OGH 10ObS47/21s

OGH10ObS47/21s27.4.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Schmid (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch TELOS Law Group Winalek, Nikodem, Weinzinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Jänner 2021, GZ 9 Rs 4/21 f-12, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131737

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Klägerin wurde für ihre am 22. 3. 2019 geborene Tochter A* das pauschale Kinderbetreuungsgeld als Konto in der von ihr beantragten Variante (851 Tage ab der Geburt) gewährt. Unstrittig ist, dass ihr (erster) Änderungsantrag vom 10. 4. 2020 auf eine Bezugsdauer von 365 Tagen keine Änderung der Anspruchsdauer bewirken konnte, weil die neu gewählte Variante ausschließlich zu einer nachträglichen Änderung vergangener Bezugszeiträume geführt hätte (§ 5a Abs 2 KBGG). Am 17. 4. 2020 stellte die Klägerin einen neuerlichen (zweiten) Änderungsantrag auf eine Bezugsdauer von 400 Tagen.

[2] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, ob § 5a Abs 2 KBGG eine weitere Änderungsmöglichkeit auch dann ausschließt, wenn ein erster Änderungsantrag unwirksam geblieben war.

[3] Das Erstgericht gab der Klage auf Änderung der Bezugsdauer im Sinn des Änderungsantrags vom 17. 4. 2020 auf eine Bezugsdauer von 400 Tagen statt und verpflichtete die beklagte Partei, das Kinderbetreuungsgeld entsprechend auszuzahlen.

[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und wies das auf Änderung der Kinderbetreuungs‑Pauschalvariante auf 400 Tage gerichtete Begehren ab. Es sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

[5] In der außerordentlichen Revision wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufgezeigt.

[6] 1.1 § 5a Abs 1 KBGG idF BGBl I 2016/53 legt fest, dass die bei der erstmaligen Antragstellung gewählte Bezugsvariante des Kinderbetreuungsgeldes grundsätzlich verbindlich ist.

[7] 1.2 In § 5a Abs 2 KBGG werden Umstände angeführt, unter denen die Eltern von der einmal getroffenen Wahl nachträglich (ausnahmsweise) doch wieder abgehen können. Danach ist die spätere Änderung der aufgrund des ursprünglichen Antrags festgelegten Anspruchsdauer nur einmal pro Kind auf Antrag und nur bis spätestens 91 Tage vor Ablauf der ursprünglich beantragten Anspruchsdauer möglich. Eine Änderung ist jedoch (ua) ausgeschlossen, wenn dadurch vergangene Bezugszeiträume nachträglich geändert werden sollen. Der zweite Teil des vorletzten Satzes und der letzte Satz des § 5a Abs 2 KBGG lauten: „weiters ist im Fall einer Rückzahlungsverpflichtung für vergangene Zeiträume die Änderung nur wirksam, sofern binnen 61 Tagen ab Beantragung der Änderung die gesamten Rückzahlungsbeträge beider Elternteile beim Krankenversicherungsträger einlangen. Eine unwirksame Änderung eröffnet keine weitere Änderungsmöglichkeit.“

[8] 2.1 Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, ist der letzte Satz des § 5a Abs 2 KBGG so zu verstehen, dass auch dann, wenn der Änderungsantrag letztlich zu keiner wirksamen Änderung geführt hat, dieser eine weitere Änderung jedenfalls ausschließt (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP  8; Holzmann-Windhofer in Holzmann-Windhofer/Weißenböck,KBGG [2017] 78, 80).

[9] 2.2 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der (zweite) Antrag der Klägerin auf Änderung vom 17. 4. 2020 habe keine Änderung der Anspruchsdauer bewirken können, entspricht damit dem Wortlaut und den Gesetzesmaterialien.

