OGH 10ObS79/10f

OGH10ObS79/10f1.6.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Georg Eberl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Pia P*****, vertreten durch Mag. Markus Lechner, Rechtsanwalt in Lochau, gegen die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3100 St. Pölten, Kremser Landstraße 3, vertreten durch Nusterer & Mayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen 200 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. April 2010, GZ 8 Rs 32/10z-11, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die bei der beklagten Partei versicherte Klägerin unterzog sich am 29. 6. 2009 in der Ordination der Fachärztin für Radiologie Dr. Helga R***** in M***** einer Computertomographie. Diese Untersuchung der Klägerin war medizinisch notwendig und zweckmäßig. Sie wurde mit einem Großgerät im Sinne des Großgeräteplans (vgl § 338 Abs 2a ASVG) durchgeführt. Der Computertomograph der Fachärztin Dr. R***** ist nicht in den Großgeräteplan aufgenommen. Dr. R***** ist keine Vertragsärztin der beklagten Partei (Wahlärztin). Die Klägerin hat die Kosten für diese Untersuchung in Höhe von 200 EUR selbst bezahlt.

Mit Bescheid vom 5. 8. 2009 wies die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Kostenerstattung für die am 29. 6. 2009 durchgeführte Computertomographie ab.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Es gelangte in rechtlicher Hinsicht - zusammengefasst - zu dem Ergebnis, dass ein Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Krankenversicherungsträger aufgrund wahlärztlicher Hilfe dann nicht in Betracht komme, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Leistungserbringung im Interesse eines Großgeräteplans auf gewisse Vertragseinrichtungen eingeschränkt sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge und schloss sich im Wesentlichen der Rechtsansicht des Erstgerichts an. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf die bereits vorliegende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in vergleichbaren Fällen nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Revisionswerberin macht im Wesentlichen geltend, es liege keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Kostenerstattung bei Inanspruchnahme von nicht in den Großgeräteplan aufgenommenen Großgeräten von Wahlärzten vor. Die bisherige Judikatur stütze sich auf entsprechende Regelungen für Vertragsärzte. Der Kostenerstattungsanspruch einer Versicherten sei in § 131 ASVG und in der Satzung der beklagten Partei geregelt. Weder der Bestimmung des § 131 ASVG noch der Satzung der beklagten Partei könne eine Beschränkung des Kostenerstattungsanspruchs der Versicherten gegenüber dem Sozialversicherungsträger bei Inanspruchnahme eines nicht in den Großgeräteplan aufgenommenen Großgeräts eines Wahlarztes entnommen werden. Die Versicherte habe ein Recht auf freie Arztwahl. Die Revisionswerberin habe ein besonderes Vertrauensverhältnis zu ihrer als Fachärztin für Radiologie tätigen Schwester. Im Übrigen stehe für den Patienten auch bei einem Facharzt für Radiologie nicht die technische Ausstattung des Geräts, sondern das Vertrauen auf eine richtige Diagnose- und Befunderstellung im Vordergrund. Damit komme auch in diesem Bereich dem Recht auf freie Arztwahl eine ausschlaggebende Bedeutung zu.

