OGH 10ObS88/21w

OGH10ObS88/21w22.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei V*****, Tschechische Republik, vertreten durch Dr. Ernst Summerer, Rechtsanwalt in Retz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, vertreten durch Dr. Eva-Maria Bachmann-Lang und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 22. Februar 2021, GZ 10 Rs 98/20 k‑34, mit dem über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 24. Juni 2020, GZ 14 Cgs 83/18z‑28, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00088.21W.0622.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei einen Kostenbeitrag zu den Kosten des Revisionsverfahrens in Höhe von 209,39 EUR (darin 34,90 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu leisten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld von täglich 33,88 EUR für den Zeitraum von 27. 8. 2017 bis 31. 12. 2017.

[2] Die Klägerin und ihr Ehemann sind die Eltern des am 27. 8. 2017 geborenen Sohnes M*****. Die Klägerin und das Kind sind am selben Wohnsitz in der Tschechischen Republik (O***** *****) hauptwohnsitzlich gemeldet. Tatsächlich leben sie in einer Mietwohnung an der Adresse V*****straße ***** in ***** Z***** (ebenfalls Tschechische Republik). Der Ehemann der Klägerin pendelt von Montag bis Donnerstag zwischen seinem Wohnsitz in der Tschechischen Republik und seiner Arbeitsstätte in Österreich. Er übernachtet jedoch stets in der Ehewohnung in der Tschechischen Republik und hält sich auch an den Wochenenden regelmäßig dort auf. Er ist an der Adresse seiner Betriebsstätte in Österreich hauptwohnsitzlich gemeldet. Im Zeitraum von August bis Dezember 2017 bezog der Ehegatte der Klägerin die Familienbeihilfe für das Kind M*****, seit Jänner 2018 wird die Familienbeihilfe von der Klägerin bezogen.

[3] Mit Bescheid vom 7. 5. 2018 wies die Beklagte (nun: Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen) den Antrag der Klägerin vom 13. 9. 2017 auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum von 27. 8. 2017 bis 31. 12. 2017 mit der Begründung ab, mangels eines gemeinsamen Wohnsitzes der Klägerin und ihres Ehemannes sei § 2 Abs 8 KBGG über getrennt lebende Eltern anzuwenden. Demnach bestehe kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, weil die Familienbeihilfe in diesem Zeitraum nicht von der Klägerin bezogen worden sei.

[4] In ihrer dagegen erhobenen Klage brachte die Klägerin zusammengefasst vor, ihr Ehemann und sie lebten nicht getrennt, sondern gemeinsam mit dem Kind an der Adresse V*****straße ***** in Z*****, Tschechische Republik. Es sei ihr aber nicht möglich gewesen, an dieser Adresse eine Hauptwohnsitzmeldung vorzunehmen, weil sie dort in einer Mietwohnung lebe, die nicht zu einer hauptwohnsitzlichen Meldung berechtige.

[5] Die Beklagte brachte vor, das Kind sei an der Adresse der hauptwohnsitzlichen Meldung des Ehemanns der Klägerin in Österreich hauptwohnsitzlich gemeldet worden; dieser habe auch die Familienbeihilfe bezogen. Es sei daher davon auszugehen, dass sich das Kind dort aufgehalten habe.

