Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 22. September 1939 geborene, nach wie vor im seiner Ehegattin gehörenden Espresso Ossi als Kellner beschäftigte Kläger erlitt am 12. Februar 1985 bei einem Arbeitsunfall einen Bruch des linken Fersenbeines. Deshalb gewährte ihm die beklagte Partei mit Bescheid vom 11. Juni 1986 eine vorläufige Versehrtenrente, und zwar vom 14. August 1985 bis 2. Februar 1986 im Ausmaß der Vollrente samt Zusatzrente, vom 3. Februar 1986 bis auf weiteres im Ausmaß von 25 v. H. der Vollrente.
Der Einleitung von Maßnahmen der Rehabilitation im Rehabilitationszentrum Stollhof stimmte der Kläger nicht zu. Die beklagte Partei bewilligte ihm aber ein Paar orthopädischer Schuhe. Mit Bescheid vom 19. November 1986, zugestellt am 24. November 1986, entzog die beklagte Partei die vorläufige Versehrtenrente ab 1. Jänner 1987 und stellte fest, daß ein Anspruch auf Dauerrente nicht bestehe.
In der dagegen am 27. November 1986 erhobenen Klage begehrte der Kläger von der beklagten Partei ab 1. Jänner 1987 eine Dauerversehrtenrente im Ausmaß von 50 v.H. der Vollrente, weil er als Kellner mindestens in diesem Ausmaß erwerbsunfähig sei. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht verurteilte die beklagte Partei, dem Kläger aus Anlaß des Arbeitsunfalls vom 12. Februar 1985 ab 1. Jänner 1987 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 v.H. der Vollrente zu gewähren und wies das Mehrbegehren ab.
Nach Einsicht in den den Kläger betreffenden Akt der beklagten Partei und Einholung eines Gutachtens eines Facharztes für Chirurgie stellte es beim Kläger, einem gelernten Kellner, noch folgende Folgen des Arbeitsunfalls fest: Der Gang ist ein wenig unelastisch; der linke Fuß wird nicht abgerollt; der Zehen- und Fersengang ist normal; die Fersenbeingegend ist ein wenig verbreitert und gering druckschmerzhaft; das obere Sprunggelenk ist mäßig bewegungseingeschränkt; es besteht eine Atrophie der Beinmuskelatur. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit wurde von Sachverständigen "unter Außerachtlassung der Vorschriften des KOVG" auf 15 v.H. eingeschätzt. Das Erstgericht vertrat die Rechtsansicht, daß die Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit als Rechtsfrage nicht Sache des Sachverständigen, sondern des Gerichtes sei, das dabei nach § 273 ZPO vorzugehen habe. Wenn die gesetzliche Unfallversicherung auch keinen Berufsschutz gewähre, sei doch zu berücksichtigen, daß die uneingeschränkte Gehleistung ein wesentliches Berufserfordernis eines Kellners sei. Deshalb betrage die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers 20 v.H.
Dieses Urteil wurde von beiden Parteien angefochten. Die Berufung des Klägers bekämpfte die Abweisung von 5 v.H. der Vollrente und die Kostenentscheidung, die Berufung der beklagten Partei den stattgebenden Teil.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht, der Berufung der beklagten Partei hingegen Folge und änderte das angefochtene Urteil durch gänzliche Abweisung der Klage ab. Es verneinte die im Rechtsmittel des Klägers behaupteten Verfahrensmängel und führte zu dem in den Rechtsrügen beider Berufungen bekämpften Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit im wesentlichen aus, daß sich diese auf den allgemeinen Arbeitsmarkt beziehe, weil die Unfallversicherung keine Berufsversicherung sei. Den Auswirkungen von Unfallfolgen für die Erwerbschancen eines Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt werde zumindest bei geringen Einschränkungen durch die an der einschlägigen Literatur orientierte medizinische Einschätzung Rechnung getragen, weil sich der ärztliche Sachverständige auf die allgemeine medizinische Erfahrung stützen könne. Die durch den Arbeitsunfall verursachte Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers sei daher nach dem ärztlichen Gutachten mit 15 v.H. und nicht nach § 273 ZPO mit 20 oder gar 25 v.H. festzustellen.
Nur gegen den der Berufung der beklagten Partei Folge gebenden Teil der Berufungsentscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, den angefochtenen Urteilsteil durch Wiederherstellung des stattgebenden Teiles des erstgerichtlichen Urteiles abzuändern, allenfalls aufzuheben. Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die nach § 46 Abs.4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs.2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist nicht berechtigt. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit (§ 503 Abs.1 Z 2 ZPO) liegt nicht vor (§ 510 Abs.3 ZPO).
Das Urteil des Berufungsgerichtes beruht auch auf keiner unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache.
Der Oberste Gerichtshof hat zu den auch in diesem Verfahren entscheidenden Rechtsfragen erstmals in der E. 2. Dezember 1987, 9 Ob S 23/87 JBl. 1988, 259, eingehend Stellung genommen und sich in den nicht veröffentlichten Entscheidungen vom 27. Jänner 1988, 9 Ob S 43/87, und 10. Februar 1988, 9 Ob S 37/87, auf diese Grundsatzentscheidung bezogen.
Nach den wesentlichen Ausführungen dieser Entscheidungen wird mit dem im Dritten Teil (Unfallversicherung) des ASVG nicht definierten Begriff der Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit eines Menschen beschrieben, sich auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens einen Verdienst zu verschaffen. Dabei bildet in der Unfallversicherung grundsätzlich der allgemeine Arbeitsmarkt das Verweisungsfeld. Grundlage für die Ermittlung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist regelmäßig ein ärztliches Gutachten über die Unfallfolgen und deren Auswirkungen, wobei der Gutachter auch über seine Meinung zum Umfang der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu befragen ist. Ausgangspunkt dieser Einschätzung sind die in Jahrzehnten entwickelten und angewendeten Richtlinien über die Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit von Unfallverletzten, wie sie etwa in den Tabellen von Mollowitz, Der Unfallmann10, für Österreich in Krösl-Zrubecky, Die Unfallrente3, enthalten sind. Der Einwand, daß dabei bloß der Grad der Versehrtheit beurteilt werde, über die Erwerbsfähigkeit hingegen keine Aussagen getroffen werden, ist unrichtig, weil bei Erstellung dieser Richtlinien den Veränderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes und damit den an den arbeitenden Menschen gestellten Anforderungen Rechnung getragen wird. Die ärztliche Einschätzung, die unter Berücksichtigung dieser Komponenten erfolgt, ist aber nicht die alleinige Grundlage der gerichtlichen Entscheidung. Zu prüfen bleibt, ob im Hinblick auf die besondere Situation im Einzelfall die Ausbildung und die bisherigen Berufe des Unfallverletzten zur Vermeidung unbilliger Härten zu berücksichtigen sind. Die Entscheidung, ob ein derartiger Härtefall vorliegt, der ein Abweichen von der ärztlichen Einschätzung geboten erscheinen läßt, und in welchem Umfang dem bei Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit Rechnung getragen werden muß, ist Gegenstand der rechtlichen Beurteilung.
Da ein Härtefall, der im Sinne dieser vom erkennenden Senat geteilten Rechtsansicht ein Abgehen von der ärztlichen Einschätzung rechtfertigen würde, hier nicht vorliegt, hat das Berufungsgericht die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers entsprechend dieser Einschätzung nur mehr mit 15 v.H. beurteilt und daher einen Anspruch des Klägers auf Versehrtenrente ab 1. Jänner 1987 in richtiger Anwendung des § 203 Abs.1 ASVG verneint.
Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs.1 Z 2 lit.b ASGG.
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