OGH 10ObS209/99d

OGH10ObS209/99d5.10.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Eva Pernt (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Christa Marischka (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Peter H*****, Angestellter, *****, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. Mai 1999, GZ 8 Rs 56/99p-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 25. November 1998, GZ 9 Cgs 67/98t-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 19. 7. 1946 geborene Kläger schloß 1967 eine qualifizierte Fachausbildung als Dekorateur nach dem Besuch einer 4-jährigen Fachschule für dekorative Gestaltung mit Prüfung erfolgreich ab. Seit damals bis zum 31. 5. 1998 war er in einem Möbel- und Einrichtungsunternehmen tätig. An seinem letzten Arbeitsplatz, einem von mehreren Filialbetrieben seines Arbeitgebers, führte er eine aus insgesamt drei Personen bestehende Gruppe von Dekorateuren. Er hatte selbständig Entwürfe anzufertigen, wobei teilweise Vorgaben der Unternehmensführung auszubauen waren, am Zeichentisch händisch Pläne auszuarbeiten und mit seinen beiden Mitarbeitern umzusetzen. Er hatte Kostenvoranschläge für die dabei benötigten Materialien und Fremddienstleistungen einzuholen und war gegenüber dem Geschäftsführer verantwortlich. Der Kläger war in der Beschäftigungsgruppe 4 des Kollektivvertrages für die Handelsangestellten Österreichs eingestuft ("Dekorateure, die nach eigenen Entwürfen arbeiten"). Diese Tätigkeit kann der Kläger wegen gesundheitlicher Einschränkungen seit 1. 6. 1998 nicht mehr ausüben. In Betracht kommt für ihn nur mehr die Tätigkeit eines Telefonisten der Beschäftigungsgruppe 3 des erwähnten Kollektivvertrages, für die sein Leistungskalkül ausreichen würde.

Bei Dekorateuren handelt es sich teils um innerbetrieblich angelernte Arbeitnehmer und teils um Absolventen kaufmännischer Lehrberufe, die eine zusätzliche kursmäßige Ausbildung genossen haben, oder um Abgänger spezifischer Fachschulen. Deren Hauptaufgabe ist es, für einen Betrieb und dessen Angebot von Waren oder Dienstleistungen mit der Gestaltung von Schaufenstern, Verkaufsräumen, Vitrinen, Schaukästen usw zu werben und die Kundenaufmerksamkeit durch werbetechnisch wirksame Blickfänge und Präsentation der ausgestellten Objekte zu wecken. Dekorateure planen unter Einbeziehung der Faktoren Ziel und Zweck der Aktion, Kosten, Termine, bauliche und beleuchtungsmäßige Voraussetzungen die Gestaltung der erwähnten Räume und Flächen, indem sie Skizzen und Pläne zeichnen oder Modelle fertigen und dermaßen Leitideen sowie Themen unter Berücksichtigung von Materialien und Hauptfarben zum Ausdruck bringen. Im Rahmen der vorbereitenden Tätigkeiten beschaffen sie Requisiten, Einbauteile, Schaustücke, Podeste, Dekorationsständer, Regale, Poster, Fotos usw oder stellen solche selbst her und wählen schließlich die Ausstellungsware, bestehend aus Originalwaren, Attrappen und Requisiten aus. Sie bauen die solchermaßen in Atellier und Werkstatt vorbereiteten Dekorationen im Schaufenster, im Verkaufsraum oder auf dem Messestand auf. Dazu haben sie die Räumlichkeit auszuräumen, zu reinigen, Wände zu bemalen oder zu tapezieren, Böden zu verlegen, Horizonte anzufertigen, Schaufensterpuppen auszustatten, die Waren zu gruppieren, Schaufenster-, Werbe- und Schauflächen zu beschriften, die Beleuchtung einzustellen und die Waren aufzupreisen. Im Rahmen dieser Tätigkeiten führen sie auch handwerkliche Arbeiten wie Spachteln, Malen, Streichen, Tapezieren, Nähen, Bearbeiten von Holz, Holzwerk und Kunststoffen, Schneiden von Glas, Imprägnieren, Nageln, Nieten, Schrauben und anderes mehr aus. Sofern sie graphische Werbemittel selbst herstellen, führen sie Arbeiten wie Schriften malen oder drucken in diversen Druckverfahren durch.