[6] Im ersten Rechtsgang hob der Oberste Gerichtshof zu 10 ObS 45/19v (SSV‑NF 33/44) die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück, weil der Einwand der Klägerin, eine „hauptwohnsitzliche Meldung“ am tatsächlichen Wohnort gemäß § 2 Abs 6 KBGG (in der anzuwendenden Fassung BGBl I 2016/53) sei ihr nach tschechischem Recht nicht möglich gewesen, mangels Feststellungen zur Rechtslage in Tschechien nicht beurteilt werden konnte. Als wesentliche Begründung wurde ausgeführt, dass es dann, wenn eine aus der VO (EG) 883/2004 abgeleitete Verpflichtung Österreichs zum Export von Kinderbetreuungsgeld in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu prüfen sei, für das Erfordernis der „hauptwohnsitzlichen Meldung“ nach § 2 Abs 6 KBGG darauf ankomme, ob im jeweiligen Mitgliedstaat ein dem österreichischen Melderecht vergleichbares System existiere, das eine im Hinblick auf den Zweck des § 2 Abs 6 KBGG mit dem österreichischen Melderecht vergleichbare „hauptwohnsitzliche Meldung“ ermögliche. Sei dies der Fall, sei die Vornahme einer hauptwohnsitzlichen Meldung entsprechend der Ausgestaltung des jeweiligen Systems Voraussetzung für den Bezug des Kinderbetreuungsgeldes. Bestehe hingegen im Wohnsitzmitgliedstaat kein dem österreichischen Melderecht vergleichbares System, so habe die Anspruchsvoraussetzung der gemeinsamen „hauptwohnsitzlichen Meldung“ nach § 2 Abs 6 KBGG im Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 unangewendet zu bleiben.

[7] Zur Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidung 10 ObS 45/19v (SSV‑NF 33/44) verwiesen.

[8] Im zweiten Rechtsgang brachte die Klägerin ergänzend vor, nach tschechischem Recht sei für die Meldung des Hauptwohnsitzes in einer Mietwohnung die Zustimmung des Vermieters erforderlich, die dieser nicht erteilt habe.

[9] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte ergänzend fest, dass seit dem Jahr 2014 (die auf die Rechtslage davor bezogene Beweisrüge blieb im Berufungsverfahren unerledigt) für die „Meldung als ständiger Wohnsitz“ nach tschechischem Recht eine Zustimmung des Vermieters nicht erforderlich sei. Es traf folgende Feststellungen zur tschechischen Rechtslage:

„Das Institut des ständigen Wohnsitzes, welchen die Bürger angeben, ist im Gesetz Nr. 133/2000 über die Erfassung der Einwohner und der Geburtsidentifikationsnummern sowie über Änderung bestimmter Gesetze (Gesetz über die Erfassung der Einwohner) in der jeweils gültigen Fassung, geregelt. Die derzeitige gesetzliche Regelung geht vom Recht des Bürgers auf einen ständigen Wohnsitz in der Tschechischen Republik aus und im Einklang damit gilt, dass bei jeder Person, die mit ständigem Wohnsitz auf dem Gebiet der Tschechischen Republik gemeldet ist, die Meldung des ständigen Wohnsitzes so lange gilt, bis sie diese selbst, aus eigenem Willen, beendet hat.

Das Gesetz über die Erfassung der Einwohner verpflichtet den Bürger nicht, sich am Ort seines ständigen Wohnsitzes aufzuhalten, noch den ständigen Wohnsitz an dem Ort zu melden, an welchem er faktisch wohnt. Die Angabe der Adresse des ständigen Wohnsitzes hat nur einen Erfassungscharakter und gemäß den Bestimmungen des § 10 Abs. 2 des Gesetzes über die Erfassung der Einwohner ergeben sich aus der Meldung des ständigen Wohnsitzes eines Bürgers keine Rechte an dem Objekt oder in Bezug auf den Eigentümer der Immobilie.

Die tschechische Rechtsordnung sieht im Gesetz über die Erfassung der Einwohner kein Institut der 'Meldung des Hauptwohnsitzes' oder der 'Meldung eines Nebenwohnsitzes' vor. Der Bürger ist nicht verpflichtet, den ständigen Wohnsitz an dem Ort zu melden, an welchem er faktisch wohnt, noch besteht eine Verpflichtung, sich am Ort des ständigen Wohnsitzes aufzuhalten. Der Bürger hat das Recht, an mehreren Orten aufhältig zu sein, er kann jedoch nur an einem Ort einen ständigen Wohnsitz haben, diese Angabe wird dann im Agenda-Informationssystem der Einwohnererfassung geführt – damit wird dem Institut des ständigen Wohnsitzes Erfassungscharakter gegeben.

