbstätigkeit“ ausüben.

[16] 2.2.1. Bei der unterbrochenen „Erwerbstätigkeit“ muss es sich wegen des Verweises auf § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG um eine solche handeln, deren Ausübung den Anspruch auf den Familienzeitbonus begründete (oben ErwGr 2.1.). In der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass die (zuvor ausgeübte) Erwerbstätigkeit nicht unverzüglich oder zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder aufgenommen werden muss (10 ObS 157/21t Rz 26, 33). Im vorliegenden Fall wurde aber ohnedies eine Erwerbstätigkeit unmittelbar nach Ende des Anspruchszeitraums ausgeübt, sodass auf die Frage, ob überhaupt die Fortführung der Erwerbstätigkeit nach Ende des Anspruchszeitraums erforderlich ist, nicht eingegangen werden muss.

[17] Wenn aber schon während des Beobachtungszeitraums unmittelbar vor Bezugsbeginn die Erwerbstätigkeit an sich – unabhängig davon, ob sie im Rahmen mehrerer, aufeinander folgender Dienstverhältnisse mit unterschiedlichen Dienstgebern ausgeübt wurde – zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung der Ausübung einer „Erwerbstätigkeit“ § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG hinreicht, ist kein Grund dafür ersichtlich, eine Weiterführung der Erwerbstätigkeit bei einem anderen Dienstgeber als anspruchsschädlich zu beurteilen. Anhaltspunkte dafür, dass die Weiterführung der zuvor (wenn auch bei mehreren Dienstgebern hintereinander) ausgeübten Erwerbstätigkeit nach dem Anspruchszeitraum bei einem anderen Dienstgeber nicht als Familienzeit anzusehen ist, lassen sich dem Gesetz nicht entnehmen (Sonntag in Sonntag, KBGG4 § 2 FamZeitbG Rz 18b; Schrattbauer, Drei Jahre Familienzeitbonus – kritische Revision einer noch jungen Familienleistung, JAS 2020, 244 [257 f]; Burger‑Ehrnhofer, Anmerkung zu OGH 10 ObS 10/19x, EvBl 2019/90, 606 [608]; im Ergebnis ebenso Reissner, Der „Papamonat“ aus sozialrechtlicher Sicht, ASoK 2019, 402 [410]).

[18] 2.2.2. Solche Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus dem weiteren Tatbestandsmerkmal, wonach – neben der Unterbrechung der kranken‑ und pensionsversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit – während der Familienzeit auch keine „andere Erwerbstätigkeit“ ausgeübt werden darf. Damit ist nicht die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu einem „anderen“ Dienstgeber gemeint, sondern es soll erreicht werden, dass sich während des Anspruchszeitraums auch die Ausübung einer „anderen“ als kranken‑ und pensionsversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit, also einer geringfügigen Beschäftigung oder einer solchen unter der Versicherungsgrenze anspruchsschädlich auswirkt (Holzmann‑Windhofer/Kuranda in Holzmann‑Windhofer/ Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz2 [2022] § 2 FamZeitbG 350). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist dieses Tatbestandsmerkmal bei diesem Verständnis daher auch nicht inhaltsleer. Der vom Berufungsgericht weiters herangezogene Grundsatz, wonach im Zweifel davon auszugehen sei, dass ein im Gesetz mehrmals verwendeter Ausdruck dasselbe bedeute (RS0008797), ist hier aufgrund der ausdrücklichen Regelung nicht tragfähig.

[19] 2.2.3. Außerdem spricht auch der Zweck der Regelung dafür, die Weiterführung der Erwerbstätigkeit bei einem anderen Dienstgeber nach dem Anspruchszeitraum nicht als anspruchsschädlich anzusehen.