Telefonisten hingegen werden kurzfristig an ihrem Arbeitsplatz zum Teil durch den Anlagenhersteller eingewiesen. Sie bedienen Telefonanlagen in größeren Betrieben, Industrie- und Handelsunternehmen, Versicherungen, Geldinstituten, Kammern, Krankenhäusern usw mit unterschiedlich vielen Nebenstellen, indem sie Telefongespräche entgegennehmen und den Anrufer mit dem gewünschten Partner verbinden. Dabei erteilen sie auch Auskünfte etwa über die Zuständigkeit oder über Erreichbarkeit einzelner Mitarbeiter, nehmen eventuell schriftlich kleinere Mitteilungen auf und geben diese zu gegebener Zeit fernmündlich weiter.

Mit Bescheid vom 3. 4. 1998 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den Antrag des Klägers vom 10. 12. 1997 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab.

Das Erstgericht erkannte das Klagebegehren auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab dem 1. 6. 1998 als zu Recht bestehend und trug der beklagten Partei die Erbringung einer vorläufigen monatlichen Zahlung von S 7.500 ab dem 1. 6. 1998 auf. Das Mehrbegehren auf Zahlung der Berufsunfähigkeitspension für den Zeitraum 10. 12. 1997 bis 31. 5. 1998 wurde rechtskräftig abgewiesen. Das Erstgericht folgerte aus dem oben wiedergegebenen Sachverhalt, daß die Tätigkeit eines Telefonisten keine Ähnlichkeit mit der vom Kläger langjährig verrichteten Dekorateurstätigkeit aufweise und daher als Verweisungstätigkeit nicht in Betracht komme.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es hielt der Rechtsrüge folgendes entgegen:

Die Pensionsversicherung der Angestellten sei eine Berufsgruppenversicherung, deren Leistungen einsetzen, wenn der Versicherte infolge seines körperlichen und/oder geistigen Zustandes einen Beruf seiner Berufsgruppe nicht mehr ausüben könne. Der vom Versicherten zuletzt nicht nur bloß vorübergehend ausgeübte Angestelltenberuf bestimme das Verweisungsfeld, also die Summe aller Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen seien, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangt. Nach dem Gesetzeswortlaut müßten die Voraussetzungen "ähnliche Ausbildung" und "gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten" kumulativ vorliegen; nur bei sehr einfachen Tätigkeiten komme es lediglich auf die Gleichwertigkeit der Kenntnisse und Fähigkeiten, nicht aber auf die Ähnlichkeit der Ausbildung an. Der Kläger habe in seiner erwerbslebenslänglichen Tätigkeit einen schmalen Teilbereich des Berufsbildes eines Handelsangestellten abgedeckt. Seine Ausbildung durch Erwerb einer Berufspraxis habe daher nur diesen begrenzten Bereich betroffen. Er habe eine sehr spezifische Schulausbildung auf einem bei der Tätigkeit eines Handelsangestellten nur teilweise verwertbaren Gebiet, indem er eine 4-jährige berufsbildende mittlere Schule (Fachschule für bildnerische Gestaltung, Fachrichtung dekorative Gestaltung) absolvierte. Seine jahrzehntelange Tätigkeit sei am ehesten der eines Werbegestalters vergleichbar, wenngleich nicht übersehen werde, daß für die Einarbeitung in diesen Beruf eine Umschulungszeit von rund einem Jahr zu veranschlagen wäre. Jedenfalls sei aber die Tätigkeit des Klägers sehr spezifiziert gewesen und habe - allgemeinkundig - mit der beschriebenen Tätigkeit eines Telefonisten keine Gemeinsamkeit. Wenn beim Kläger daher auch die einem typischen Handelsangestellten-Lehrberuf gleichwertigen Kenntnisse und Fähigkeiten angenommen werden könnten, so fehle es doch an der Ähnlichkeit der Ausbildung. Der Umstand, daß im Beschäftigungsgruppenschema des Kollektivvertrages für die Handelsangestellten Österreichs Dekorateure und Telefonisten derselben Beschäftigungsuntergruppe, nämlich der des technischen Dienstes zugezählt seien, könne nicht als Bestätigung einer Ähnlichkeit der Ausbildung gelten, sei doch die Kollektivvertragszugehörigkeit von anderen Gegebenheiten abhängig, als die Beschäftigungs-(Verwendungs-)gruppenzuordnung in einem bestimmten Kollektivvertrag. Bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit nach § 273 Abs 1 ASVG komme es dementsprechend nicht darauf an, welchem Kollektivvertrag der Versicherte angehöre, sondern darauf, ob die Ausbildung ähnlich und die Kenntnisse und Fähigkeiten gleichwertig seien. So seien etwa Telefonisten durchaus in verschiedenen Kollektivverträgen verschiedenen Beschäftigungs-(Verwendungs-)gruppen oder Untergruppen zugeordnet (im Rahmenvertrag für Angestellte der Industrie seien etwa Telefonisten als kaufmännische bzw administrative Angestellte angeführt). Im übrigen seien im Bereich des Handels Verweisungen auf technische Dienstleistungen in der Judikatur bisher nur aus reinen oder überwiegenden Verkaufstätigkeiten vorgenommen worden. Der Kläger sei als Absolvent einer berufsbildenden mittleren Schule und mit ausschließlicher Erwerbstätigkeit im Ausbildungsbereich nicht auf die ihm berufsgruppenfremde Tätigkeit eines Telefonisten verweisbar.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt die Abänderung im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens.

Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits mit ausführlicher Begründung dargelegt hat, leistet ein Auslagendekorateur, der nicht vorwiegend bloß untergeordnete Verrichtungen vornimmt, kaufmännische Dienste im Sinne des § 1 Abs 1 AngG (SSV-NF 4/90). Unter diese kaufmännische Dienste fallen nämlich Dienstleistungen, die ihrer Art nach zu den typischen Tätigkeiten eines Kaufmannes gehören und für die Führung des Betriebes eine nicht bloß untergeordnete Bedeutung (§ 1 Abs 2 AngG) haben. Es handelt sich dabei zumindest um einen Ausschnitt aus dem typischen Tätigkeitsbereich eines Kaufmannes; die in Frage kommenden Verrichtungen erfordern ihrer Art nach eine kaufmännische Ausbildung und Geschicklichkeit und sind nicht so einfach und anspruchslos, daß sie von jedem Menschen mit durchschnittlicher Bildung ohne weiteres erbracht werden können. Kaufmännische Dienste dieser Art sind insbesondere alle mit dem Ein- und Verkauf zusammenhängenden Tätigkeiten, die eine selbständige Anpassung an eine konkrete Marktsituation zur Erhebung des Umsatzes erfordern, wie insbesondere Kundenwerbung, Kundenberatung, Einfluß auf die Preisbildung, Sorge um die Lagerergänzung, Einkauf und Bestellung, ferner Buchführung, Geldgebahrung und Warenprüfung. Die vom Kläger ausgeübte und oben näher dargestellte Tätigkeit des Leiters einer aus drei Personen bestehenden Gruppe von Dekorateuren in einem Möbelunternehmen ist daher als eine mit dem Verkauf zusammenhängende Tätigkeit anzusehen, die zu den kaufmännischen Diensten des § 1 Abs 1 AngG zu rechnen ist.