Um den ständigen Wohnsitz eines Bürgers zu ändern und die Daten über die Änderung des ständigen Wohnsitzes in die Einwohnererfassung aufzunehmen, müssen die folgenden Bedingungen erfüllt sein:

a) Der Bürger kommt zur Meldestelle am Ort des neuen ständigen Wohnsitzes, wo er verpflichtet ist, ein Anmeldeformular über den ständigen Wohnsitz auszufüllen und zu unterzeichnen; der Bürger erhält das Formular direkt bei der Meldestelle.

b) Der Bürger weist seine Identität mittels eines Personalausweises nach oder, falls er keinen gültigen Personalausweis hat, durch ein anderes ähnliches Dokument, welches eine öffentliche Urkunde darstellt.

c) Der Bürger ist verpflichtet, Dokumente vorzulegen, auf deren Grundlage eine Änderung der Adresse des ständigen Wohnsitzes durchzuführen, möglich ist:

(a) das Eigentum an der Wohnung oder dem Haus nachzuweisen, oder

(b) die Berechtigung für die Nutzung der Wohnung (Vertrag über die Nutzung der Wohnung) nachzuweisen oder

(c) eine offiziell beglaubigte schriftliche Bestätigung der berechtigten Person vorzulegen über die Zustimmung zur Meldung einer Änderung des Ortes des ständigen Wohnsitzes (eine solche Bestätigung ist in dem Fall nicht erforderlich, wenn die berechtigte Person die Zustimmung zur Begründung eines ständigen Wohnsitzes auf dem Anmeldeformular vor dem Mitarbeiter der Meldestelle bestätigt).

Als berechtigte Person gilt eine Person älter als 18 Jahre, mündig, welche berechtigt ist, das Objekt oder einen definierten Teil davon (z. B. eine Wohnung oder einen bewohnbaren Raum) zu nutzen oder der Betreiber der Unterkunftseinrichtung ist, in welcher der Bürger seinen ständigen Wohnsitz meldet.

Ein Bürger, der älter als 15 Jahre ist, hat eine Verwaltungsgebühr von 50 CZK zu begleichen, eine Person unter 15 Jahren ist von der Verwaltungsgebühr befreit.

Die Zustimmung des Eigentümers ist für die Anmeldung eines ständigen Wohnsitzes nur dann erforderlich, wenn sich die Adresse des ständigen Wohnsitzes, an welcher sich der Bürger meldet, in einem Objekt oder einem definierten Teil davon befindet, welchen der Eigentümer faktisch verwendet. Zum Beispiel ist keine Zustimmung des Eigentümers erforderlich bei Wohnungen, welche auf Grundlage von Mietverträgen genutzt werden. In diesen Fällen ist die berechtigte Person der Wohnungsmieter.

Der Ort des ständigen Wohnsitzes kann sich nur in einem Objekt befinden, welches gemäß einer besonderen rechtlichen Bestimmung mit einer beschreibenden oder einer Konskriptions- beziehungsweise mit einer Orientierungs-nummer gekennzeichnet ist, und welches zum Wohnen, zur Verwendung als Unterkunft oder für die individuelle Erholung bestimmt ist.“

[10] Rechtlich folgerte das Erstgericht, im streitgegenständlichen Zeitraum hätte die Klägerin ohne Zustimmung des Vermieters an der tatsächlichen Wohnadresse V*****straße *****, ***** Z*****, für sich und das Kind ihren „ständigen Wohnsitz“ anmelden können.

