OGH 10ObS51/15w

OGH10ObS51/15w30.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle und ADir. Sabine Duminger (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Dr. Wilhelm Klade, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversichungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84‑86, 1051 Wien, wegen Alterspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 12. März 2015, GZ 6 Rs 10/15k‑22, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00051.15W.0630.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Der am 4. 3. 1941 geborene Kläger stellte einen mit 28. 12. 2009 datierten Antrag auf Gewährung der Alterspension im gesetzlichen Ausmaß. Dieser langte am 17. 7. 2013 bei der beklagten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft ein. Zuvor hatte er keinen solchen Antrag gestellt.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 29. 11. 2013 wurde sein Anspruch auf Alterspension ab 1. 8. 2013 anerkannt.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Zuerkennung der Alterspension auch für den Zeitraum 1. 1. 2010 bis 31. 7. 2013 im Wesentlichen mit dem Vorbringen, bereits im Dezember 2009 einen Antrag auf Alterspension gestellt zu haben.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und bestritt, dass vom Kläger vor dem 17. 7. 2013 ein Pensionsantrag gestellt wurde.

Das Erstgericht sprach in Wiederholung des durch die Klage außer Kraft getretenen Bescheides aus, dass der Anspruch des Klägers auf Alterspension ab 1. 8. 2013 „anerkannt“ werde, verpflichtete die beklagte Partei ab diesem Zeitpunkt zur Zahlung der Alterspension an den Kläger „in gesetzlicher Höhe“ und wies das Mehrbegehren des Klägers auf Gewährung der Alterspension für die Zeit vom 1. 1. 2010 bis 31. 7. 2013 ab.

Nach seinen wesentlichen Ausführungen seien Leistungen der Pensionsversicherung grundsätzlich nur auf Antrag zu gewähren. Der Antrag des Klägers sei bei der beklagten Partei im Juli 2013 eingelangt, womit der maßgebliche Stichtag für die Leistungsgewährung der 1. 8. 2013 sei. Eine rückwirkende Zuerkennung der Pensionsleistung für den vom Kläger geltend gemachten Zeitraum komme nach dem Gesetz nicht in Betracht.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

In seiner außerordentlichen Revision macht der Kläger im Wesentlichen geltend, der Anspruch auf Alterspension entstehe bereits ohne Antragstellung und bei verfassungs- und europarechtskonformer Auslegung des § 194 GSVG iVm § 361 Abs 1 Z 1 ASVG könne die bisherige Rechtsprechung zum Antragsprinzip nicht aufrechterhalten werden. Die beklagte Partei hätte außerdem durch entsprechende Belehrungen auf eine Antragstellung hinwirken müssen, welche den rechtlichen Interessen des Klägers Rechnung trage.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Es trifft zwar zu, dass der Versicherungsfall des Alters mit der Erreichung des Anfallalters als eingetreten gilt (§ 113 Abs 1 Z 1 GSVG); für die Feststellung von Leistungsansprüchen in der Pensionsversicherung gilt jedoch das Antragsprinzip (§ 361 Abs 1 Z 1 ASVG iVm § 194 GSVG). Eine Leistungsgewährung ist daher nur aufgrund eines Antrags zulässig (RIS‑Justiz RS0085092). Der Pensionsantrag bildet somit eine notwendige Voraussetzung für die Einleitung des Verfahrens zur Feststellung eines Leistungsanspruchs des Versicherten.

1.1 In der Pensionsversicherung ist der Leistungsantrag jedoch nicht nur eine formelle Leistungsvoraussetzung, sondern auch Voraussetzung für die Bestimmung des Stichtags und damit für die Prüfung sämtlicher materieller Leistungsvoraussetzungen und damit bejahendenfalls für das Entstehen des Leistungsanspruchs. Stichtag ist bei Anträgen auf eine Leistung aus dem Versicherungsfall des Alters der Tag der Antragstellung, wenn dieser auf einen Monatsersten fällt, sonst der dem Tag der Antragstellung folgende Monatserste (§ 113 Abs 2 GSVG). Gemäß § 55 Abs 2 Z 2 GSVG fallen Eigenpensionen mit der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen an, wenn sie auf einen Monatsersten fällt, sonst mit dem der Erfüllung der Voraussetzungen folgenden Monatsersten, sofern die Pension binnen einem Monat nach Erfüllung der Voraussetzungen beantragt wird. Wird der Antrag auf die Pension erst nach Ablauf dieser Frist gestellt, so fällt die Pension mit dem Stichtag an. Der Anspruch auf die konkrete Pensionsleistung wird daher erst durch den Antrag ausgelöst (Anfall der Leistung); wird ein solcher Antrag nicht gestellt, kommt es nicht zum Leistungsanfall (10 ObS 92/97w, SSV‑NF 11/156 ua).

