European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00031.16F.0719.000
Spruch:
Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin ab 1. Jänner 2013 eine Ausgleichszulage zu ihrer Pension zu gewähren, wird abgewiesen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 781,97 EUR (darin 130,33 EUR Umsatzsteuer und 8 EUR Barauslagen) an Kosten des Verfahrens erster Instanz, 272,06 EUR (darin 45,34 EUR Umsatzsteuer) an Kosten des Berufungsverfahrens und 209,39 EUR (darin 34,90 EUR Umsatzsteuer) an Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die am ***** 1943 geborene Klägerin, eine bulgarische Staatsbürgerin, ist 2011 aus Bulgarien zu ihrem Sohn nach Wien übersiedelt; seit 9. Februar 2011 ist sie in dessen Wohnung gemeldet. Am 27. November 2011 stellte sie einen Antrag auf Anmeldebescheinigung für EWR‑Bürger/‑innen. Auch eine Tochter der Klägerin sowie eine Enkeltochter wohnen in Wien. Zumindest seit 1. Jänner 2013 hat die Klägerin ihren Lebensmittelpunkt in Wien.
Die Klägerin ist geschieden. Ihr Sohn ist Gastronomiefacharbeiter und seit 1997 in Österreich beschäftigt. Er bezog zuletzt ein Einkommen von etwa 1.450 EUR monatlich. Die Wohnung, in der die Klägerin wohnt, wurde von ihrem Sohn mit Mietvertrag vom 19. Jänner 2011 gemietet. Sie ist ca 65 m² groß und besteht aus Vorraum, Wohnküche, Schlafzimmer, Bad, WC und Loggia; sie ist mit Zentralheizung ausgestattet. Die Klägerin schläft in der Wohnküche. Die Wohnungskosten, Heizkosten und Stromkosten zahlt der Sohn der Klägerin. Die Klägerin kocht für sich und ihren Sohn. Die Einkäufe tätigt meist der Sohn der Klägerin. Sie selbst kommt für Brot und Milch auf und kauft Kleinigkeiten, wie etwa Salat.
Die Klägerin ist Eigentümerin einer ca 55 m² großen Wohnung in Varna in Bulgarien. Sie hat diese Wohnung ab 1. Februar 2011 (bis Ende März 2013) um einen jährlichen Mietzins von 5.000 EUR vermietet; seit Ende des Mietverhältnisses steht die Wohnung leer.
Zum Nachweis ausreichender Existenzmittel schenkte der Sohn der Klägerin dieser am 8. Februar 2013 einen Betrag von 10.000 EUR. An diesem Tag wurde der Klägerin eine Anmeldebescheinigung für EWR‑Bürger/‑innen ausgestellt, über die die Klägerin noch verfügt. Sie verfügt auch über eine e‑Card. Bereits im Februar 2013 zahlte die Klägerin den Betrag von 10.000 EUR an ihren Sohn zurück, der sich in finanziellen Schwierigkeiten befand.
Die Klägerin fuhr zwar immer wieder nach Bulgarien. Zumindest seit 1. Jänner 2013 hatte sie ihren Lebensmittelpunkt in Wien und hält sich seither durchgehend mit nur kurzzeitigen vorübergehenden Auslandsaufenthalten in Wien auf. Gemeinsam mit ihrem Sohn verbringt sie üblicherweise im August einen Monat Urlaub in Bulgarien. Auch im Jahr 2013 war die Klägerin im Sommer einen Monat lang in Bulgarien. Weiters hielt sie sich von 11. Februar 2013 bis 27. Februar 2013 und von 29. März 2013 bis 6. April 2013 in Bulgarien auf. Regelmäßig fährt sie im Winter zumindest ein bis zwei Wochen nach Bulgarien. Im Jahr 2014 war sie nur im August in Bulgarien. Seit Anfang des Jahres 2013 hielt sich die Klägerin nicht länger als etwa zwei Monate pro Jahr im Ausland auf.
