OGH 10ObS364/98x

OGH10ObS364/98x24.11.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Edith Matejka (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmuth Prenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Cäcilia B*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Österreichische Bundesbahnen, 1150 Wien, Langauergasse 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Erhöhung des Pflegegeldes, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Juli 1998, GZ 8 Rs 159/98h-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 10. Februar 1998, GZ 32 Cgs 271/97k-9, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 21. 4. 1997 wurde der am 7. 11. 1918 geborenen Klägerin von der beklagten Partei ab 1. 3. 1997 das Pflegegeld der Stufe 3 gewährt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin fristgerecht Klage mit dem Begehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihr das Pflegegeld der Stufe 5 oder höher ab Antragstellung zu gewähren.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin ab 1. 3. 1997 das Pflegegeld der Stufe 4 im Ausmaß von monatlich S 8.535,-- zu gewähren und wies das Mehrbegehren auf Gewährung eines solchen der Stufe 5 oder höher ab.

Das Erstgericht ging dabei - zusammengefaßt - davon aus, daß bei der - bettlägerigen und in einem Heim untergebrachten - Klägerin ein Hilfs- und Betreuungsaufwand von monatlich 195 Stunden erforderlich sei, jedoch "keine zusätzlichen Erschwernisse wie offene Stellen vorhanden sind", sodaß es am Erfordernis eines außergewöhnlichen Pflegeaufwandes, einer dauernden Bereitschaft einer Pflegeperson bzw einer dauernden Anwesenheit einer solchen mangle. Als rechtlich unerheblich ließ es das Erstgericht daher offen, "welcher Pflegebedarf für die Medikamenteneinnahme und für die Unterstützung beim Lagewechsel (im Bett) benötigt wird".

Über Berufung der Klägerin faßte das Berufungsgericht einen Aufhebungsbeschluß, in welchem es aussprach, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Das Berufungsgericht ging hiebei davon aus, daß die bisher vorliegenden Feststellungen des Erstgerichtes keine ausreichende Grundlage zur Beantwortung der Frage böten, ob der Zustand der Klägerin eine dauernde Bereitschaft einer Pflegeperson verlange. Die erforderliche Betreuung der Klägerin beim Umlagern und/oder auch bei der Reinigung und Pflege bei Inkontinenz könnten eine solche erfordern, wenn medizinisch das Einschreiten einer Pflegeperson in bestimmten Zeitabständen erforderlich wäre, um etwa ein Wundliegen oder das Auftreten von Hautentzündungen zu verhindern. Der medizinische Sachverständige habe daher darüber Auskunft zu geben, welche Pflegehandlungen jederzeit bzw in welchen regelmäßigen oder in welchen unregelmäßigen Zeitabständen erforderlich seien, um gesundheitliche Schäden der Klägerin hintanzuhalten.

Gegen diesen Aufhebungsbeschluß richtet sich der auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Rekurs der klagenden Partei mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß des Berufungsgerichtes aufzuheben und diesem die Entscheidung in der Sache selbst im Sinne einer Stattgebung der Berufung (Zuerkennung des Pflegegeldes der Stufe 5) aufzutragen.

Der Rekurs ist gemäß § 47 Abs 2 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG (erhebliche Rechtsfrage) zulässig, weil es sich um eine Sozialrechtssache nach § 46 Abs 3 Z 3 ASGG handelt, jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Bereits im Berufungsverfahren unbekämpft blieb, daß die Klägerin einen Pflegebedarf von durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich hat und damit die Voraussetzungen für die Pflegegeldstufe 4 erfüllt (§ 4 Abs 2 BPGG). Für die von der Klägerin nur mehr begehrte Stufe 5 - die Abweisung des Mehrbegehrens einer darüberhinausgehenden Stufe laut Klagebegehren blieb von ihr bereits im Berufungsverfahren unbekämpft - ist erforderlich, daß bei ihr zusätzlich ein außergewöhnlicher Pflegeaufwand erforderlich ist, wie er in § 6 der EinstV dahin näher definiert wird, daß dauernde Bereitschaft, nicht jedoch die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich ist. Solche dauernde Bereitschaft ist dahingehend zu verstehen, daß der Pflegebedürftige jederzeit Kontakt mit der Pflegeperson aufnehmen und diese in angemessener Zeit die erforderliche Betreuung und Hilfe leisten kann oder die Pflegeperson von sich aus in angemessenen Zeitabständen Kontakt mit dem Pflegebedürftigen aufnimmt (Gruber/Pallinger, BPGG Rz 56 zu § 4; 10 ObS 101/97v, 10 ObS 238/98t). Entgegen den Ausführungen der Revisionswerberin indizieren die hiezu derzeit vom Erstgericht vorliegenden Feststellungen, wonach diese bei der Verrichtung der Notdurft (als harn- und stuhlinkontinente, bettlägerige und desorientierte Person) der Hilfeleistung bedarf, nicht bereits dieses Erfordernis einer solchen dauernden Bereitschaft.