[20] Dieser Zweck liegt nach den Gesetzesmaterialien darin, erwerbstätige Väter, die sich direkt nach der Geburt ihres Kindes intensiv und ausschließlich der Familie widmen, finanziell zu unterstützen, weil die Familiengründungszeit wichtig ist, damit das Neugeborene rasch eine sehr enge emotionale Bindung (auch) zum Vater aufbauen, dieser seine unter den Auswirkungen der gerade erfolgten Geburt stehende Partnerin bei der Pflege und Betreuung des Säuglings, bei den Behördenwegen, bei Haushaltsarbeiten etc bestmöglich unterstützen kann, und um den Zusammenhalt in der Familie von Anfang an zu stärken (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP  1).

[21] Dieser Zweck kann völlig unabhängig davon erreicht werden, zu welchem Dienstgeber ein Dienstverhältnis während des Beobachtungszeitraums vor Bezugsbeginn bestand und mit welchem Dienstgeber ein Dienstverhältnis nach Ende des Anspruchszeitraums weitergeführt wird.

[22] 2.2.4. Schließlich sind auch unionsrechtliche Vorgaben zu beachten:

[23] Die Richtlinie (EU) 2019/1158 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU des Rates (idF RL 2019/1158 ) wurde am 12. Juli 2019 im Amtsblatt veröffentlicht (ABl L 188/79) und trat gemäß ihrem Art 21 am zwanzigsten Tag nach dieser Veröffentlichung, daher am 1. August 2019 in Kraft. Sie ist gemäß ihrem Art 20 Abs 1 bis 22. August 2022 von den Mitgliedstaaten umzusetzen. Der hier gegenständliche Anspruchszeitraum liegt daher zur Gänze nach Ablauf der Umsetzungsfrist (zur unionsrechtskonformen Auslegung bereits vor diesem Zeitpunkt vgl überdies 10 ObS 161/21f Rz 33).

[24] Die vom Kläger mit seinem Dienstgeber vereinbarte Familienzeit entspricht zweifellos einem „Vaterschaftsurlaub“ im Sinn des Art 3 Abs 1 lit a RL 2019/1158 , auf den Väter (und nach nationalem Recht gleichgestellte zweite Elternteile) gemäß Art 4 Abs 1 RL 2019/1158 einen Anspruch haben. Nach Art 8 Abs 1 RL 2019/1158 stellen die Mitgliedsstaaten im Einklang mit den nationalen Gegebenheiten, wie dem nationalen Recht, Kollektiv‑ bzw Tarifverträgen oder Gepflogenheiten und unter Berücksichtigung der den Sozialpartnern übertragenen Befugnisse überdies sicher, dass Arbeitnehmer, die ihr Recht auf Urlaub gemäß Art 4 Abs 1 in Anspruch nehmen, eine Bezahlung oder Vergütung erhalten. Diese Bezahlung oder Vergütung ist bei Vaterschaftsurlaub in einer Höhe zu entrichten, die mindestens der Höhe der Bezahlung oder Vergütung entspricht, die der betreffende Arbeitnehmer vorbehaltlich der im nationalen Recht festgelegten Obergrenzen im Fall einer Unterbrechung seiner Tätigkeit aus Gründen im Zusammenhang mit seinem Gesundheitszustand erhalten würde (Art 8 Abs 2 erster Satz RL 2019/1158 ). Die Mitgliedstaaten können den Anspruch auf eine Bezahlung oder Vergütung von einer vorherigen Beschäftigungsdauer abhängig machen, die jedoch maximal sechs Monate unmittelbar vor dem errechneten Geburtstermin des Kindes betragen darf (Art 8 Abs 2 Satz 2 RL 2019/1158 ).

