OGH 10ObS34/15w

OGH10ObS34/15w28.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Rodlauer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Robert Brunner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I*****, vertreten durch Rechtsanwälte Estermann & Partner Rechtsanwälte OG in Mattighofen, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist‑Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Februar 2015, GZ 12 Rs 10/15z‑24, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00034.15W.0428.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Die Klägerin war zuletzt als Filialleiterin tätig und als solche in die Beschäftigungsgruppe 4 des Kollektivvertrags für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben („Angestellte mit selbständiger Tätigkeit“) eingestuft. Aufgrund ihrer medizinischen Einschränkungen ist ihr nur mehr eine Halbtagsbeschäftigung im Rahmen von Innendiensttätigkeiten an einem Büroarbeitsplatz als Sachbearbeiterin zumutbar, insbesondere im Bereich der Belegerfassung, in der gehobenen Ablageevidenz, in der Registratur oder in der Rechnungsprüfung entsprechend der Beschäftigungsgruppe 3 des genannten Kollektivvertrags („Angestellte, die auf Anweisung schwierige Tätigkeiten selbständig ausüben“). Eine Wohnsitzverlegung und ein Wochenpendeln sind möglich.

Rechtliche Beurteilung

Die Ansicht der Vorinstanzen, die Verweisung auf diese Tätigkeiten sei mit keinem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden, stellt keine vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung dar:

1. Unzumutbar ist der soziale Abstieg vor allem dann, wenn die Verweisungstätigkeit in den Augen der Öffentlichkeit ein wesentlich geringeres Ansehen genießt (10 ObS 233/00p, SSV‑NF 14/129). Die Einstufung einer Tätigkeit in einem Kollektivvertrag kann dafür ein Indiz bilden und zur Beurteilung des sozialen Werts und eines sozialen Abstiegs herangezogen werden (RIS‑Justiz RS0084890 [T3]).

2. In diesem Sinn wird in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass die Verweisung von Angestellten auf Tätigkeiten der nächstniedrigeren Beschäftigungs‑ oder Verwendungsgruppe eines Kollektivvertrags in der Regel mit keinem unzumutbaren sozialen Abstieg verbunden ist, auch wenn es sich dabei um Arbeiten mit weniger Eigenverantwortung handelt. Gewisse Einbußen an Entlohnung und sozialem Prestige muss ein Versicherter hinnehmen (10 ObS 239/98i; SSV‑NF 12/123; RIS‑Justiz RS0084890 [T9]; RS0085599 [T2, T5]).

3.1 Soweit die Revisionswerberin geltend macht, eine Verweisung auf die genannten kaufmännischen Innendiensttätigkeiten komme nicht in Betracht, weil es sich dabei nicht um Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 3 des genannten Kollektivertrags, sondern um „einfache“ Angestelltentätigkeiten entsprechend der Beschäftigungsgruppe 2 handle, hat bereits das Berufungsgericht ausgeführt, dass im Kollektivvertrag für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben als Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 3 im Büro‑ und Rechnungswesen ua die Tätigkeiten eines Sachbearbeiters und eines Rechnungsprüfers ausdrücklich angeführt sind.

3.2 Der von der Revisionswerberin angesprochene Verlust der Vorgesetztenfunktion führt deshalb nicht zu einem unzumutbaren sozialen Abstieg, weil in den in der Beschäftigungsgruppe 3 enthaltenen Tätigkeiten bereits ein gewisses Maß an Selbstständigkeit und Verantwortung enthalten ist, wie sie auch eine Filialleiterin aufweisen muss (10 ObS 73/08w; SSV‑NF 22/43). Auch eine geringere Entlohnung stellt für sich allein kein Kriterium für einen unzumutbaren sozialen Abstieg dar (RIS‑Justiz RS0085599 [T6]).

3.3 Auch mit ihrem Hinweis auf die Entscheidung 10 ObS 209/99d, SV‑NF 13/102, zeigt die Revisionswerberin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. In dieser Entscheidung wurde die Verweisbarkeit eines in die Beschäftigungsgruppe 4 des Kollektivvertrags für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben eingestuften Dekorateurs auf Tätigkeiten eines Telefonisten entsprechend der Beschäftigungsgruppe 3 mit der Begründung verneint, dass die Telefonistentätigkeit ‑ außer der Einstufung im selben Kollektivvertrag ‑ überhaupt keine Ähnlichkeit mit der bisherigen Tätigkeit als Dekorateur aufweist und daher als Verweisungstätigkeit nicht in Frage komme. Maßgeblich für die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe sei nicht, dass Angestellten demselben Kollektivvertrag angehören, sondern die Ähnlichkeit der Ausbildung und die Gleichwertigkeit der Kenntnisse und Fähigkeiten.

Im vorliegenden Fall setzen die Tätigkeit einer Filialleiterin und jene eines Sachbearbeiters oder Rechnungsprüfers aber unzweifelhaft eine ähnliche ‑ nämliche kaufmännische ‑ Ausbildung sowie jeweils kaufmännische Kenntnisse und Fähigkeiten voraus. Die angefochtene Entscheidung, die die Verweisbarkeit der Klägerin auf Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 3 bejaht, weicht somit von der bisherigen Rechtsprechung nicht ab.

4. Soweit die Revisionswerberin vorbringt, es hätte festgestellt werden müssen, dass ihr ein Wohnortwechsel unzumutbar sei, stellt sie die vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr angreifbaren Sachverhaltsfeststellungen in Frage.

5. Ob einem ursprünglich vollzeitig Beschäftigten, der nur mehr Teilzeitarbeit verrichten kann, zur Erreichung eines entsprechenden Arbeitsplatzes eine Wohnsitzverlegung oder ein Wochenpendeln zumutbar ist, ist nach den Besonderheiten des Einzelfalls zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0085027). Maßgeblich ist die Höhe desjenigen Erwerbseinkommens, das der Versicherte mit seinem eingeschränkten Leistungskalkül durch eine Halbtagsbeschäftigung in den Verweisungsberufen - einschließlich Sonderzahlungen und anderen regelmäßigen Gehaltsbestandteilen ‑ konkret erreichen kann. Liegt etwa das zu erwartende Einkommen weit unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz nach § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG, wurde eine Verlegung des Wohnsitzes und ein Wochenpendeln als nicht zumutbar erachtet (10 ObS 168/13y mwN). Das von der Klägerin im Rahmen der Verweisungstätigkeiten erzielbare monatliche Einkommen von 1.084,14 EUR netto (inklusive Sonderzahlungen) liegt jedoch weit über dem Ausgleichszulagenrichtsatz.

Die Revision war daher als unzulässig zurückzuweisen.

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