Diesen Ausführungen ist die ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl 10 ObS 403/98g = SSV-NF 13/31 = ZAS 2000/5, 52 [Zwerenz] = DRdA 2000/16, 156 [Kiesl]; 10 ObS 365/98v = SSV-NF 13/58 = DRdA 2000/31, 296 [Schrammel]; 10 ObS 6/99a; 10 ObS 102/99v; RIS-Justiz RS0111711) entgegenzuhalten, wonach ein Kostenerstattungsanspruch der Versicherten gegenüber dem Krankenversicherungsträger für die ärztliche Hilfe durch einen Wahlarzt dann nicht in Betracht kommt, wenn die Leistungserbringung im Interesse von medizinischen Schwerpunktbildungen oder eines Großgeräteplans auf (gewisse) Vertragsärzte bzw Vertragseinrichtungen eingeschränkt wird. Diese Rechtsansicht wurde vor allem damit begründet, dass sich gemäß § 338 Abs 2a ASVG die Versicherungsträger beim Abschluss von Verträgen nach Abs 1 an einen vom Bund und im Einvernehmen mit den Ländern festzulegenden Großgeräteplan zu halten haben. Verträge, die dem widersprechen, sind ungültig. Eine solche gesamtvertragliche Einschränkung der Verrechenbarkeit ist nach Ansicht des erkennenden Senats grundsätzlich zulässig, weil sie in der Regel berechtigten Interessen beider Vertragsparteien entspricht. Sie dient vorrangig dazu, die flächendeckende medizinische Versorgung im Hinblick auf Qualität und Wirtschaftlichkeit zu steuern. Den verrechnungsberechtigten Ärzten soll damit einerseits die Rentabilität ihrer Anschaffungen gesichert werden und zugleich wird damit andererseits erschwert, dass sich möglichst viele Ärzte möglichst viele Geräte anschaffen, die sich dann rentieren müssen. Weiters wurde darauf hingewiesen, dass die Absicht des Gesetzgebers, teure Großgeräte auf einige wenige Einsatzstellen zu beschränken, unterlaufen werden würde, wenn ein Vertragsarzt, der eine solche Leistung nicht erbringen darf, im Wege der Kostenerstattung als Wahlarzt dennoch in Anspruch genommen werden könnte. Nimmt daher der Versicherte zur MRT-Untersuchung nicht die vom Versicherungsträger dafür ausschließlich vorgesehenen Vertragseinrichtungen in Anspruch, sondern lässt er sie durch einen Wahlarzt vornehmen, so steht ihm kein Anspruch auf Kostenerstattung zu. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin wirkt damit eine gegenüber Vertragsärzten bestehende Beschränkung der Verrechnungsmöglichkeit hinsichtlich der Computertomographie auch gegenüber Wahlärzten, die in keinem Vertragsverhältnis zu dem jeweiligen Versicherungsträger stehen (vgl 10 ObS 6/99a; 10 ObS 102/99v ua). Es kann daher der Versicherte keinen Kostenerstattungsanspruch nach § 131 Abs 1 ASVG haben, wenn er bei einem Wahlarzt eine Leistung in Anspruch nimmt, die der Krankenversicherungsträger dem entsprechenden Vertragsarzt nicht zu honorieren hat.

Die Revisionausführungen bieten keinen Anlass für ein Abgehen von dieser ständigen Rechtsprechung. Es hat daher ein Versicherter für eine Leistung, die er bei einem Wahlarzt in Anspruch nimmt, nur dann einen Kostenerstattungsanspruch gemäß § 131 Abs 1 ASVG, wenn die betreffende Leistung vom Krankenversicherungsträger auch beim „entsprechenden Vertragspartner“ zu honorieren wäre. Darf ein Vertragsfacharzt für Radiologie - wie im vorliegenden Fall - aufgrund gesamtvertraglicher Verrechnungsbeschränkungen eine Computertomographie mit dem Krankenversicherungsträger nicht verrechnen, besteht auch für einen Versicherten, der eine Computertomographie bei einem Wahlfacharzt für Radiologie in Anspruch nimmt, kein Anspruch auf eine Kostenerstattung gemäß § 131 Abs 1 ASVG. Nichts anderes ergibt sich auch aus den maßgebenden Bestimmungen des § 23 der Satzung 2007 der beklagten Partei bzw § 30 Abs 4 der Krankenordnung 2007 der beklagten Partei, die inhaltlich § 23 der Mustersatzung (abgedruckt in Teschner/Widlar/Pöltner, MGA ASVG Anhang A 4) bzw § 30 der Musterkrankenordnung (abgedruckt in Teschner/Widlar/Pöltner aaO Anhang A 25) entsprechen. Nur mit einer solchen Interpretation des § 131 Abs 1 ASVG ist auch sichergestellt, dass die vom Gesetzgeber entweder direkt angeordneten (vgl § 338 Abs 2a ASVG) oder auf Basis des Gesetzes im Gesamtvertrag geregelten Steuerungsmaßnahmen zur Sicherstellung einer flächendeckenden, qualitativ hochwertigen und wirtschaftlichen medizinischen Versorgung durchgängig wirksam werden.