[25] Abgesehen davon, dass die unionsrechtlich vorgesehene Vergütung in Höhe des Krankengeldes mit dem Satz von täglich 22,60 EUR (bzw ab 1. Jänner 2023: 23,91 EUR) für den Familienzeitbonus nicht in jedem Fall erreicht (10 ObS 161/21f Rz 36; Burger‑Ehrnhofer/ Schrittwieser/Bauer, MSchG und VKG § 1a VKG Rz 3 und 31) und auch die vorherige Beschäftigungsdauer nach der Richtlinie anders als in § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG normiert berechnet (Reissner, ASoK 2019, 404) wird, lässt sich der Richtlinie ein Erfordernis einer dem Vaterschaftsurlaub nachfolgenden Beschäftigung – mit welchem Dienstgeber auch immer – jedenfalls nicht entnehmen. Ein solches Erfordernis wäre auch nur bedingt mit dem Zweck der Richtlinie vereinbar, eine gleichmäßigere Aufteilung von Betreuungs- und Pflegeaufgaben zwischen Frauen und Männern zu fördern und den frühzeitigen Aufbau einer engen Bindung zwischen Vätern und Kindern zu ermöglichen (Erwägungsgrund 19) sowie die Inanspruchnahme des Vaterschaftsurlaubs für Männer attraktiver zu machen (Erwägungsgrund 29 f).

[26] Da innerstaatliche Gerichte und Behörden die inhaltlich von einer Richtlinie berührten innerstaatlichen Normen so weit wie möglich im Einklang mit der Richtlinie (richtlinienkonform) auszulegen haben (RS0075866; RS0111214 [T1]), spricht auch dies dagegen, die Fortsetzung der Erwerbstätigkeit nach dem beabsichtigten Anspruchszeitraum bei einem anderen Dienstgeber als anspruchsschädlich anzusehen.

[27] 3. Die Beklagte weist in der Revisionsbeantwortung an sich zutreffend auf die Gesetzesmaterialien hin, wonach es nicht möglich sein soll, „eine andere als die unterbrochene Erwerbstätigkeit auszuüben, also zB eine neue Erwerbstätigkeit zu beginnen“ (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP  2). Die Materialien suggerieren also, dass der Wechsel des Dienstgebers nach dem Ende des Anspruchszeitraums anspruchsschädlich sein soll. Abgesehen davon, dass die Materialien die (später geschaffenen) unionsrechtlichen Vorgaben noch nicht berücksichtigen konnten und schon deswegen nicht gegen eine unionsrechtskonforme Auslegung ins Treffen geführt werden können, ist die in den Materialien genannte Einschränkung dem Gesetz nicht zu entnehmen (Sonntag in Sonntag, KBGG4 § 2 FamZeitbG Rz 18b; Schrattbauer, JAS 2020, 257 f; Burger‑Ehrnhofer, ÖJZ 2019, 608). Da die Gesetzesmaterialien weder das Gesetz selbst sind noch dieses authentisch interpretieren, kann ein Rechtssatz, der ausschließlich in den Gesetzesmaterialien steht, auch nicht im Weg der Auslegung Geltung erlangen (RS0008799 [T3]).

[28] 4. Zusammenfassend ergibt sich:

[29] Eine Fortsetzung der unselbständigen Erwerbstätigkeit mit einem neuen Dienstgeber im Anschluss an die beabsichtigte Anspruchsdauer steht dem Anspruch auf Familienzeitbonus nicht entgegen.

[30] 5.1. Da andere Hindernisse gegen den geltend gemachten Anspruch nicht ersichtlich sind und von der Beklagten auch nicht ins Treffen geführt werden, besteht der Anspruch im gegenständlichen Zeitraum zu Recht. Die vom Kläger in der Revision begehrte Höhe des Familienzeitbons von 23,91 EUR täglich gebührt allerdings für das Kalenderjahr 2023 (§ 3 Abs 2 FamZeitbG iVm § 3 FamValVO 2023). Dem klagegegenständlichen Anspruchszeitraum ist daher der für das Kalenderjahr 2022 geltende und im bisherigen Verfahren gegenständliche Betrag von 22,60 EUR täglich zugrunde zu legen.

[31] 5.2. Der Revision ist daher teilweise Folge zu geben und dem Kläger nur der Betrag von 22,60 EUR täglich zuzusprechen. Das erstmals in der Revision erhobene Begehren nach einem höheren Betrag würde schon dem im Revisionsverfahren geltenden Neuerungsverbot (§ 482 Abs 1 iVm § 513 ZPO) widersprechen.

[32] 5.3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a iVm Abs 2 ASGG.

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