Seit April 2013 verfügt die Klägerin nur über die bulgarische Pensionsleistung. Diese hatte ab 1. Juli 2009 eine monatliche Höhe von 218,32 BGN (= 111,22 EUR zum 1. Juli 2009), ebenso ab 1. Jänner 2013 (= 111,48 EUR zum 1. Jänner 2013). Ab 1. April 2013 betrug die monatliche Pension 239,72 BGN (= 122,57 EUR). Im Dezember 2013 erhielt die Klägerin eine einmalige Zulage von 50 BGN (= 25,57 EUR) und im April 2014 eine einmalige Zulage von 30 BGN (= 15,34 EUR). Ab 1. Juli 2014 betrug die bulgarische Pension der Klägerin 246,19 BGN monatlich (= 125,88 EUR). Der Wechselkurs des bulgarischen Lew (BGN) betrug ab 1. Oktober 2012 durchgehend jeweils 1,9558.
Mit Bescheid vom 23. August 2013 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin vom 8. Februar 2013 auf Gewährung einer Ausgleichszulage ab.
Das Erstgericht sprach der Klägerin mit Urteil vom 14. April 2015 eine Ausgleichszulage in einer monatlichen (Brutto‑)Höhe von 104,17 EUR für den Zeitraum von 1. Jänner 2013 bis 31. Jänner 2013, in einer monatlichen (Brutto-)Höhe von 104,17 EUR für den Zeitraum von 1. März 2013 bis 31. März 2013, in einer monatlichen (Brutto-)Höhe von 500,95 EUR für den Zeitraum von 1. April 2013 bis 30. November 2013, in einer monatlichen (Brutto-)Höhe von 475,39 EUR für den Zeitraum von 1. Dezember 2013 bis 31. Dezember 2013, in einer monatlichen (Brutto‑)Höhe von 515,91 EUR für den Zeitraum von 1. Jänner 2014 bis 31. März 2014, in einer monatlichen (Brutto-)Höhe von 500,57 EUR für den Zeitraum von 1. April 2014 bis 30. April 2014, in einer monatlichen (Brutto-)Höhe von 515,91 EUR für den Zeitraum von 1. Mai 2014 bis 30. Juni 2014, in einer monatlichen (Brutto‑)Höhe von 512,60 EUR für den Zeitraum von 1. Juli 2014 bis 31. Dezember 2014 und in einer monatlichen (Brutto‑)Höhe von 523,45 EUR für den Zeitraum von 1. Jänner 2015 bis 31. März 2015 zu. Die Klägerin halte sich zumindest seit 2013 rechtmäßig in Österreich auf; eine aufenthaltsbeendigende Entscheidung sei in Österreich nicht getroffen worden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Da sich die Klägerin im Hinblick auf die aufrechte Anmeldebescheinigung rechtmäßig in Österreich aufhalte und dieser rechtmäßige Aufenthalt vom zuständigen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bis zum Schluss der Verhandlung in erster Instanz nicht beendet worden sei, habe sie in Österreich Anspruch auf Ausgleichszulage. Der Pensionsversicherungsträger und in der Folge das Gericht im sozialgerichtlichen Verfahren seien an das Nichtvorliegen einer aufenthaltsbeendigenden Entscheidung gebunden.
Die Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof nach seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2013 in der Rechtssache Brey (10 ObS 152/13w) noch keine Gelegenheit gehabt habe, zu den unterschiedlichen Meinungen in der Literatur und zu den Ausführungen des EuGH in den Rechtssachen Dano und Alimanovic Stellung zu nehmen. Die Frage der Verfahrenszuständigkeit zur Beurteilung des rechtmäßigen Aufenthalts als Anspruchsvoraussetzung für eine Ausgleichszulage sei eine Rechtsfrage von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Klägerin beantwortete Revision der beklagten Partei ist aus Gründen der Klarstellung zulässig; sie ist auch berechtigt.
