European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00079.16I.0913.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Der 1946 geborene Kläger war in dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen Zeitraum (1. Dezember 2006 bis 30. September 2011) alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter von zwei Gesellschaften mit beschränkter Haftung (im Folgenden: GmbH 1 und GmbH 2).
Die GmbH 1, an der der Kläger mit einem Anteil von 50 % des Stammkapitals beteiligt war, erzielte in den Jahren von 2006 bis 2011 stets Gewinne. Eine Gewinnausschüttung erfolgte nur im Jahr 2011 (121.000 EUR). In dieses Jahr fällt der Beginn des Bezugs der Alterspension des Klägers (ab 1. Oktober 2011). Der Arbeitsaufwand des Klägers in der GmbH 1 hielt sich in Grenzen; er bezog für seine Tätigkeit kein Entgelt.
Die GmbH 2, an der der Kläger mit einem Anteil von 25 % des Stammkapitals beteiligt ist, erzielte in den Jahren 2006 und 2009 Gewinne und erlitt in den Jahren 2007, 2008, 2010 und 2011 Verluste. Die GmbH führt ein Unternehmen mit sechs Mitarbeitern (einschließlich des Klägers). Der Kläger arbeitete als Geschäftsführer immer zumindest im Ausmaß von 20 Stunden pro Woche; er reduzierte das Ausmaß seiner Tätigkeit im Jahr 2006 (mit Beginn des vorschussweisen Bezugs der vorzeitigen Alterspension wegen langer Versicherungsdauer) nicht. Sein Verdienst wurde auf seinen eigenen Wunsch hin im Zeitraum zwischen Antritt der vorzeitigen Alterspension wegen langer Versicherungsdauer und dem erstmaligen Bezug der Alterspension geringer, weil er neben dem Bezug der vorzeitigen Alterspension maximal „geringfügig“ verdienen durfte. Im Hinblick darauf bezog er als Geschäftsführergehalt nur Beträge unter der Geringfügigkeitsgrenze. Ein Fremdgeschäftsführer hätte die Geschäftsführung nicht um ein „geringfügiges“ Gehalt erbracht.
Seit dem 1. Oktober 2011 bezieht der Kläger von der beklagten Partei eine Alterspension in Höhe von 2.123,99 EUR netto und ist weiterhin – in Vollzeit – als alleiniger Geschäftsführer der GmbH 2, nunmehr aber mit einem monatlichen Geschäftsführergehalt von 2.250 EUR netto (14 x jährlich), tätig. Seit 2012 bezieht er auch eine Alterspension von monatlich 28,66 EUR aus Deutschland. Aus Vermietung und Verpachtung hat er (derzeit) Einkünfte von jährlich etwas mehr als 30.952 EUR.
Mit Bescheid vom 18. Juni 2013 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab 1. Dezember 2006 ab und forderte den von 1. Dezember 2006 bis 30. September 2011 (infolge vorläufig gewährter Leistung) entstandenen Überbezug an vorläufig geleisteter Pension in Höhe von 135.396,15 EUR zurück.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab und erkannte den Kläger schuldig, der beklagten Partei 135.396,15 EUR an Überbezug zurückzuzahlen.
Dem Kläger sei der aus der GmbH 1 zustehende Gewinnanteil rechtlich als Einkommen zuzuordnen, weil die Gewinnanteile nur deshalb nicht ausgeschüttet worden seien, um ein pensionsschädliches Einkommen zu vermeiden. Auch die Vereinbarung eines unter der Geringfügigkeitsgrenze liegenden Entgelts für die Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH 2 sei rechtsmissbräuchlich, sodass das fiktive Entgelt eines Fremdgeschäftsführers heranzuziehen sei. Insgesamt habe der Kläger daher im gesamten Zeitraum von 1. Dezember 2006 bis 20. September 2011 ein Einkommen erzielt, das die Geringfügigkeitsgrenze übersteige. Aufgrund des Vorschusscharakters der gewährten Leistung sei der Verjährungseinwand nicht berechtigt und eine Rückforderung für den gesamten Zeitraum möglich.
Das Berufungsgericht setzte nach Vorliegen des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs vom 1. März 2016, AZ G 233/2015‑12, mit dem die Behandlung des auf Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG gestützten Antrags des Revisionswerbers, § 253b Abs 1 Z 4 und Abs 2 ASVG in der zum 1. Dezember 2006 geltenden Fassung wegen des Verstoßes gegen den Gleichheitssatz als verfassungswidrig aufzuheben, abgelehnt wurde, das vorerst unterbrochene Verfahren fort, gab der Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die Revision nicht zu.