[10] 3.1 Die Revisionswerberin vertritt demgegenüber (zusammengefasst) folgenden Standpunkt: Da im letzten Satz des § 5a Abs 2 KBGG nicht auf einen unwirksamen Antrag, sondern auf eine unwirksame „Änderung“ abgestellt werde und sich ihrer Ansicht nach dieser letzte Satz ausschließlich auf das Nichteinhalten der Rückzahlungsverpflichtung beziehe, stehe die (auch mehrfache) Erhebung von Änderungsanträgen grundsätzlich so lange offen, bis sich einer davon als erfolgreich erwiesen habe. Ausgenommen seien lediglich jene Fälle, in denen die Eltern der durch ihren Änderungsantrag ausgelösten Rückzahlungsverpflichtung des Überbezugs nicht nachgekommen seien.

[11] 3.2 Gegen die Richtigkeit dieser Auslegung spricht als erstes, dass sie den Anwendungsbereich des letzten Satzes in massiver Weise beschränken würde, nämlich auf die Fälle, in denen Eltern nicht die gesamten Rückzahlungsbeträge rechtzeitig an den Krankenversicherungsträger zurückzahlen können. Allein diese Eltern würden im Hinblick auf weitere Änderungsmöglichkeiten schlechter gestellt, als andere Eltern. Die Auslegung der Klägerin wird auch im Schrifttum nicht geteilt. So führt Burger-Ehrnhofer (KBGG3 [2017] § 5a KBGG Rz 17) die nicht erfüllte Rückzahlungsverpflichtung nur als Beispiel dafür an, dass eine unwirksame Änderung keine weitere Änderungsmöglichkeit eröffnet (siehe auch Holzmann‑Windhofer in Holzmann-Windhofer/Weißenböck KBGG 78, 80). Zutreffend ist das Berufungsgericht daher davon ausgegangen, § 5a Abs 2 KBGG unterscheide nicht danach, aus welchem Grund der (erste) Änderungsantrag unwirksam geblieben ist.

[12] 4.1 Auch den Bedenken der Revisionswerberin gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 5a Abs 2 KBGG ist nicht zu folgen:

[13] 4.2 Dem einfachen Gesetzgeber ist es aufgrund des demokratischen Prinzips nicht verwehrt, seine jeweiligen rechtspolitischen Vorstellungen im Rahmen vertretbarer Zielsetzungen auf die ihm geeignete Art zu verwirklichen (10 ObS 205/02y, SZ 2002/151; RS0053889 [T10]). Er ist innerhalb des ihm zustehenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraums durch den Gleichheitssatz (nur) insoweit an inhaltliche Schranken gebunden, als sachlich nicht begründbare gesetzliche Regelungen verfassungsrechtlich verboten sind (VfGH G 29/05 ua, VfSlg 17.605). Dabei ist unter der Sachlichkeit einer Regelung nicht ihre „Zweckmäßigkeit“ oder „Gerechtigkeit“ zu verstehen. Die Zweckmäßigkeit einer Regelung unterliegt nicht der verfassungsrechtlichen Überprüfung (VfGH B 662/87 ua, VfSlg 11.664).

[14] 4.3 Der Wille des Gesetzgebers bei Schaffung des § 5a Abs 2 KBGG ging dahin, den Eltern mehr Flexibilität durch die Möglichkeit einer nachträglichen Antragstellung auf Änderung des Bezugszeitraums zu gewähren. Gleichzeitig sollte aber im Hinblick auf die durch die Änderung implizierte Neuberechnung des Tagesbetrags der Verwaltungsökonomie Rechnung getragen werden, indem eine nur einmalige Änderungsmöglichkeit geschaffen wurde, ohne nach bestimmten Änderungsgründen und deren Wirksamkeit zu differenzieren.

[15] 4.4 Teilt der Oberste Gerichtshof die Bedenken der Revisionswerberin, der Gesetzgeber habe mit der in § 5a Abs 2 KBGG festgelegten einmaligen Änderungsmöglichkeit pro Kind den ihm eingeräumten Gestaltungsspielraum überschritten, nicht, besteht für die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens beim Verfassungsgerichtshof (Art 89 Abs 2 B‑VG) kein Anlass.

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