In ihrer auf Abänderung im klageabweisenden Sinn gerichteten Revision macht die beklagte Partei (kurz zusammengefasst) geltend, dass eine von der Verwaltungsbehörde ausgestellte Anmeldebescheinigung keine die Gerichte bei der Prüfung des Erfordernisses des „rechtmäßigen Aufenthalts“ gemäß § 292 ASVG bindende Wirkung entfalte. Das Bestehen eines unionsrechtlichen Aufenthalts‑ und Niederlassungsrechts richte sich im Speziellen nach der Unionsbürger-Richtlinie 2004/38/EG . Da sich das Aufenthaltsrecht der Klägerin direkt aus dem Unionsrecht ergebe, würden keine Aufenthaltstitel rechtsbegründend erteilt, sondern vielmehr Dokumentationen ausgestellt. Bei der „Anmeldebescheinigung“ nach § 9 NAG handle es sich um eine rein deklaratorische Bestätigung bereits bestehender unionsrechtlicher Aufenthalts‑ und Niederlassungsrechte, weshalb das Gericht zur selbständigen Prüfung befugt sei, ob ein rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt der Klägerin iSd § 292 ASVG vorliege.
Im Fall eines Aufenthalts für einen Zeitraum von über drei Monaten bis zu fünf Jahren (Art 7 Abs 1 lit b Unionsbürger‑RL) müsse der zuwandernde Unionsbürger nachweisen, dass er (im neuen Aufenthaltsstaat) über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfüge. Nach der Entscheidung des EuGH in der Rs Dano (anders als noch in der Rs Brey) sei eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation des einzelnen Betroffenen vorzunehmen, ob er die von der Unionsbürger‑RL aufgestellten Voraussetzungen erfülle. Die Klägerin, der auch keine Eigenschaft als Erwerbstätige oder Arbeitssuchende zukomme, erfülle die von der Unionsbürger‑RL normierten Voraussetzungen nicht, weil sie seit dem Beginn ihres Aufenthalts in Österreich nicht über ausreichende Existenzmittel verfüge, um ein Aufenthaltsrecht nach Art 7 Abs 1 lit b der Richtlinie 2004/38/EG in Anspruch nehmen zu können.
Auch die vom Berufungsgericht angedeutete Rechtsansicht, der Klägerin könne das von ausreichenden Existenzmitteln unabhängige Aufenthaltsrecht nach § 52 Abs 1 Z 3 NAG zugute kommen, führe nicht zu einem Anspruch auf Ausgleichszulage. Abgesehen davon, dass ein derartiges Aufenthaltsrecht vom Nachweis der tatsächlichen Unterhaltsgewährung abhänge, gelangte man auf diese Weise in einen Zirkelschluss: Das Aufenthaltsrecht hänge von der Unterhaltsgewährung ab; das Aufenthaltsrecht wiederum wäre Voraussetzung für den Anspruch auf Ausgleichszulage,womit aber die Unterhaltsleistung in Abrede gestellt werden müsse. Auf diese Weise kämen Personen, die nicht über ausreichende Existenzmittel verfügten, durch die Gewährung einer besonderen beitragsunabhängigen Sonderleistung automatisch in den Genuss solcher Mittel. Gerade der Umstand, dass für die aufenthaltsberechtigte Person Unterhalt zum Zwecke ihrer Sustentation geleistet werde, schließe die Erforderlichkeit der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen des Aufenthaltsmitgliedstaats aus, weil andernfalls das zentrale Tatbestandselement nicht erfüllt werde.
Die Klägerin weist in ihrer Revisionsbeantwortung (unter anderem) darauf hin, dass sie aufgrund ihres rechtmäßigen Aufenthalts gemäß § 52 Abs 1 Z 3 NAG Anspruch auf Ausgleichszulage habe. Sie sei ihrem Sohn nach Österreich nachgezogen und werde von diesem alimentiert.
Dazu ist auszuführen:
1. Der Oberste Gerichtshof hat sich in seiner Entscheidung vom 10. Mai 2016, 10 ObS 15/16b, unter Bezugnahme auf die jüngste EuGH-Rechtsprechung und die dazu veröffentlichte Literatur ausführlich mit den auch im vorliegenden Fall relevanten Rechtsfragen auseinandergesetzt.