[11] Das tschechische Gesetz über die Erfassung der Einwohner sei dem österreichischen Melderecht aber nicht ausreichend vergleichbar, weil eine – nach österreichischem Recht bestehende – Meldepflicht und eine korrespondierende Verpflichtung des Unterkunftgebers, den Meldezettel des Unterkunftnehmers zu unterfertigen, fehlten. Eine in Österreich lebende Person könne daher nicht in die Zwangslage der Klägerin geraten, dass sie befürchten müsse, bei einer gegen den Willen des Vermieters vorgenommenen Anmeldung in einer Mietwohnung das Wohlwollen des Vermieters zu verlieren, auf das sie wegen der Befristung des Mietvertrags angewiesen sei. Dass die Klägerin eine nach tschechischem Recht legale Vorgangsweise gewählt habe, sich und das Kind am Wohnsitz ihrer Eltern anzumelden, könne ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden.

[12] Das Berufungsgericht änderte das Urteil über Berufung der Beklagten im klageabweisenden Sinn ab.

[13] Es ließ die Revision zu, weil der Oberste Gerichtshof zur Vergleichbarkeit des tschechischen Systems mit dem österreichischen Melderecht noch nicht Stellung genommen habe und die Frage des Exports des Kinderbetreuungsgeldes im Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 eine Vielzahl von Menschen betreffe.

[14] Entscheidend sei, dass im relevanten Zeitraum nach dem tschechischen Recht eine Meldung (Erfassung) am Ort des tatsächlichen Aufenthalts zwar nicht verpflichtend, aber ohne Zustimmung des Vermieters möglich gewesen sei. Eine solche Meldung wäre auch geeignet gewesen, den Zweck der „hauptwohnsitzlichen Meldung“, die Entlastung des Krankenversicherungsträgers und der Eltern durch die Standardisierung des Nachweises des gemeinsamen Lebensmittelpunkts und des gemeinsamen Haushalts an einer bestimmten Adresse, zu erfüllen. Das Motiv der Klägerin, die „Meldung des ständigen Wohnsitzes“ nicht auf den tatsächlichen Wohnsitz zu ändern, sei nicht zu berücksichtigen; auf die Zumutbarkeit komme es nicht an. Mangels einer übereinstimmenden Wohnsitzmeldung mit dem Kind am tatsächlichen Wohnort habe die Klägerin die Anspruchsvoraussetzung des gemeinsamen Haushalts mit dem Kind im Sinn des § 2 Abs 6 KBGG nicht erfüllt.

[15] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, das erstinstanzliche Urteil wieder herzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[16] Die Revisionswerberin macht zusammengefasst geltend, ihr sei die Wohnsitzmeldung an der Adresse der Mietwohnung nicht zumutbar gewesen, weil sie diesfalls damit rechnen habe müssen, dass der Vermieter ihr Mietverhältnis nicht verlängere. In Tschechien bestehe kein dem österreichischen MeldeG vergleichbares Institut der Meldung eines „Hauptwohnsitzes“, weil keine Verpflichtung zur Meldung am tatsächlichen Aufenthaltsort bestehe. Die Meldung eines „Hauptwohnsitzes“ sei auf tschechischem Staatsgebiet daher unmöglich.

[17] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[18] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[19] 1. Der Oberste Gerichtshof hat in dem im vorliegenden Fall ergangenen Aufhebungsbeschluss bereits klargestellt, dass es für die Anwendung der Anspruchsvoraussetzung der „hauptwohnsitzlichen Meldung“ im Sinn des § 2 Abs 6 KBGG lediglich darauf ankommt, ob im jeweils zu betrachtenden Mitgliedstaat ein dem österreichischen Melderecht vergleichbares System existiert, nach dem einer Person die Meldung oder Registrierung des Hauptwohnsitzes möglich ist (RIS‑Justiz RS0132841), wobei der Begriff des Hauptwohnsitzes im Sinn des § 1 Abs 7 MeldeG zu verstehen ist (10 ObS 45/19v SSV‑NF 33/44; 10 ObS 41/19f).

