OGH 10ObS31/88

OGH10ObS31/8823.2.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dkfm.Mag.DDr. Wilhelm Kryda und Franz Eckner als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dordo K***, 2460 Bruck an der Leitha, Burgenlandstraße 6, vertreten durch Dr. Rudolf Gürtler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***,

1090 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. September 1987, GZ 32 Rs 123/87-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Niederösterreich in Wien vom 12. Dezember 1986, GZ 6 C 110/86-15 (nunmehr 6 Cgs 110/86 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 11. Mai 1937 geborene Kläger wurde im Jahre 1978 bei einem (privaten) Verkehrsunfall schwer verletzt; sein linker Unterschenkel mußte amputiert werden. Wegen vorübergehender Invalidität bezog der Kläger von der beklagten Partei vom 20. Oktober 1978 bis 31. Oktober 1979 eine Invaliditätspension. Seine wiederholten Anträge danach, vorerst auf Weitergewährung, in der Folge auf Gewährung einer Invaliditätspension wurden abgelehnt, eine am 14. Oktober 1985 erhobene Klage nach Vorliegen der ärztlichen Gutachten zurückgezogen.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 14. Mai 1986 lehnte die beklagte Partei den neuerlichen Antrag des Klägers vom 18. Februar 1986 auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab. Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Es stellte fest, daß der Kläger, der keinen Beruf erlernt hat und als Hilfsarbeiter in verschiedenen Branchen tätig war noch leichte und mittelschwere Arbeiten im Sitzen während der normalen Arbeitszeit bei Einhalten der üblichen Pausen verrichten kann. Im Stehen und Gehen ist fallweise Stützkrückenbenützung nicht auszuschließen. Die Fingerbeweglichkeit ist auf gröbere Manipulationen eingeschränkt, die Anmarschwege mit Stützkrücken sind auf 2 km pro Wegstrecke beschränkt.

Da der Kläger noch auf Arbeiten an Maschinen und Halbautomaten in der Metall- und Kunststoffindustrie - leichte Arbeiten im Sitzen - welche in ausreichender Zahl auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorkämen, verweisbar sei, sei er nicht invalid im Sinne des § 255 Abs 3 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers keine Folge. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte rechtlich aus, ein Versicherter, dessen Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen sei, könne auf den gesamten Arbeitsmarkt verwiesen werden, die konkrete Arbeitsmarktlage sei nicht zu prüfen. Könne ein Versicherter eine Verweisungstätigkeit ohne Einschränkung ausüben, sei er auch in der Lage, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflege.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Unter dem Revisionsgrund des § 503 Abs 1 Z 2 ZPO rügt der Kläger ausschließlich Verfahrensmängel erster Instanz, die schon in der Berufung geltend gemacht und vom Berufungsgericht als nicht gegeben beurteilt wurden. Auch in Sozialrechtssachen kann ein Mangel des Verfahrens erster Instanz, dessen Vorliegen vom Berufungsgericht verneint wurde, mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden (10 Ob S 23/87, 10 Ob S 60/87, 10 Ob S 121/87 ua).

Eine Aktenwidrigkeit ist dem Berufungsgericht nicht unterlaufen. Dieses hat weder Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage wiedergegeben oder ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen, noch ist es von im Prozeßakt nicht enthaltenen Voraussetzungen ausgegangen. Der Sachverständige Dr. A*** hat lediglich in der Anamnese festgehalten, daß der Kläger anläßlich des Verkehrsunfalles auch Verletzungen am rechten Arm erlitt. Eine Einschränkung der Funktionsfähigkeit des rechten Armes ist in keinem der Gutachten festgehalten und wurde auch nicht festgestellt. Wenn der Kläger daher in der Berufung ausführte, er könne seinen rechten Arm nur noch sehr eingeschränkt gebrauchen, so bekämpfte er damit, weil das Urteil vor dem 1. Jänner 1987 erflossen ist, in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung des Erstgerichtes (§ 400 Abs 2 ASVG, § 101 ASGG).

Auch die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist zutreffend. Versicherten in ungelernten Berufen gebührt - soferne die Voraussetzungen des § 255 Abs 4 ASVG nicht erfüllt sind - eine Leistung wegen geminderter Arbeitsfähigkeit grundsätzlich erst dann, wenn sie nicht mehr imstande sind, eine auf dem Arbeitsmarkt noch bewertete Tätigkeit zu verrichten. Das Verweisungsfeld ist somit mit dem Arbeitsmarkt ident (10 Ob S 12/87 ua). Bei der Prüfung der Verweisbarkeit ist nur abstrakt darauf abzustellen, ob dem Pensionswerber zumutbare Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichender Zahl vorkommen. Die konkrete Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen. Kann ein Versicherter wegen gesunkener Nachfrage nach Arbeit keinen Arbeitsplatz finden, so fällt dies in die Leistungszuständigkeit der Arbeitslosenversicherung, nicht in jene der Pensionsversicherung (10 Ob S 50/87, 10 Ob S 139/87 ua). Auch die Lage des Wohnortes des Versicherten ist, soferne medizinische Gründe einen Wohnortwechsel oder Pendeln nicht ausschließen, auf die Verweisbarkeit ohne Einfluß (10 Ob S 12/87). Eine Beschränkung des Anmarschweges von 2 km Fußweg pro Wegstrecke (die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, welche dem Kläger ohne Einschränkung möglich ist, ist in dieser Strecke nicht inkludiert) führt zu keinem Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt (10 Ob S 25/87).

Der Revision war daher insgesamt ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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