Die Aussagen können folgendermaßen zusammengefasst werden:
1.1. Der EuGH hat in den Entscheidungen vom 19. September 2013, C‑140/12, Brey (ECLI:EU:C:2013:565), vom 11. November 2014, C‑333/13, Dano (ECLI:EU:C:2014:2358), vom 15. September 2015, C‑67/14, Alimanovic (ECLI:EU:C:2015:597), und vom 25. Februar 2016, C‑299/14, García-Nieto ua (ECLI:EU:C:2016:114), ausgesprochen, dass die Einstufung einer Leistung (wie der österreichischen Ausgleichszulage) als „beitragsunabhängige Sonderleistung“ iSd Art 70 Abs 2 lit c der VO (EG) 883/2004 nicht ausschließt, dass die Leistung gleichzeitig auch unter den Begriff der Sozialleistungen im Sinn der Unionsbürger-richtlinie 2004/38/EG fallen kann und deshalb auch Art 24 der Unionsbürger‑RL zur Anwendung kommt.
1.2. Die Unionsbürger‑RL erlaubt es dem Aufnahmemitgliedstaat, wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern Beschränkungen in Bezug auf die Gewährung von Sozialleistungen aufzuerlegen, damit diese die Sozialhilfeleistungen dieses Staats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. Diese Möglichkeit zur Einschränkung gilt auch für die österreichische Ausgleichszulage (EuGH C‑140/12, Brey [Rz 62]).
1.3. Eine Gleichbehandlung mit Inländern steht nur jenen wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern zu, deren Aufenthalt die Voraussetzungen der Unionsbürger‑RL erfüllt. Für wirtschaftlich nicht aktive Personen, die sich– wie die Klägerin im überwiegenden Anspruchszeitraum – länger als drei Monate, aber nicht mehr als fünf Jahre im Aufenthaltsmitgliedstaat aufhalten, hat dies zur Folge, dass sie die Voraussetzungen des Art 7 Abs 1 lit b der Unionsbürger‑RL erfüllen müssen.
Diese Bestimmung, die das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel und eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes im Aufnahmemitgliedstaat verlangt, schlägt auch auf die Gleichbehandlungspflicht des Art 4 der VO (EG) 883/2004 durch.
1.4. Beginnend mit der Entscheidung in der Rs Dano (Rs C‑333/13, Rz 76 f) räumt der EuGH dem Aufnahmemitgliedstaat die Möglichkeit ein, im Rahmen der Prüfung des Sozialleistungsanspruchs die Erfüllung der Voraussetzungen der Unionsbürger‑RL zu prüfen und auf ihrer Grundlage den Sozialleistungsanspruch zu versagen, ohne dass es einer vorherigen Beendigung des Aufenthalts bedürfte (RIS‑Justiz RS0129251 [T2] – insofern anders noch OGH 10 ObS 152/13w). Unter Bezugnahme auf Erwägungsgrund 10 der Unionsbürger‑RL fordert der EuGH vom wandernden Unionsbürger, die Sozialsysteme des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen zu belasten (EuGH C‑333/13, Dano, Rz 71), wobei die wirtschaftliche Situation des einzelnen Betroffenen konkret zu prüfen ist.
1.5. In der darauffolgenden Entscheidung in der Rs C‑67/14, Alimanovic, ging der EuGH noch einen Schritt weiter und sah eine individuelle Prüfung gar nicht als erforderlich an, weil das in der Unionsbürger‑RL vorgesehene abgestufte System selbst verschiedene Faktoren berücksichtigt, die ihrerseits die persönlichen Umstände der antragstellenden Person widerspiegeln (EuGH C‑67/14, Alimanovic, Rz 59 ff).
Diese Linie wird im Urteil in der Rs C‑299/14, García‑Nieto ua, explizit bestätigt. Die noch in der Entscheidung in der Rs Brey geforderte Rücksichtnahme auf die Belastung der Sozialsysteme insgesamt wird ausdrücklich abgelehnt.
2. Im Ergebnis können EU‑Bürger, die – so wie die Klägerin – nicht erwerbstätig sind und nur im Zusammenhang mit einem Sozialleistungsbezug innerhalb der Europäischen Union bzw des Europäischen Wirtschaftsraums mobil sind, auf der Grundlage von Unionsrecht keine Ansprüche auf Sozialleistungen wie die Ausgleichszulage geltend machen; eine aufenthaltsbeendigende Maßnahme ist nicht erforderlich.
