OGH 10ObS26/23f

OGH10ObS26/23f21.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Dr. Annerl als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 Z 2 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Mag. Patrick Kainz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Invaliditätspension, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Jänner 2023, GZ 8 Rs 100/22 t‑32, womit die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 26. Jänner 2022, GZ 22 Cgs 118/22k‑19, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00026.23F.0321.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittels selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der (unvertretene) Kläger begehrte die Zahlung einer Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem gesetzlichen Stichtag, in eventu die Gewährung der gesetzlich vorgesehenen Rehabilitationsmaßnahmen.

[2] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Eine Ausfertigung des Ersturteils wurde an der Anschrift des Klägers zur Abholung ab 10. Februar 2022 hinterlegt.

[3] Das Erstgericht erklärte das Ersturteil mit Amtsvermerk vom 18. März 2022 für rechtskräftig und vollstreckbar.

[4] Am 21. Juni 2022 stellte der Kläger persönlich beim Erstgericht (ua) einen Verfahrenshilfeantrag mit dem Ersuchen um Beigebung eines Rechtsanwalts zur Erhebung einer Berufung gegen das Ersturteil. Er gab zu Protokoll, dass er von der Ladung zur Tagsatzung vom 26. Jänner 2022 nichts gewusst habe, weil er vom 23. November 2021 bis 2. Mai 2022 in einer Justizanstalt angehalten gewesen sei. Er habe gewusst, dass irgendwann eine Verhandlung sein müsse; er habe aber nicht gewusst, wann genau. Er habe auch das Ersturteil nicht beheben können, weil er sich zu diesem Zeitpunkt nicht an der Abgabestelle befunden habe.

[5] Nach Bewilligung der Verfahrenshilfe durch das Erstgericht (und Zustellung des Ersturteils an den Verfahrenshelfer am 9. September 2022) erhob der nunmehr durch den Verfahrenshelfer vertretene Kläger am 6. Oktober 2022 Berufung gegen das Ersturteil.

[6] Das Berufungsgericht wies die Berufung als verspätet zurück. Die Zustellung des Ersturteils sei mittels Zustellung durch Hinterlegung nach § 8 Abs 2 ZustG rechtswirksam erfolgt, weil der Kläger die Änderung der Abgabestelle dem Gericht nicht mitgeteilt habe. Die Berufung sei erst über sechs Monate nach Ablauf der Berufungsfrist eingebracht worden und daher verspätet.

[7] Dagegen richtet sich der Rekurs des Klägers, mit dem er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht zur Entscheidung über die Berufung beantragt.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der – nicht beantwortete – Rekurs des Klägers ist nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig, aber nicht berechtigt.

[9] 1. Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen (§ 8 Abs 1 ZustG). Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann (§ 8 Abs 2 ZustG).

[10] 2. Ändert die Partei während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, die Abgabestelle, ohne dies dem Gericht unverzüglich mitzuteilen, und wird die Aufgabe der bisherigen Abgabestelle dem Gericht auch nicht auf andere Weise bekannt, so kann weiterhin an die bisherige Abgabestelle zugestellt werden. Eine Hinterlegung nach § 17 ZustG wirkt daher als Zustellung, und zwar unabhängig davon, wo sich die Partei befindet und welche Abgabestelle für sie sonst in Betracht gekommen wäre (RS0115725). Dies gilt auch, wenn das Gericht von der Änderung der Abgabestelle keine Kenntnis erlangt, weil ihm die Feststellung der nunmehrigen Abgabestelle – mangels Vorliegens eines Grundes dafür, Nachforschungen anzustellen – regelmäßig schon nicht „ohne Schwierigkeiten“ möglich ist (RS0115726).

[11] 3. Das Berufungsgericht hat diese Rechtsprechung bei seiner Entscheidung beachtet. Der Kläger, der vom Verfahren Kenntnis hatte, teilte die Änderung seiner Abgabestelle dem Gericht nicht mit, sodass die (während seiner Abwesenheit von der bisherigen Abgabestelle erfolgte) Hinterlegung nach § 17 ZustG eine wirksame Zustellung am 10. Februar 2022 bewirkte. Der am 21. Juni 2022 zu Protokoll gegebene Verfahrenshilfeantrag wurde daher nicht innerhalb der Berufungsfrist eingebracht, sodass die am 6. Oktober 2022 erhobene Berufung vom Berufungsgericht zutreffend zurückgewiesen wurde.

[12] 4. Soweit der Kläger im Rekurs meint, dass ihm ohne entsprechende Anleitung durch das Erstgericht nicht bewusst sein habe können, dass er einen Ortswechsel bekannt zu geben hätte, ist dem entgegen zu halten, dass eine nicht erfolgte (und ohne Kenntnis des Erstgerichts von einer Änderung der Abgabestelle auch gar nicht mögliche) Anleitung nichts am Eintritt der Rechtsfolgen des § 8 Abs 2 ZustG ändert. Allfällige Irrtümer über die Mitteilungspflicht, die zur Versäumung einer Prozesshandlung führen, wären höchstens im Rahmen eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu prüfen, stehen aber der Wirksamkeit der Zustellung nicht entgegen.

[13] 5. Gegen die – auf die Entscheidung 9 Ob 89/04k gestützte – Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Aufhebung der Rechtskraft‑ und Vollstreckbarkeitsbestätigung nach § 7 Abs 3 EO durch das Erstgericht an der dargestellten Rechtslage nichts ändere, wendet sich der Kläger nicht.

[14] 6. Dem Rekurs war somit nicht Folge zu geben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

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