Das Berufungsgericht hat den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluß mit der Begründung zugelassen, daß der Oberste Gerichtshof der Entscheidung vom 28. 1. 1997, 10 ObS 2425/96g = SSV-NF 11/3 ausgehend von Feststellungen, die den hier vorliegenden vergleichbar gewesen seien, die Voraussetzungen für den Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 5 bejaht habe, ohne eine weitere Aufklärung für erforderlich zu halten; der Aufhebungsbeschluß, der eine Erweiterung der Tatsachengrundlage für die Entscheidung, ob Pflegegeld der Stufe 5 zustehe, weiche daher von der Judikatur des Höchstgerichtes ab. Dies trifft allerdings nicht zu.

Die Voraussetzungen für die Pflegestufe 5 waren bereits mehrfach Gegenstand von Entscheidungen dieses Senates. Die Grundsätze der Rechtssprechung können nicht punktuell aus einer Entscheidung und losgelöst von der gesamten Judikaturlinie abgeleitet werden. Danach ist das Erfordernis der dauernden Bereitschaft (§ 6 EinstV) dahin zu verstehen, daß der Pflegebedürftige jederzeit Kontakt mit der Pflegeperson aufnehmen und diese in angemessener Zeit die erforderliche Hilfe leisten kann oder die Pflegeperson von sich aus in angemessenen Zeitabständen Kontakt mit dem Pflegebedürftigen aufnimmt. Dabei handelt es sich um eine Definition der rechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf die Pflegestufe 5. Ob diese Voraussetzungen in einem konkreten Fall vorliegen, ist aufgrund der getroffenen Tatsachenfeststellungen zu beurteilen. Nur auf dieser Grundlage ist die Entscheidung im Einzelfall möglich. So hat der erkennende Senat etwa in der Entscheidung vom 15. 4. 1997, 10 ObS 110/97t, die Feststellungen zur Frage, ob dort zur Inbetriebnahme eines wegen wiederholt auftretender Zustände von Atemnot erforderlichen Sauerstoffgerätes, tatsächlich eine dauernde Bereitschaft einer Pflegeperson erforderlich sei, für ergänzungsbedürftig erachtet und die ergänzende Klärung der genauen Umstände der Benützung des Gerätes und eine allfällig mögliche Änderung des Bediengungsmechanismus aufgetragen; auch in der Entscheidung vom 12. 8. 1997, 10 ObS 222/97p wurde eine weitere Ergänzung der Feststellungen zur Beurteilung des Anspruches auf Pflegegeld der Stufe 5 für erforderlich erachtet.

Die Feststellung, daß die Klägerin bettlägrig ist, für Lagewechsel fremder Hilfe bedarf und eine Stuhl- und Harninkontinenz besteht, rechtfertigt für sich allein nicht die Annahme der Voraussetzungen für den Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 5, weil für die hiefür notwendigen Maßnahmen allenfalls im Rahmen der von der Pflegeperson bestimmten, in größeren Zeitabständen vorgenommenen Betreuungsleistungen Vorsorge getroffen werden könnte. Für die Erfüllung der Voraussetzungen der Stufe 5 wäre vielmehr erforderlich, daß Umstände vorliegen, die es erforderlich machen, daß sich eine Pflegperson ständig in Bereitschaft halten muß, um jederzeit für notwendige Betreuungsmaßnahmen zu sorgen. Soweit aus der Entscheidung 10 ObS 2425/96g ein anderes Ergebnis ableitbar wäre, könnte dies nicht aufrecht erhalten werden.

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß die Feststellungsgrundlage ergänzungsbedürftig sei, ist daher zutreffend, so daß dem Rekurs ein Erfolg versagt bleiben mußte.

Der Kostenvorbehalt ist in § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG begründet.

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