Rechtlich führte es aus, einem Geschäftsführer, der auch Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft sei und ohne Anspruch auf ein angemessenes Entgelt eine Tätigkeit für diese Gesellschaft entfalte, sei auch der ihm als Gesellschafter zufließende Gewinn in jenem Umfang als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit zuzurechnen, als er zusammen mit dem (tatsächlich bezogenen) Geschäftsführergehalt einem angemessenen Entgelt für seine Tätigkeit entspreche. Gestaltungskonstruktionen wie die hier vorliegende seien rechtsmissbräuchlich und dürften im Sozialversicherungsrecht nicht zu Lasten der Versichertengemeinschaft gehen. Dasselbe gelte für nicht vorgenommene Gewinnausschüttungen, auf die der Gesellschafter grundsätzlich Anspruch habe. Entscheidend sei in erster Linie die objektive Gewinnerzielungsmöglichkeit und wie der Steuerpflichtige seine auf Gewinn ausgerichtete Tätigkeit tatsächlich gestalte. Ob eine Missbrauchssituation vorliege und die Geltendmachung von Ansprüchen rechtsmissbräuchlich erfolge, sei eine aufgrund des festgestellten Sachverhalts zu beurteilende Rechtsfrage, wobei der Fremdvergleich der rechtlichen Beurteilung zugeordnet werde. Die Ansicht des Erstgerichts, dass das vom Kläger für die Geschäftsführung in der GmbH 1 bezogene Einkommen von 0 EUR einem Fremdvergleich standhalte, sei dahin zu korrigieren, dass ein Fremdgeschäftsführer schon im Hinblick auf die Übernahme der Haftung aus der Geschäftsführung diese Tätigkeiten unzweifelhaft nicht unentgeltlich verrichtet hätte, mag sich auch der tatsächliche Arbeitsaufwand in Grenzen gehalten haben. Welches Entgelt für die Geschäftsführung in der GmbH 1 tatsächlich angemessen gewesen wäre, müsse im Hinblick auf die Höhe der vom Kläger im relevanten Zeitraum für die Geschäftsführung in der GmbH 2 unstrittig bezogenen Entgelte nicht geklärt werden. Bereits ein monatliches Entgelt von 22 EUR für die Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH 1 hätte im gesamten Zeitraum zu einem Überschreiten der jeweils geltenden Geringfügigkeitsgrenze geführt. Dass die 50%ige Mitgesellschafterin an der GmbH 1 der Gewinnausschüttung nicht zugestimmt hätte, habe der Kläger niemals behauptet, noch habe er vorgebracht, für die Thesaurierung der Gewinne hätten triftige Gründe bestanden. Vielmehr sei erstmals wieder im Jahr 2011 – also in jenem Jahr, in dem der Kläger erstmals seine Alterspension bezog – eine Gewinnausschüttung erfolgt. Auch wenn der Bezug von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung für den Anspruch auf eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer unschädlich sei, unterstelle die Anrechnung unterbliebener Gewinnausschüttungen aus einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Gesellschaftszweck die Vermietung und Verpachtung sei, dem § 253b Abs 1 Z 4 ASVG keinen verfassungswidrigen Inhalt. Das Einkommen, das im Wege der Anrechnung angenommen werde, resultiere nicht unmittelbar aus der Vermietung und Verpachtung selbst, sondern aus der Geschäftsführung für eine Gesellschaft (mag deren einziger Geschäftszweck auch in der Vermietung bzw Verpachtung eines einzigen Objekts bestehen). Die Berücksichtigung dieser Einkünfte sei eine Folge der – vom Kläger und seinem Geschäftspartner aus steuerrechtlichen Gründen – gewählten Rechtsform. Demnach sei dem Kläger aus der nicht vorgenommenen Gewinnausschüttung ein Betrag von mindestens 22 EUR monatlich als Einkommen aus der Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH 1 anzurechnen. Zusammen mit dem für die Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH 2 bezogenen Entgelt habe er in den Jahren 2006 bis 2011 ein jeweils über der Geringfügigkeitsgrenze liegendes Entgelt bezogen, weshalb die Anspruchsvoraussetzung des § 253b Abs 1 Z 4 ASVG für den Bezug der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer nicht erfüllt sei.