2. Es trifft zwar zu, dass nach herrschender Rechtsprechung bei der Beurteilung von Anträgen durch die Sozialversicherungsträger im Geiste sozialer Rechtsanwendung vorgegangen, dh der Antrag im Zweifel zugunsten des Versicherten ausgelegt werden muss. Die Fiktion eines tatsächlich nicht gestellten Antrags lässt sich aber auch aus den Grundsätzen sozialer Rechtsanwendung nicht ableiten (RIS‑Justiz RS0086446). Das Gesetz kennt auch kein Institut, welches den Versicherten vor versicherungsrechtlichen Nachteilen bewahrt, wenn ihm ohne sein Verschulden eine zeitgerechte Antragstellung nicht möglich war. Auch eine wegen Unkenntnis des Gesetzes verspätete Antragstellung wirkt auf keinen früheren Zeitpunkt zurück (RIS‑Justiz RS0085841).

3. Bei Anwendung der dargelegten Grundsätze ist nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen von einer erstmaligen Antragstellung des Klägers auf Alterspension bei der beklagten Partei am 17. 7. 2013 auszugehen, sodass der maßgebliche Stichtag für die Leistungsgewährung nach zutreffender Rechtsansicht der Vorinstanzen der 1. 8. 2013 ist.

4. Der Oberste Gerichtshof erachtet in ständiger Rechtsprechung die grundsätzlich allen Versicherten eingeräumte Möglichkeit der Stichtagswahl für verfassungsrechtlich unbedenklich (RIS‑Justiz RS0084543 [T2, T3]; zuletzt 10 ObS 175/13b). Sie ermöglicht es beispielsweise einem Versicherten, der beim Eintritt eines Versicherungsfalls des Alters die Wartezeit noch nicht erfüllt hat oder eine höhere Alterspension beziehen möchte, durch den Erwerb weiterer Versicherungsmonate diese allgemeine Leistungsvoraussetzung oder die Voraussetzungen für eine höhere Leistung bis zum hinausgeschobenen Stichtag zu erfüllen (10 ObS 107/92, SSV‑NF 6/58 ua). Durch das Antragsprinzip soll auch vermieden werden, dass die Sozialversicherungsträger und die Versichertengemeinschaft mit hohen Pensionsnachzahlungen für Zeiträume belastet werden, für die erst nachträglich ein Leistungsantrag gestellt wurde (10 ObS 175/13b mwN). Der Einwand des Klägers, die beklagte Partei hätte für Alterspensionen entsprechende finanzielle Rückstellungen vornehmen müssen, lässt außer Acht, dass die gesetzliche Pensionsversicherung durch das sogenannte Umlageverfahren finanziert wird, dh die erwerbstätige Generation sorgt mit ihren Beitragszahlungen für die im Ruhestand befindliche Generation. Der Umstand, dass eine sozialversicherungsrechtliche Leistung an die Voraussetzung einer Antragstellung auf Leistung durch den Anspruchsberechtigten geknüpft ist, erscheint auch verfassungsrechtlich in keiner Weise bedenklich (10 ObS 265/00v, SSV‑NF 14/120). Dass nach einzelnen Bestimmungen ‑ wie nach § 10a FLAG ‑ unter bestimmten Voraussetzungen Sozialleistungen auch ohne Antrag gewährt werden, führt nicht zu einer Gleichheitswidrigkeit des im Pensionsversicherungsrecht allgemein geltenden Antragsprinzips. Im Übrigen wird in § 10 FLAG das Antragsprinzip auch im Familienbeihilfenrecht grundsätzlich aufrechterhalten.

4.1 Die Revisionsausführungen bieten daher insgesamt keinen Anlass für ein Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung, mit der die Entscheidungen der Vorinstanzen im Einklang stehen. Der erkennende Senat sieht sich auch weiterhin nicht zur Stellung eines Gesetzesprüfungsantrags an den Verfassungsgerichtshof hinsichtlich des § 361 Abs 1 Z 1 ASVG und des § 113 Abs 2 GSVG veranlasst (vgl zuletzt 10 ObS 175/13b). Inwiefern eine europarechtskonforme Auslegung des § 194 GSVG iVm § 361 Abs 1 Z 1 ASVG dem Antragsprinzip entgegenstehen sollte, ist für den erkennenden Senat nicht nachvollziehbar und wird auch vom Revisionswerber nicht begründet.

5. In Lehre und Rechtsprechung sind allgemeine Verhaltenspflichten des Versicherungsträgers gegenüber dem Versicherten anerkannt, darunter Auskunfts-, Aufklärungs-, Informations- und Beratungspflichten. Es darf aber daraus nicht abgeleitet werden, dass eine allfällige Verletzung solcher Nebenpflichten durch den Träger zu einem sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch des Versicherten führen kann (vgl RIS‑Justiz RS0111538). Selbst eine unterlassene oder unrichtige Auskunft bzw Beratung durch einen Sozialversicherungsträger begründet daher keinen Leistungsanspruch. Es erübrigt sich damit ein Eingehen auf die Ausführungen des Revisionswerbers über in diesem Zusammenhang geltend gemachte sekundäre Feststellungsmängel bzw eine angebliche Aktenwidrigkeit des Berufungsurteils.

6. Da der Kläger somit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, war seine außerordentliche Revision zurückzuweisen.

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