Ausgehend von diesen nicht bestrittenen Grundsätzen verweist die Revisionswerberin darauf, daß die in den Lehrberufen Einzelhandelskaufmann, Bürokaufmann, Großhandelskaufmann und Industriekaufmann tätigen Angestellten zur Berufsgruppe der kaufmännischen Angestellten gehörten, zumal sie über eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verfügten (so SSV-NF 6/87, wonach es keine Berufsgruppe aber auch keinen Lehrberuf "Verkäufer" gebe, sondern es sich vielmehr um Teiltätigkeiten mehrerer verwandter kaufmännischer Lehrberufe handle). In die Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrages für die Handelsangestellten fällt unbestritten beispielshaft die Tätigkeit eines Telefonisten (an Apparaten mit mindestens fünf Amtsanschlüssen). Daraus leitet die Revisionswerberin ab, daß die Tätigkeit eines Telefonisten für den Kläger als Verweisungstätigkeit grundsätzlich in Betracht komme. Aus ihrer Sicht dürfe es keinen Unterschied machen, ob die Kenntnisse und Fertigkeiten des Dekorateurs im Rahmen einer Fachschulausbildung erworben worden seien, oder der nachmalige Dekorateur unter Spezialisierung aus dem Lehrberuf des kaufmännischen Angestellten hervorgegangen sei. Unter diesen Gesichtspunkt sei der Kläger daher auf einen seiner Berufsgruppe zugehörigen unter Bedachtnahme auf die soziale Wertigkeit zu verweisen und es sei deshalb seine Arbeitsfähigkeit nicht unter die Lohnhälfte herabgesunken.

Diesen Ausführungen ist im Ergebnis nicht zu folgen. Der Oberste Gerichtshof teilt die Ansicht der Vorinstanzen, daß die in den Feststellungen angeführte Tätigkeit eines Telefonisten außer der Einstufung unter den "technischen Dienst" im selben Kollektivvertrag überhaupt keine Ähnlichkeiten mit der bisherigen Tätigkeit des Klägers aufweist und daher als Verweisungstätigkeit nicht in Frage kommt. Wie der Senat bereits ausgesprochen hat, ist die Zugehörigkeit von Angestellten zu einer für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit nach § 273 Abs 1 ASVG entscheidenden Berufsgruppe nicht davon abhängig, welchem Kollektivvertrag sie angehören, sondern von der Ähnlichkeit der Ausbildung und der Gleichwertigkeit der Kenntnisse und Fähigkeiten (SSF-NF 9/103). In der zuletzt genannten Entscheidung wurde zwar die Verweisung eines technischen Angestellten, dessen Einstufung der Verwendungsgruppe III des Rahmenkollektivvertrages für Angestellte der Industrie entsprach, auf die Tätigkeit eines Telefonisten für zulässig erachtet, doch lag dieser Entscheidung insoweit ein anderer Sachverhalt zugrunde, als der damalige Kläger als technischer Angestellter etwa die Hälfte der Arbeitszeit in einer Warte verbracht hatte, von der aus eine Anlage überwacht und teilweise gesteuert werden mußte. Die Fachkenntnisse für seine Tätigkeit hatte sich der dortige Kläger ausschließlich in der Praxis angeeignet, andere Angestelltentätigkeiten hatte er nie ausgeführt, also weder technische noch kaufmännische. Geht man aber im vorliegenden Fall davon aus, daß die Tätigkeit des Klägers eine qualifizierte Ausbildung erforderte, während ein Telefonist eigentlich überhaupt keiner Fachausbildung bedarf, sondern nur kurzfristig auf seinem Arbeitsplatz eingewiesen wird, dann wird deutlich, daß es sich bei der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit eines qualifizierten Dekorateurs und der einzigen nach den Feststellungen in Betracht kommenden Verweisungstätigkeit eines Telefonisten nicht um Tätigkeiten handeln kann, die eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Kosten des Revisionsverfahrens wurden nicht verzeichnet.

Stichworte