Selbst eine Prüfung der besonderen Situation der Klägerin würde auf unionsrechtlicher Grundlage zu keinem anderen Schluss führen: Anders als etwa der Kläger Brey, der immerhin über mehr als 800 EUR monatlich an Eigenmitteln verfügte, fällt die Klägerin mit einem Rentenbezug in Höhe von rund 120 EUR monatlich (selbst unter Bedachtnahme auf die im ersten Quartal 2013 in einer monatlichen Höhe von gut 400 EUR erzielten Mieteinkünfte) eindeutig in die Kategorie der Armutszuwanderung; ein Aufenthalt in Österreich ist nur denkbar, wenn sie aus öffentlichen Kassen unterstützt wird. Ein Bezug zu einer Erwerbstätigkeit in Österreich fehlt.
3. Da sich eine Anmeldebescheinigung nur auf das Aufenthaltsrecht bezieht, hat ihre (im Übrigen nur deklarativ wirkende) Ausstellung keine unmittelbare Auswirkung auf den Sozialleistungsanspruch.
4. Ein Anspruch der Klägerin auf Ausgleichszulage könnte sich aber aus dem nationalen Recht ergeben.
4.1. Nach § 292 Abs 1 ASVG hat der Anspruchswerber Anspruch auf Ausgleichszulage, „solange er seinen rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat“. Weitere Kriterien werden vom Gesetz nicht aufgestellt.
4.2. § 52 Abs 1 NAG normiert, dass „auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie ... EWR‑Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR‑Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt [sind], wenn sie … 3. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird; ...“
Diese Bestimmung macht das Aufenthaltsrecht des Angehörigen davon abhängig, dass diesem tatsächlich (familienintern) Unterhalt gewährt wird (VwGH 2013/10/0228 ua), was wiederum die Notwendigkeit von staatlichen Leistungen, die der grundlegenden Versorgung dienen, entbehrlich macht (vgl VwGH 2007/18/0280). Der Unterstützungsbetrag soll es also möglich machen, dass der Angehörige unter den in Österreich gegebenen Lebensverhältnissen die wesentlichen Unterhaltsbedürfnisse bestreiten kann (Abermann in Abermann/Czech/Kind, NAG [2016] § 52 Rz 10).
4.3. Würde die von den Unterhaltszuwendungen abgeleitete Rechtmäßigkeit des Aufenthalts in Österreich zu einem Ausgleichszulagenanspruch führen, käme es zu dem „Unionsbürgerschaft als Münchhausen“-Effekt (Rebhahn, Der Einfluss der Unionsbürgerschaft auf den Zugang zu Sozialleistungen – insb zur Ausgleichszulage [EuGH‑Urteil Brey], wbl 2013, 605 [611]): Die innerfamiliären Zuwendungen, die staatliche Unterstützung entbehrlich machen, machen den Aufenthalt rechtmäßig, woraus sich dann der Anspruch auf eben diese staatlichen Unterstützungsleistungen ergäbe.
4.4. Um dieses Ergebnis, das § 52 Abs 1 Z 3 NAG ausschalten will zu vermeiden, gleichzeitig aber die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht zu tangieren, ist § 292 Abs 1 ASVG im Lichte des § 52 Abs 1 Z 3 NAG auszulegen: Demnach führt der durch § 52 Abs 1 Z 3 NAG rechtmäßige Aufenthalt nicht zu einem Anspruch auf Ausgleichszulage, weil die Kosten des Aufenthalts in Österreich (in den ersten fünf Jahren) nicht von staatlicher Seite, sondern über den familieninternen Unterhalt finanziert werden sollen.
5. Ein Anspruch der Klägerin auf Ausgleichszulage ist daher zu verneinen. In diesem Sinn sind die Entscheidungen der Vorinstanzen abzuändern.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b und Abs 2 ASGG. Da die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, entspricht es der Billigkeit, der unterlegenen Klägerin aufgrund ihrer angespannten finanziellen Verhältnisse die Hälfte der Kosten ihrer Rechtsvertretung zuzusprechen (RIS‑Justiz RS0085871).
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