Trotz Kenntnis der Relevanz der Gewinne der GmbH 1 habe der Kläger am 27. Februar 2007 – also noch vor Gewährung der vorläufigen Leistung – die Frage der beklagten Partei nach einem Gewinn nicht beantwortet und verschwiegen, dass die GmbH 1 im Jahr 2006 einen (maßgeblichen) Gewinn erwirtschaftet habe. Durch dieses Verschweigen habe er den Leistungsbezug zumindest bedingt vorsätzlich herbeigeführt. Aufgrund des bewussten Verschweigens maßgebender Tatsachen vor Zuerkennung der Leistung und der Verletzung der Meldevorschriften während laufender Leistungsauszahlung bestehe daher grundsätzlich das Recht der beklagten Partei zur Rückforderung der zu Unrecht erbrachten Leistungen.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
1. Bereits das Berufungsgericht hat die ständige Rechtsprechung wiedergegeben, wonach bei einem Geschäftsführer, der gleichzeitig Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft ist und der ohne Anspruch auf ein angemessenes Entgelt eine Tätigkeit für eine Gesellschaft entfaltet, auch der Gewinn, der ihm als Gesellschafter zufließt, in jenem Umfang als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit zuzurechnen ist, als er zusammen mit dem Geschäftsführergehalt einem angemessenen Entgelt für seine Tätigkeit entspricht (RIS‑Justiz RS0083793; 10 ObS 330/98x, SSV‑NF 12/154). Dies gilt in gleicher Weise für nicht vorgenommene Gewinnausschüttungen, auf die der Gesellschafter grundsätzlich Anspruch hat. Die Zurechnung wird damit begründet, dass nur auf diese Weise ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten verhindert werden kann (RIS‑Justiz RS0083793 [T1 und T2]).
Grundsätzliches Ziel jeglicher Alterspension aus der Sozialversicherung ist es, Ersatz für verloren gegangenes Erwerbseinkommen zu verschaffen, nicht aber einem Anspruchswerber ein weiteres (zusätzliches) Einkommen zu verschaffen, wenn er sich nicht auch tatsächlich „zur Ruhe“ gesetzt hat (RIS‑Justiz RS0107493).
2. Nach den Feststellungen bezog der Kläger als 50%iger Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der GmbH 1 kein Entgelt und ließ sich überdies auch von 2006 bis 2011 keinen Gewinn ausschütten, wohingegen er im Jahr 2011 (also in jenem Jahr, ab dem er Alterspension bezog) wiederum erstmals an sich und seine Mitgesellschafterin 121.000 EUR an Gewinn auszahlte. Schon daraus ist der vom Berufungsgericht gezogene Schluss einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der gewählten Gestaltungskonstruktion indiziert; jedenfalls ist aber die Beurteilung des Berufungsgerichts, dieses Verhalten halte aufgrund der gegebenen Umstände des vorliegenden Falls einem Fremdvergleich nicht stand, durchaus vertretbar. Nach der zur Verhinderung rechtsmissbräuchlicher Gestaltungsformen entwickelten Rechtsprechung sind die nicht ausgeschütteten Gewinne einer Gesellschaft, die einem Gesellschafter zufließen hätten können, in jenem Umfang (fiktiv) als Einkommen zuzurechnen, in dem sie einem angemessenen Entgelt entsprechen. Eine Reduktion dieses fiktiv angenommenen Geschäftsführergehalts durch die Berücksichtigung bzw Gegenrechnung von Verlusten einer anderen Gesellschaft (hier der GmbH 2) kommt nicht in Betracht.
3. Die Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie 2000/78/EG erstreckt sich lediglich auf ungerechtfertigte Benachteiligungen in der Arbeitswelt. Sie gilt gemäß ihrem Art 3 Abs 3 ausdrücklich nicht für Leistungen jeder Art seitens der staatlichen Systeme oder der damit gleichgestellten Systeme einschließlich der staatlichen Systeme der sozialen Sicherheit oder des sozialen Schutzes. Gesetzliche Systeme der sozialen Sicherheit im Sinne der Verordnung 1408/71/EWG bzw nunmehr der Verordnung 883/2004/EG sind daher nicht erfasst (10 ObS 86/11m, SSV‑NF 25/88 mwN).
4. Das Vorliegen eines Rückforderungsausschlusses kann jeweils nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls beantwortet werden (RIS‑Justiz RS0084420 [T5]).
Die Ansicht des Berufungsgerichts, den Kläger hätte selbst die Pflicht getroffen, auch ohne ausdrückliche Aufforderung alle erforderlichen Tatsachen – und daher auch den bei der GmbH 1 zu erwartenden Gewinn – offenzulegen und die in den weiteren Jahren zu erwartenden bzw anfallenden Gewinne zu melden, weshalb er der beklagten Partei nicht anlasten könne, die erforderlichen Unterlagen zu spät von ihm gefordert zu haben, stellt jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.
5. Da es dem Kläger insgesamt nicht gelingt, in seiner Revision eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, war die Revision zurückzuweisen.
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