[20] Nach § 1 Abs 7 MeldeG ist der Hauptwohnsitz eines Menschen an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen. Trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen eines Menschen auf mehrere Wohnsitze zu, so hat er jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem er das überwiegende Naheverhältnis hat.

[21] Hingegen berührt die Frage, ob eine Meldepflicht besteht oder nicht, den Begriff des Hauptwohnsitzes im Sinn des § 1 Abs 7 MeldeG nicht.

[22] Dass der dem Hauptwohnsitz gemäß § 7 Abs 1 MeldeG entsprechende Ort des (tatsächlichen) Mittelpunkts der Lebensinteressen der Revisionswerberin und ihres Kindes am Ort ihrer Mietwohnung in der V*****straße ***** in Z***** liegt, wird in der Revision nicht in Zweifel gezogen. Die Revisionswerberin bestreitet auch nicht, dass ihr an diesem Ort – jedenfalls zum hier relevanten Zeitpunkt ab der Geburt des Kindes am 27. 8. 2017 – eine Erfassung eines „ständigen Wohnsitzes“ möglich gewesen wäre, ohne dass der Vermieter dazu seine Zustimmung hätte erteilen müssen.

[23] Es besteht daher keine rechtliche Grundlage für die Annahme, dass die Revisionswerberin allein aufgrund ihres Wohnsitzes in einem anderen Mitgliedstaat als Österreich (in der Tschechischen Republik) vom Bezug des Kinderbetreuungsgeldes deshalb ausgeschlossen wäre, weil ihr die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 6 KBGG, dass der Elternteil und das Kind in einer dauerhaften Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und beide an dieser Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind, nach tschechischem Recht unmöglich wäre. Dass die Revisionswerberin von der ihr offen stehenden Möglichkeit einer Meldung ihres „ständigen Wohnsitzes“ an jenem Ort, an dem sich der Mittelpunkt ihrer (und des Kindes) Lebensinteressen tatsächlich befanden, abgesehen hat, beruhte vielmehr ausschließlich auf ihrem eigenen, von wirtschaftlichen Erwägungen geleiteten Entschluss.

[24] Daher steht es der vollen Wirksamkeit der VO (EG) 883/2004 auch nicht entgegen, von der Klägerin zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung der „hauptwohnsitzlichen Meldung“ gemäß § 2 Abs 6 KBGG die Meldung des „ständigen Wohnsitzes“ nach dem tschechischen Gesetz Nr 133/2000 über die Erfassung der Einwohner an der Adresse des tatsächlichen Lebensmittelpunktes zu verlangen.

[25] Darauf, ob das nationale tschechische Recht eine Erfassung an dieser Adresse zwingend vorschreibt, kommt es für die hier zu beurteilende Frage der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts (vgl RS0109951 [T3]; RS0075866 [T4]) hingegen nicht an.

[26] Zutreffend kam das Berufungsgericht daher zum Ergebnis, dass von der Voraussetzung der „hauptwohnsitzlichen Meldung“ der Klägerin und ihres Kindes am Ort ihres gemeinsamen Haushalts gemäß § 2 Abs 6 KBGG nicht abzusehen war.

[27] Der Revision der Klägerin ist daher nicht Folge zu geben.

[28] 2. Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof gegen Entscheidungen des Gerichts zweiter Instanz im Kostenpunkt sind ausnahmslos unzulässig (§ 528 Abs 2 Z 3 ZPO; RS0044233 [T36]; RS0044228; RS0053407). Dies gilt auch für eine in einer Revision enthaltene Anfechtung der Kostenentscheidung (RS0053407 [T7]).

[29] 3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Trotz gänzlichen Unterliegens der Klägerin entspricht es der Billigkeit, ihr im Hinblick auf die rechtlichen Schwierigkeiten des Falls und die von ihr dargelegten Einkommensverhältnisse die Hälfte ihrer Kosten des Revisionsverfahrens zuzusprechen (vgl RS0085871).

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