Der Oberste Gerichtshof hat in der bereits zitierten Rechtsprechung ebenfalls darauf hingewiesen, dass solche gesamtvertraglichen Verrechnungsbeschränkungen auch nicht das Recht des Versicherten auf freie Arztwahl verletzen. Der „Grundsatz der freien Arztwahl“ ist auch nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs kein Verfassungsgrundsatz. Er ist vielmehr der einfachgesetzlichen Ausgestaltung vorbehalten und kann insoweit auch eingeschränkt werden, sofern die Einschränkung nicht ihrerseits verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Eine Beschränkung des Grundsatzes der freien Arztwahl liegt auch insofern nicht vor, als der krankenversicherte Patient nicht vom Sozialversicherungsträger einem bestimmten Arzt zugewiesen wird, sondern seinen Vertrauensarzt unter mehreren Vertragsärzten, allenfalls auch unter Wahlärzten weiterhin frei wählen kann. Der Umstand, dass die Bereitstellung von gesundheitsbezogenen Leistungen primär als Sachleistungen und hier wieder vorrangig durch niedergelassene Vertragsärzte, sodann auch durch Vertragseinrichtungen und eigene Einrichtungen der Sozialversicherungsträger erfolgt, begegnet ebenfalls an sich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl VfSlg 15.787 mwN). Auch die Bestimmung des § 338 Abs 2a ASVG erscheint verfassungsrechtlich völlig unbedenklich, da auf diese Weise dem öffentlichen Interesse an einer ökonomischen und zugleich bestmöglichen medizinischen Versorgung der Bevölkerung in einer sehr effizienten Art und Weise entsprochen wird (vgl Resch, Verbot von Behandlungen im Gesamtvertrag, SozSi 2002, 515 ff [518]). Der Grundsatz der freien Arztwahl ist jedenfalls dann nicht unzulässig eingeschränkt, wenn - wie bei gesamtvertraglichen Verrechnungsbeschränkungen - der Versicherte die Möglichkeit hat, entweder die betreffende Leistung als Sachleistung bei den zur Verrechnung befugten Vertragsärzten bzw Vertragseinrichtungen in Anspruch zu nehmen oder die Leistung - mit Kostenerstattungsanspruch - von Wahlärzten durchführen zu lassen, die den verrechnungsbefugten Vertragsärzten entsprechen. Lediglich als weiteres Argument dafür, dass der Grundsatz der freien Arztwahl bei derartigen Konstellationen nicht verletzt wird, hat der Oberste Gerichtshof auch darauf hingewiesen, dass bei Untersuchungen durch ein Großgerät, dessen Befund ohnehin ein anderer Arzt interpretiert, nicht das besondere Vertrauensverhältnis zur Persönlichkeit eines bestimmten Arztes, sondern technisch-wirtschaftliche Gesichtspunkte im Vordergrund stehen (vgl 10 ObS 365/98v = SSV-NF 13/58 = DRdA 2000/31, 296 [Schrammel], 10 ObS 6/99a ua). Selbst wenn man mit den Ausführungen der Revisionswerberin davon ausgeht, dass auch beim Facharzt für Radiologie die ärztliche Tätigkeit der Diagnose- und Befunderstellung im Vordergrund steht, wäre dadurch für ihren Prozessstandpunkt im Ergebnis nichts gewonnen, weil auch in diesem Fall, wie bereits ausgeführt, der Ausschluss von Kostenerstattungen für Leistungen mit Großgeräten, die nicht in den Großgeräteplänen enthalten sind, keine unzulässige Einschränkung des Grundsatzes der freien Arztwahl darstellen würde. Die von der Revisionswerberin in diesem Zusammenhang auch geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Verfahrens (unterlassene Einholung des Sachverständigengutachtens zum wesentlichen Tätigkeitsbereich eines Facharztes für Radiologie) liegt daher ebenfalls nicht vor.

Da sich die Vorinstanzen bei ihrer Entscheidung somit auf eine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs stützen konnten, war die außerordentliche Revision mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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